Im August wird das idyllische Moritzburg bei Dresden zum besonderen Ort – dann, wenn hier ein Kammermusikfest steigt, das sich zu einem der wichtigsten in Europa entwickelt hat. Landluft, Wald, Schloss und weitere reizende Spielstätten bieten Musikern ideale Bedingungen, um sonst unterbelichteten Dingen nachzugehen. „Hier versuchen wir, den Werken der Kammermusik so nahe wie möglich zu kommen“, sagt der Cellist Jan Vogler, der das Festival 1993 mitbegründete. Potente Sponsoren, Förderverein, Stiftung, vor allem aber ein wachsendes Publikum und zahlreiche Musiker von Weltrang haben das Ereignis kontinuierlich gedeihen lassen.
Oft sind Anfänge zugleich Abschlüsse – so am Sonntag beim Eröffnungskonzert des 18. Jahrgangs in der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen in Dresden. Als Beethovens „Eroica“ mit hymnischen, weltumspannenden Akkorden schloss, hatte auch das junge Orchester der Festival-Akademie aufgehört zu existieren. Und das nach nur sechs Tagen. Man müsste solche Projekte Verschwendung nennen, wüsste man nicht, dass gerade sie den Beteiligten Wege eröffnen, um eine der raren Orchesterstellen zu bekommen. Seit 2006 lässt das Kammermusikfest erlesenen Nachwuchsmusikern zwischen 16 und 26 Jahren aus aller Welt den Vortritt. Im fünften Jahr der Akademie hielt man das Prinzip – mit professioneller Anleitung und Konzentration proben – für reif genug, um ganz Großes anzupacken. Zum Beispiel die bedeutungsschwere „Eroica“.
In New York wird Alondra de la Parra als junge Maestra bewundert. Auch beim Debüt in Dresden ließ die 29-jährige Mexikanerin ihr außergewöhnliches Dirigier-Talent aufblitzen. Wunderbar sanft und unaufgeregt, natürlich geformt statt pathetisch überzeichnet zauberte sie Samuel Barbers „Adagio“ in den Fabrikraum. Der rauschte wie üblich, doch de la Parra agierte besonnen, blieb unbeeindruckt und forderte Ohr und Imagination des Hörers, auch bei feinstem Pianissimo auf Tuchfühlung mit der Musik zu bleiben.
Mit dem „Songbook“ für Saxophon und Orchester folgte die erste, überaus lebendige Begegnung mit Daniel Schnyder, dem diesjährigen Composer in Residence. Dass der in New York gelandete Schweizer zu dem steht, was er komponiert, und dabei wie entfesselt Saxophon bläst, bewiesen diese sprühenden, kontrastreichen Stücke, seine persönliche „West Side Story“. Die steckt voller Jazz, rhythmischer Energie, scheut auch den inspirierten Seitenblick nicht.
Kaum einer dürfte sich hier für die Nobelkarossen interessiert haben, auf die der Blick an diesem Ort immer wieder fallen soll.
Beethovens Dritte machte endgültig klar, wer hier als Helden vom Platz ziehen würde. Es waren die Damen und Herren an den Notenpulten, es war der organische Klangkörper voller Esprit und staunenswerter Stilsicherheit. De la Parras satzübergreifende Dramaturgie überzeugte, Beethovens Originalität wurde hörbar, sein Spiel mit Erwartungen genussvoll fortgeführt. Saftig gelang die Passage der Hörner im Scherzo-Menuett; wohl sollte es ein Lockruf ins Moritzburger Jagdrevier sein.
Adieu müssen sich die Akademie-Musiker indes noch nicht sagen. Denn es folgt der kammermusikalische Teil, wo ein ähnlich hohes Niveau zu erwarten ist. Er gipfelt in der „Langen Nacht der Kammermusik“ am Donnerstag in der Moritzburger Kirche. Dass dort erstmals ein Akademiepreis vergeben wird, dürfte die jungen Könner extra beflügeln.
22 Mitglieder zählt die Musikerfamilie diesmal, unter ihnen Viviane Hagner, David Aaron Carpenter, Li-Wei Qin, Charles Neidich und natürlich Jan Vogler, der zwar Intendant ist, während des Festes aber zu 90 Prozent Musiker sei. Bis zum 22. August gibt es Konzerte in Moritzburg, Proschwitz und Dresden. Der diesjährige Schwerpunkt heißt „Deutsche Romantik“, passend zum laufenden Schumann-Jahr.