Das Wetter hatte es spannend gemacht. Wenige Stunden erst vor der Eröffnung des 31. Südtirol Jazzfestivals Alto Adige riss der Himmel auf und ließ zu, dass die Sonne auf Schloss Sigmundskron schien. Umso besser war die Laune bei Musikern und Publikum, die den Open-Air-Start des Kulturevents zum Erfolg werden ließen.
Schon zu Beginn ist Klaus Widmann, der Leiter des Südtirol Jazzfestivals Alto Adige, zufrieden: „Ich glaube, es ist uns gelungen, in diesem Jahr unser Profil noch etwas zu schärfen. Denn es sind wieder viele junge Musiker dabei, viele Gruppen, die hier neue Projekte präsentieren und damit auch klar machen, dass nicht nur Jazz eine ungeheuer spannende und innovative Musik ist, sondern auch die Region Südtirol vieles zu bieten hat, was über die traditionellen Werte hinausreicht.“
Dann erzählt er weiter, etwa davon, dass es in diesem Jahr zwar geringfügig weniger Konzerte gebe, weil er als Leiter die zahlreichen lokalen Veranstalter etwas mehr in die Pflicht genommen habe, was manch einem zu viel Aufwand war. Dass er aber damit kein Problem habe, weil das Festival sich auf diese Weise noch selbstbewusster und konzentrierter präsentieren könne und er überhaupt das Gefühl habe, dass inzwischen eine Eigendynamik entstanden sei, die viele Beteiligten mehr noch als früher motiviere. Inzwischen habe er sogar die Idee im Kopf, mit einigen der für das Festival entstandenen Projekte auch an anderen Orten Station zu machen, als Image-Export eines erfolgreichen Kultur- und Tourismusmodells: „Natürlich haben wir hier die Lederhosen und den Speck, aber eben nicht nur das. Mit dieser Botschaft könnte ich mir durchaus vorstellen, auch anderswo unter dem Motto ,Südtirol Jazzfestival presents‘ etwas auf die Beine zu stellen“.
Regional meets international
Pläne jedenfalls gibt es genug und diese agile Grundhaltung merkt man dem Festival an. Aus dem lokalen Event der frühen Jahre, das von Spezialisten für Spezialisten gedacht war, ist ein Spektakel geworden, das über die Region hinaus strahlt. Rund 20.000 Besucher kommen während der zehn Festivaltage mit der Musik in Kontakt, viele in ausgewählten Konzerten an ungewöhnlichen Orten von der Berghütte bis zur Produktionshalle für Pistenbullys, viele aber auch eher zufällig durch die kostenlosen Programme auf den Stadtplätzen von Bozen, Brixen, Klausen, Meran oder bei den Musikwanderungen, wenn Bands wie das Fischermanns Orchestra von Hütte zu Hütte ziehen.
Das Südtirol Jazzfestival Alto Adige hat sich damit zu einer Großveranstaltung entwickelt, die Familien genauso erreicht wie eingefleischte Musikfans. Es bietet lokalen Künstlern etwa mit den 22 Kurzkonzerten von Jazz & Banking ein Forum zur Selbstdarstellung, gibt eigene Programme wie Angelika Niesciers „The Shift“ in Auftrag, lädt Stars der deutschen Szene wie den Pianisten Michael Wollny ebenso ein wie europäische und internationale Koryphäen: etwa den Pianisten Baptiste Trotignon oder das Trio des Schlagzeugers Jeff Ballard.
Drei Gegensätze zur Eröffnung
Wie weit das stilistische Spektrum reicht, dokumentierte bereits das Eröffnungswochenende der Festivals. Im Messner Mountain Museum auf Schloss Sigmundskron beispielsweise war New York mit einer seiner wildesten und zugleich witzigsten jungen Bands zu Gast. Mostly Other People Do The Killing ist ein Quartett um den Trompeter Peter Evans, das mit der Dreistigkeit der Gegenwart die Gewohnheiten der Vergangenheit zerlegt. Wenn sie frei spielen, klingt das ungezwungen, aber nicht ideologisch; wenn sie zum Jazz-Blues schwenken, ist mehr als nur einer Prise Ironie dabei; wenn sie sich der strukturell kompakten Moderne widmen, wirkt das wie eine Punkband auf Speed. Das hat diese nötige Emphase der lustvollen Dekonstruktion, dergegenüber der zweite Hauptact des ersten Abends, die Big Band der Münchnerin Monika Roscher, brav und schüchtern erschien.
Eine ganz andere Idee von Improvisation stellte am folgenden Samstagabend der französische Akkordeonist Richard Galliano in der Prinoth Produktionshalle in Sterzing vor. Seine Welt ist das alte Europa von Bach bis Musette und dessen kammermusikalische Verwandte aus Südamerika von Astor Piazzolla bis Hermeto Pascoal. Betörend virtuos und bis ins Detail geschmackvoll führte Galliano das Publikum durch seine Klanggalerie der berühmten Melodien, ein ästhetischer Genuss, wenn auch gestalterisch bei weitem nicht mehr so risikofreudig wie in früheren Jahren.
Zur Matinee am Sonntag wiederum stellte der New Yorker Schlagzeuger Harris Eisenstadt im Atrium des Kunstmuseums Museion in Bozen sein dezent abstrakt agierendes September Trio vor, das mit dem Saxofonisten Ellery Eskelin und der Pianistin Angelica Sanchez fragile, neomodern bis an die zeitgenössische Klassik heranreichende Klangräume mit schillernden Texturen entwarf. Wild und ungestüm, traditionell und jazzfolkloristisch, neomodern und assoziativ – drei Konzerte zum Start, die für das noch bis zum 7. Juli laufende Festival bereits aufregende Ausgangspunkte markiert und damit am aktuellen Beispiel gezeigt haben, wie bunt und vielgestaltig die Welt des Jazz sich präsentieren lässt.