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Theresa Kronthaler und Maureen McKay als Hänsel und Gretel an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
Theresa Kronthaler und Maureen McKay als Hänsel und Gretel an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
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Vorweihnachts- als Vorostermärchen: Reinhard von der Thannen inszeniert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ an der Komischen Oper Berlin

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Wie weit die Interpretationsbreite der meistgespielten Oper Engelbert Humperdincks reicht, hatten unter anderem Giancarlo del Monaco und Peter Sykora in Erfurt bewiesen, mit der dort nur im Abendspielplan gezeigten, drastischen Sicht auf Kindesmisshandlung. Gemeinsam mit dem Regisseur Hans Neuenfels hat Ausstatter Reinhard von der Thannen bereits für eine Reihe erhellender Musiktheater-Deutungen gesorgt.

Sein Regiedebüt an der Komischen Oper Berlin hingegen geriet beliebig und szenisch nur höchst selten auf dem Punkt. Dirigentin Kristiina Poska punktete mit der Gewichtung aufs Tänzerische und unter Herausarbeitung einiger ins 20. Jahrhundert weisender Momente der 1893 in Weimar uraufgeführten Partitur.

Bereits im Mittelteil der Ouvertüre lässt Reinhard von der Thannen auf der als Projektionsfläche dienenden Rundwand vor der Drehbühne animierte Süßigkeiten um die Wette laufen. Später gibt es darauf ein Ballett von Besteckteilen. In der Besenbinderstube ist ein Schrank zugleich die Eingangstür. Ein weißer Tisch hat in sich zwei gegenüberliegende Geschirr-Schubladen. Das Geschirr verselbständigt sich als Animation im nächsten Zwischenspiel, und im Zauberwald hängen 12 gigantische Besteckteile, aus der „Werkstatt von James Bond“ (Thannen) eines im Programmheft gefeierten Sponsors aus Gaimersheim.

Der zerbrechende Milchtopf ist ein doppelwandiger Plastikeimer. Anstelle der Hagebutte lässt der Ausstatter einen Fliegenpilz auftreten, als „Verkörperung einer anderen Art von Männlichkeit“ (Thannen). Hänsel sammelt leuchtende Bälle als Erdbeeren in einer Einkaufstüte.

Hänsel und Gretel, die sich wohl nur aufgrund des Termins der vorösterlichen Premiere gerne Hasenmasken überstülpen, werden von der Mutter in den Schrank gesperrt, ihr Vater aber kommt auf dem Dreirad aus einer H&G-Einkaufstüte ins Bühnengeschehen gefahren. In Unterwäsche und mit Bürstenschopf unter der Reitkappe, hat er 14 riesige, wackelnde Eier mitgebracht, aus denen sich jedoch wider Erwarten nicht die 14 Englein schälen. Die sind – in dem in sich abgeschlossenen Pausenbild – 14 männliche Eleven, mit nackten Oberkörpern, schwarzen Haaren und Federkrägen; nach Verklingen der Musik zeigen sie auf einen Doppelschuss, als Pausenknaller, ihre rote Pavian-Ärsche mit Affenschwänzen.

Ungeschicklichkeiten zuhauf: Asynchronität im Spiel erweist sich nicht als Mittel, sondern als Verlegenheit. All zu oft wird etwas besungen, was erst kurz darauf gestisch nachvollzogen wird. Unerklärt explodieren im Schnürboden zwei graue Gasballons, die das geschwisterliche Hasenpaar am Anfang der Geschichte an seine Gliedmaßen gebunden hatte. Am Ende der Pause müssen die Geschwister ihre Schlafposition aus der vorvorangegangenen Szene – mit Hasenmasken, unter einem schwarzen Tuch mit zwei Löchern – sichtbar erneut einnehmen, später dürfen sie ihre morgendlichen Freiübungen an Ringen vollführen.

Statt eines Lebkuchenhauses dann eine begehbare Zucker-Hexenleuchttorte. Ursula Hesse von den Steinen gibt die Hexe im grünen Pailletten-Hosenanzug mit zwei abwechselnd getragenen roten Federputzen und einer Leuchtkrücke als Zauberstab; sie leckt sich mit ihrer roten Zunge übers grün geschminkte Gesicht und singt ausschließlich mikrofonverstärkt. Ihr Hexenritt erfolgt nicht; statt dessen singt sie diese Nummer als Applaus fördernde Showbravourarie an der Rampe; dem schließt sich als Überbrückung in die nachfolgende Szene ein hilfloses Gestammel an. Gestrichen ist die Melodrampassage der Protagonisten.

Weiß, mit Mützen und dicken Bäuchen, sowie blauen Brillen gewandet, bevölkert der von Dagmar Fiebach einstudierte Kinderchor als Lebkuchenkinder die Szene, bevor die jungen Sänger im Finale in grell bunter Benetton-Farbigkeit strahlen.  Hänsel und Gretels Eltern bleiben zur Strafe in Schrankteilen eingesperrt. Die Hexe jedoch darf trotz Explosion überleben. Zu zwei erneuten Schüssen regnet es –  wie zuvor in der Stube bei Besenbinders Schnee – nunmehr buntes Glitzerkonfetti.

Gleichermaßen sehr beweglich und stimmlich gewandt verkörpern Theresa Kronthaler den Hänsel und Maureen McKay, die Gretel, allerdings mit argem Lispeln. Angenehm timbriert Tom Erik Lee den Besenbinder, Christiane Oertel hingegen die Mutter Gertrud allzu schrill. Bizarre Erscheinungen, mit optischen Bezügen zum Kabarett der Zwanzigerjahre, sind der Sandmann (Adela Zaharia) und das sich mit äußerster Mühe das Pullern verkneifende Taumännchen (Ariana Strahl).

Die vorösterliche Premiere versteht sich als Beitrag zum Wagner-Jahr. Schließlich war Engelbert Humperdinck Wagners berühmtester Assistent und in der Orchesterpolyphonie unüberhörbar dessen Schüler. Nachdem bereits der erste Einsatz verwackelt war, schwang sich das Orchester der Komischen Oper Berlin am Premierenabend nur sehr langsam zu gewohnter Qualität auf. Dirigentin Kristiina Poska nahm den Abendsegen sehr schön im Pianissimo, während der klangliche Nachvollzug des permanenten kompositorischen Anschwellens in der Engelspantomime wenig überzeugend gelang. Besser aufgehoben bei der Dirigentin waren die tänzerischen Momente des dritten Bildes und die Skurrilität der Hexenmusik, von Poska schrill herausgearbeitet.

Das mit erfreulich vielen Kindern und Jugendlichen durchsetzte Publikum vermochte der zwar bunten, in sich aber wenig stimmigen Sicht auf das Opernmärchen nur schwer zu folgen. Gleichwohl sparte es am Ende nicht mit Applaus, insbesondere für die jungen Choristen.

Weitere Aufführungen: 27., 31. März, 4., 6., 10., 11., 14. 19. April, 19. Mai, 28. Juni 2013.

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