Am Anfang gleichsam Cinemascope-Musik… und tatsächlich beginnt im stark abgedunkelten Raum vorne wie auf einer Kinoleinwand der Vorspann eines frühen, etwas braunstichigen Western zu flimmern… „La Fanciulla del West“ in den schönen alten Lettern, dann „Giacomo Puccini“ als Komponist der Musik, dann das Bühnenteam – und dazu reitet im Bild eine Frau im Western Look, mal über die Great Plains, mal durch Monument Valley.
Sie steigt ab, kommt nach vorne auf uns zu gelaufen, es ist die Titelrollen-Sängerin – und „Bäng!“: zum Orchestertutti zerfetzt sie den papiernen Zwischenvorhang und im hellen Spotlight steht da real Eva-Maria Westbroek als Minnie – ein Theatercoup, hinreißend und perfekt einstimmend, prompt hingerissener Szenenapplaus…
Doch schon nach wenigen Takten haben Dirigent Sebastian Weigle und das wahren Klangzauber entfaltende Frankfurter Museumsorchester hörbar gemacht, dass Puccini da 1910 nicht süffige Filmmusik komponiert hat. Vielmehr hat er mit einer förmlich farbstrotzenden Palette aus Instrumenten geradezu impressionistisch die Faszination amerikanischer Landschaften eingefangen – und von ihm haben dann die großen Filmkomponisten bis herauf zu Ennio Morricone vieles adaptiert.
Mehr noch: dieser Puccini klingt frisch, gleichsam neu, weil nicht wie „Bohème“ oder „Tosca“ oft bis zu oft gehört. Es ist Sebastian Weigles erster Puccini und er fächert souverän weitgespannte Klangkulissen auf, findet im Kontrast dann auch zu Intimität und zeichnet wiederholt die heftigen Kanten der Mannsbilder. Mehrfach überwältigt die große, eben deswegen ein ganzes Leben bestimmende Emotion dieser selbstbewussten Frau Minnie: sie ist das wärmende Zentrum im miesen Goldgräberlager; sie tröstet diese in der Einsamkeit rau, hart und mitunter brutal gewordenen Kerle; sie liest aus der Bibel vor und bringt den Glücksuchern das Briefeschreiben bei, um sie ihr kleines Glück zuhause nicht vergessen zu lassen; sie ist selbstbewusst genug, das allzu heftige Werben des auch allzu machtversessenen Sheriffs von Ashley Holland abzuwehren – und sie verfällt dem Outcast-Charme eines mexikanischen Fremden, der auch nach Gold jagt, als Räuber Dick Johnson – und dann erkennt, was für ein Goldstück diese Minnie ist. Sie rettet ihren Dick durch ein Pokerspiel mit falschen Karten gegen den Sheriff – die Dramatik dieser Szene gehört zum Besten der Opernliteratur und löste prompt stürmischen Jubel im Publikum aus.
Minnie rettet „ihren“ Banditen, dem sie ihren ersten Kuss geschenkt hat, am Ende vor Lynchjustiz am Galgen und zieht mit ihm in eine ungewisse Zukunft davon. Zwar lässt Regisseur Christoph Loy da die beiden aus fahlem ins helle Licht abgehen. Doch zuvor hat er durchweg drei Sätze des Librettos ernst genommen: „Ich hab nur eine 30-Dollar-Bildung. Hätt’ ich mehr gelernt, was könnt’ ich dann wohl sein?“ singt Minnie und Dick antwortet: „Was wir beide wohl sein könnten!“ Loy hat das bitternste Ringen kleiner Leute um ein ganz kleines Stückchen Glück inszeniert: geradlinig, ernsthaft, mehrfach anrührend. Dazu hat er die 15 Rollendebüt-Solisten, auch in den kleinen Partien, zu erkennbar unterschiedlichen Charakteren geformt.
Und dann gibt es zu Tränen rührende Höhepunkte: Loy lässt zentrale Szenen der drei Hauptfiguren Minnie-Sheriff-Dick von zwei Kameras im Rang live mitschneiden und als synchron laufenden Schwarz-Weiß-Film im Stil von Chaplins „Goldrausch“ auf die einfachen Holzrückwände von Herbert Murauers gezielt schlichten Goldgräberhütten projizieren. Da ist in Nahaufnahmen die darstellerische Feinzeichnung von ganz großem Menschentheater zu erleben – und Eva-Maria Westbroeks warmherziger Sopran, Carlo Ventres überzeugend viriler Tenor mitsamt Puccinis Musik überhöhen und überwältigen dann. Eine unterschätzte, auch unsere aktuell goldgierigen Strukturen hinterfragende Oper Puccinis ist in Frankfurt zu entdecken.