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Susan Maclean, Matthias Klink und Bo Skovhus in der Düsseldorfer Strawinsky-Premiere. Foto: Hans Jörg Michel
Susan Maclean, Matthias Klink und Bo Skovhus in der Düsseldorfer Strawinsky-Premiere. Foto: Hans Jörg Michel
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Wahre Liebe auf, vor und um das Theater herum: Igor Strawinskys „The Rake’s Progress“ an der Deutschen Oper am Rhein

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Düsselorf/Duisburg, im Mai. – Wahre Liebe muss so sein. Sie kämpft um die Geliebte wahlweise um den Geliebten. Gerade, wenn es hart kommt, gerade wenn der Andere sich liederlich verhält. Wie jetzt an der Deutschen Oper am Rhein, wo die seit 1956 bestehende Theaterehe mit Duisburg vom Verwaltungsvorstand der Nachbarstadt zur Kündigung empfohlen ist. Keine Frage: Dies ist die Stunde von Trulove.

Kaum war der Mai gekommen, da läuteten an Düsseldorfs Heinrich-Heine-Allee die Alarmglocken. Seitdem stehen Petition nebst Unterschriftenliste online. Gut 20.000 Opernfreunde bekunden, das Schlimmste verhindern zu wollen. Klar, dass sich so auch das Theater seine Brücken ins Leben suchen muss. Gewöhnliche Premierenabende bekommen da schon einmal eine speziell dramaturgische Note. Wie eben jetzt. Bevor sich der Vorhang hebt zu Strawinskys „The Rake’s Progress“ (der „Karriere eines Wüstlings“ wie gleich zu Anfang ein herrlich timbrierter Bo Skovhus ins Publikum zischelt) steht die Chefdramaturgin des Hauses zusammen mit Ensemblemitglied Anett Fritsch vor der Rampe. Botschaft: Diese Ehe darf nicht scheitern!

Und als wollte Fritsch ihrer außertheaterlichen Mission Nachdruck verleihen, den Duisburger Scheidungsantrag abzuwenden, setzt sie als Trulove ihrem Fremdgeher und liebenswerten Wüstling Tom Rakewell bis zuletzt nach. Keine Station der Niedrigkeit, der Liederlichkeit lässt sie aus. Bar, Friedhof, Irrenhaus – Trulove ist vor Ort, stets kenntlich an ihrem biederem Kostümchen und ihrem Glockensopran, mit dem sich Fritsch als Verkörperung der wahren Liebe, als Wiedergänger Florestans, den Shadows dieser Welt entgegenstellt.

Ein Füllhorn

Ensemble, Opernchor, Opernorchester vor allem leisten Außerordentliches. Aus dem Graben strömt an diesem Abend authentischer Strawinsky. Axel Kober schafft es, das neoklassizistische Füllhorn des Meisters zu keinem Zeitpunkt abgestanden aussehen, nach ‚Alter Musik’ anhören zu lassen. Dem Verführen, Verführtwerden, Verführenlassen auf der Bühne (kaum möglich, die Zeitumstände einer zu Kompositionsbeginn 1947 gerade beendeten Jahrhundertkatastrophe mitzudenken) korrespondiert diese eigentümlich verstellte Musik, die die Aktionen der Rakewells, der Shadows zugleich illustriert, kommentiert und dechiffriert.

Gemessen an dieser fließenden, Disparates verschmelzenden Klangmontage bleibt der inszenatorische Entwurf statisch. Willy Decker-Schülerin Sabine Hartmannshenn hat sich entscheiden müssen und hat sich für die Strawinsky-Quellen respektive Strawinsky-Animationen Edward Hopper und William Hogarth entschieden. Aus beiden holt sie sich Inspiration und Material. Da wechselt die einsame Straße, die verrufene Stelle, das biedere Heim (Bühne: Dieter Richter) mit dem historisierenden Interieur der Hogarth’schen Kupferstiche. Das Problem dabei: Zu schnell ist die Musik darüber hinweg und lässt das ganze Arsenal aus korinthischen Säulen, Tapeten, Neonleuchten, Straßen wie etwa in der finalen Irrenhausszene buchstäblich alt aussehen. Überwundener Geschichtsplunder.

In der Personenführung, im Choreografischen ist Hartmannshenn beweglich, gelangt aber selten über das Erwartbare hinaus. Zu oft schlägt Groteskes in Klamottiges um. Zu sehr ist hier überhaupt der Epilog immer schon mitgedacht, in dem die Spieler von den Toten aufstehen, um vor die Rampe die Moral zu verkünden. Das Veranstaltete, das Theater ist, etwas, was den Komponisten im Schöpfungsprozess motiviert hat, wirkt in der Umsetzung wie Fahren mit angezogener Handbremse.

Eine wahre Empfehlung

So bleibt an diesem schwülen Düsseldorfer Opernabend die Musik. Bleibt ein Sänger-Ensemble ohne Ausfall. Neben Anne Fritsch und Bo Skovhus brilliert Matthias Klink als überaus klarer, fast adretter Wüstling Tom Rakewell und Susan Maclean als pfundige Baba Türk. Ungetrübte Freude geht von den Düsseldorfer Symphonikern aus, die hier in kammermusikalischer Besetzung angetreten sind und von Axel Kober ohne große Hänger bei Spiellaune gehalten werden. Alles klar.

Womit denn feststünde: An diesem Strawinsky wird sich auch das ehemüde Duisburg erbauen können. Überhaupt sind es ja gut und gern einhundert Vorstellungen pro Saison, Opern- und Ballettproduktionen, die von Düsseldorf ausgehend auch im Theater an der Neckarstraße gezeigt werden. Kaum vorstellbar, dass es dort irgendjemand gibt noch geben kann, der dies alles mit einem Federstrich abwickelte.

Dem Rat der Stadt Duisburg sei mithin nicht die Kündigung, sondern der Vorstellungsbesuch empfohlen. Nur, wer die Selbstprovinzialisierung will, kann es sich leisten, nicht vom Ende her zu denken. (Macht man im fernen Berlin, wie zu hören ist, auch so.) Andernfalls steht die Kinder- und Jugendarbeit ebenso zur Disposition wie die Duisburger Philharmoniker, die zwei Drittel ihres Deputats über den Operndienst bestreiten. Mit Betonung auf Oper. Auf Trulove.  

Hinweise:
31. Mai, 19.00 Uhr: Öffentliche Informationsveranstaltung im Theater Duisburg
5. Juni, 15.00 Uhr: Gemeinsame Kulturausschuss-Sitzung Duisburg und Düsseldorf
25. Juni, 15.00 Uhr: Sitzung des Rates der Stadt Duisburg

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