Die Atmosphäre ist vergiftet. Von einem Tag auf den anderen sehen sich einzelne Initiativen und Organisationen, die sich für Urheberrechte stark machen, mit Angriffen auch aus dem Internet konfrontiert. Das Urheberrecht hat insbesondere im Internet keinen guten Ruf, könnte man meinen. Es sind immer wieder Aktionisten unterwegs, die Webseiten wie die der GEMA oder der Initiative Urheberrecht lahm zu legen trachten und denen es auch häufig genug gelingt. Das Verständnis von freier Information und angstfreiem Austausch der Internetnutzer untereinander wird dadurch empfindlich gestört, abgesehen von etwaigem wirtschaftlichem Schaden, der dadurch hervorgerufen wird.
Wer Computersabotage wählt, anstatt sich mit Argumenten einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu stellen, disqualifiziert sich selbst“, sagt etwa Gerhard Pfenning, Sprecher der „Initiative Urheberrecht“, der unter anderem auch der Deutsche Tonkünstlerverband, der Deutsche Komponistenverband, der Composers Club oder die Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer angehören. Nun darf man sicher nicht einzelne aus dem Ruder laufende Netzradikale für die Masse der Menschen nehmen. Aber diese Wenigen haben genügend Macht, die Kommunikation nachhaltig zu stören und sie öffentlichkeitswirksam umzusetzen. Gleichwohl ist das aktuelle Urheberrecht ein steter Zankapfel, nicht nur zwischen Urhebern, Verwertern und Nutzern, sondern auch innerhalb der Politik und Gesetzgebung selbst. So wird von zahlreichen Mitgliedern der CDU das für die Entwicklung des Urheberrechts verantwortliche Justizministerium von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger der Untätigkeit gescholten. Sie habe in dieser Legislaturperiode es nicht vermocht, neue Reformen in die Wege zu leiten. Kulturstaatsminister Bernd Neumann: „Wenn das Urheberrecht als Existenzgrundlage für Kreative nicht mehr funktioniert, dann ist das System kaputt, dann wird sich Vielfalt nicht mehr aufrechterhalten lassen. Aber offenbar hat sich das auch innerhalb der Bundesregierung noch nicht komplett herumgesprochen.“ Die Regierungskoalition ist in sich zerstritten, selbst innerhalb der FDP gibt es unterschiedliche Positionen zur Entwicklung des Urheberrechts. Die „LINKE“ langweilt die Bundesregierung mit einer sogenannten Kleinen Anfrage (23 Fragen) in Sachen GEMA und macht darin geltend, dass „zahlreiche Beschwerden im Zusammenhang mit der Binnenstruktur, dem Forderungsmanagement und der Ausschüttungspraxis der GEMA, die den Deutschen Bundestag über Petitionen erreichten, (…) vom zuständigen Bundesministerium der Justiz oder einer nachgeordneten Behörde bis jetzt nicht angemessen beantwortet werden“ konnten.
In dieses gesetzplanerische Vakuum fallen die aktuellen Ereignisse, türmen sich Forderungen der Verbände und der Lobbyorganisationen auf. Endgültig im Stimmungstief angekommen ist die GEMA, Hort der komponierenden Urheber: YouTube sperrt Videos mit irreführenden, aber das allgemeine Publikum gegen die GEMA aufbringenden Hinweistafeln. Eine neue musikalische Verwertungsgesellschaft c3s (cultural collecting society) will sich neben der GEMA positionieren, das GEMA-Mitglied Bruno Kramm stellt per Klage vor dem Landgericht Berlin die Frage, ob deren Ausschüttungen an die Verlage gerechtfertigt seien, BR-Alpha will in Zukunft seine Space-Night mit GEMA-freier Musik füllen, die mit Creative-Commons-Lizenzen ausgestattet sind. Die machen die Sache nicht besser, denn mit ihnen einher geht in diesem Fall der Verdacht, dass dies zu einer Art Lohndumping für kreative Arbeit führen könnte. John Hendrik Weitzmann auf irights.info: „Beim Bayerischen Rundfunk wie auch anderswo wird ganz offen darauf hingearbeitet, mittels Creative-Commons-Inhalten die Kosten zu drücken. Denkt man sich den Fall der Space Night tausendfach skaliert, entsteht gegenüber dem unentrinnbaren alten GEMA-System ganz klar ein Preisverfall bei den Tantiemen.“
Was haben uns die Urheber nur angetan, dass man sie so schlecht behandelt? Ganz sicher tragen sie selbst ein Stück weit zu dem Dilemma bei, wenn sie einfach die neuen Wirtschaftswege der digitalen Welt ignorieren oder wenn sie sich sehr unmutig zeigen – und dies betrifft eher die junge Garde der Tantiemenverdiener als die alten GEMA-Haudegen – für ihre Rechte auch in der Öffentlichkeit geradezustehen, aus Angst vor wallenden Wogen ihrer Fans etwa. Aber der wirkliche Grund dürfte sein, dass dieses ganze Rechtsgebiet kaum noch durchschaubar ist, gleichzeitig viel mehr Menschen als in der Vergangenheit betrifft und die Selbstorganisation der Urheber auf Grund widerstreitender Interessen zwischen verschiedenen Komponisten selbst leidet. Die Solidargemeinschaft der Urheber in der GEMA ist in gewissem Sinn eine Fiktion wie es auch diejenige der ausübenden Künstler, Veranstalter, Verwerter oder Hörer ist.
Dieser Zersplitterung kann auch eine Reform des Urheberrechts nicht abhelfen, solange sie von der Vorstellung geleitet ist, eine gerechte Ordnung wäre möglich. Denn Recht ist zurzeit und gerade im angewandten Urheberrecht nur eine versuchte Gleichverteilung von Unrecht. Hans Kelsen, der große Verfassungs- und Völkerrechtler (1881–1973) wusste auf die Frage „Was ist Gerechtigkeit?“ leider auch keine Antwort. Denn es gibt sie nicht: „Absolute Gerechtigkeit ist ein irrationales Ideal“ schrieb er, relative führe jedoch zu Toleranz. Dazu muss man sich aber zuerst der Gewalt entledigen und produktiv entmächtigen. Ein erster Schritt wäre es, sich wenigstens am geltenden Recht zu orientieren und daran weiterzuarbeiten, statt es – von welcher Seite auch immer – auf Schritt und Tritt mit Füßen zu treten und spekulativ selbst in die Hand zu nehmen, wie es einem gerade gefällt.