Ist die Raritätenkiste nicht endlich einmal leer? Seit nunmehr 22 Jahren betreibt der Berliner Pianist und Husumer Klavierdozent Peter Froundjian sein Festival „Raritäten der Klaviermusik“ im Schloss vor Husum, zaubert Jahr um Jahr unerhörte Schätze aus dem Arsenal des schon lange nicht mehr oder noch nie Gehörten hervor.
Er spürt die großen Würfe von Kleinmeistern ebenso auf wie die für unbedeutend erklärten Nebenwerke der Großen“. Dabei gilt wie bei einem Uraufführungsfestival: erst einmal kennenlernen! Unvoreingenommene Wahrnehmung ist wichtiger als vorschnelles Beurteilen und Einordnen. Und wie bei uraufgeführten Werken, deren Qualität sich nicht immer vorausahnen lässt, ist auch hier das Scheitern inbegriffen. Denn der Festival-Leiter „komponiert“ keine Programme, macht auch keine thematischen Vorgaben, sondern lässt den eingeladenen Pianisten weitgehend freie Hand. Umso erstaunlicher, dass sich hier immer wieder rote Fäden spinnen, thematische Verweisungen und vieldeutige wechselseitige Beleuchtungen entstehen.So drehte sich in diesem Jahr vieles um den Walzer und Walzerparaphrasen, war der Glanz und Verfall einer Epoche klingend zu erleben, einer „Welt von gestern“, wie sie bereits Stefan Zweig nostalgisch beschreibt. Geschichtliches, Lebensgeschichtliches taucht daraus auf. Eine Gestalt wie Ignaz Friedman zum Beispiel, dessen sich Festival-Leiter Peter Froundjian im ersten Klavierabend persönlich annahm. Friedman, 1882 in Krakau geboren, gehörte zum Typ komponierender Virtuosen, wie sie das 19. Jahrhundert überreich hervorbrachte – heute begegnet man ihm ab und an wieder in der Neuen Musik. 1941 kehrte der polnische Jude von einer Australien-Tournee nicht mehr nach Europa zurück – eine glanzvolle, von Wien ausgehende Pianistenkarriere wurde so schmerzlich abgebrochen. „Vier letzte Klavierstücke“ op. 96, vermutlich in Husum uraufgeführt, sind feinnervige Miniaturen, quasi Schattenbilder der Welt des Salons, die sie in schwebender Tonalität vergeblich noch einmal heraufzubeschwören versuchen. Die Transkription des Strauß-Walzers „O schöner Mai“ von 1875 entfaltete da in funkelnder Virtuosität ein vergleichsweise ungebrochenes Flair und muss doch in ihrem Entstehungsjahr 1933 als Abgesang empfunden werden.
Ganz im Zeichen des Tänzerischen stand der Klavierabend, den der Russe Lev Vinocour auch selbst moderierte. Rund um Sergej Diaghilew, den Leiter der legendären Ballets Russes im Paris der Zwischenkriegszeit, zeichnete er ein lebendiges Bild dieses faszinierenden Unternehmens und der von ihm ausgehenden mannigfachen Impulse. Stücke aus dem Ballett „Der verlorene Sohn“ von Sergej Prokoffiew waren hier zu entdecken, der übrigens auch die Klavierfassung von Rimsky Korsakows „Sheherazade“ besorgte. Mit den Bühnenbildern von Leon Bakst, mehr noch aber durch die Vorführung von nahezu schon abstrakten Gemälden des Maler-Komponisten Mikalojus Ciurlionis, nach denen dieser 1898 seine leider sehr viel konventionellere „Sonate der Sonne“ komponierte, wurde der musikalische Eindruck erst richtig rund – hier entstand eine neue interdisziplinäre Darbietungsform, die Schule machen sollte. Vinocour ergänzte selbst Tschaikowskys melancholisches Brieffragment „Nessun maggior dolore“, bevor er sich in den „Dornröschen“-Walzertaumel stürzte.
Marc André Hamelin, Stammgast und Publikumsliebling in Husum – leider wurde das Füßetrampeln aus Gründen der empfindlichen Statik des altehrwürdigen Schlosses untersagt – widmete sich moderneren, dem Tanz nahe stehenden Formen, etwa der motivisch scharf geschnittenen, faszinierend dissonanten Jazz-Sonate des eigentlich „klassisch“ orientierten Virtuosen Alexis Weissenberg (geb. 1929). Die „Symphonischen Metamorphosen“, die der amerikanische Klaviergott Leopold Godowsky auf Straussens „Wein, Weib und Gesang“ ersann, servierte er mit allem Rubato-Charme und aller Klangdelikatesse, derer solch liebenswürdige und dabei hochartifizielle Schaumschlägerei bedarf. Viel Sahnebaiser eben, bei dem der Puderzucker manchmal hochstaubt und den Atem nimmt.
Diese und andere Walzerversuche, -paraphrasen und -metamorphosen umkreisten mehr oder weniger einen imaginären Bezugspunkt – Maurice Ravels „La Valse“. An dessen Blick in den Abgrund, dessen Erschütterung eines morschen Fundaments reichte nur Franz Liszts Valse oubliée Nr. 2 heran, die mit einer zerfaserten Melodik, die im Ungefähren stecken bleibt, und splittrigen Begleitfiguren alle Walzerseligkeit ad absurdum führt. Der Franzose Denis Pascal spielte diese kleine Preziose voll sensiblem Spürsinn für Übergänge und lose, nicht verknüpfte thematische Fäden. Pascal, als Solist und Kammermusiker unermüdlich um die Wiederbelebung zu Unrecht vergessener Werke bemüht, brachte mit C. Ph. E. Bachs „Abschied von meinem Silbermannschen Klavier“, mit impressionistisch ausgreifenden Klavierstücken (1916) des Schreker-Zeitgenossen Joseph Marx und den „Paradise Birds“ (1912) von Cyril Scott, dessen pentatonische Klangfelder ihm den Ehrentitel „englischer Debussy“ eintrugen, eine gewisse Endzeitstimmung, die Empfindung von Verlust und vergeblicher Heraufbeschwörung besonders nachdrücklich zum Ausdruck.
Der Amerikaner Koji Attwood mit einem bunten Strauß von Virtuosenstücken russischer Provenienz –