Hauptbild
Kerstin Avemo und Ursula Hesse von den Steinen in Hosokawas "Hanjo". Foto: Paul Leclaire
Kerstin Avemo und Ursula Hesse von den Steinen in Hosokawas "Hanjo". Foto: Paul Leclaire
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Warten bis zur Selbstaufgabe: Toshio Hosokawas Kammeroper „Hanjo“ bei der Ruhrtriennale

Publikationsdatum
Body

„Alle Liebe ist schrecklich und da gibt es keine Regeln“ ist einer der dunklen Sätze, die in der Kammeroper „Hanjo“ auf eine Schattenwelt jenseits der großen Gefühle verweist. Und gerade einmal anderthalb Stunden benötigte dieses vom Japaner Toshio Hosokawa komponierte Bühnenstück, um Grenzerfahrungen von Verzweiflung, brennender Sehnsucht und Selbstaufgabe extrem zu verdichten – und mit so etwas eine der stärksten und zu recht stürmisch gefeierten Produktionen bei dieser Ruhrtriennale zu liefern.

Der szenische Ausgangspunkt mit der Geisha Hanako, die vergeblich auf ihren Liebhaber wartet, ist einem uralten Stück aus der höfischen „No“-Tradition entlehnt – aber die hier zugrunde liegende Neu-Interpretation durch den Autoren Yukio Mishima verweist auf eine Warte-Situation im Becketschen Sinne. Hierfür liefert Regisseur Calixto Bieito ein nocturnohaftes, aber gleichsam bestürzend katastrophales Szenario.

Geschotterte Bahngleise weisen bedrohlich mitten ins Publikum hinein, als müsse man Angst haben, gleich überrollt zu werden (Bühnenbild: Susanne Gschwender). Nacht, Nebel und viel bleiches Licht erinnern an manche Stimmungen in einem Film von Michael Haneke. Die Sprache ist oft mit schweren Metaphern und einer latenten Traurigkeit durchdrungen. Doch erst einmal wird gar nicht gesprochen bzw. gesungen und auch später sind die Worte so ökonomisch gesetzt, dass maximaler Raum für symbolträchtige Mimik und Körper-Expression bleibt – so will es asiatisches Theater im allgemeinen und auch Calixto Bieitos Regie im besonderen.

Hanako (Kerstin Avemo) schleppt sich auf den Schienen vorwärts, in (Todes-) Zuckungen verzerrt. Manchmal balanciert sie auf einer Schiene. Ihr wartendes Dasein ist ein verzweifelter Balanceakt auf einem schmalen Grat. Für die unablässig Wartende und verzweifelt Liebende sind alle anderen Menschen tot. Bis auf jenen Mann, der nicht zurückkommt. Sie ist als Lustmädchen betont nuttenmäßig hergerichtet, aber die weißen Farbtöne wirken auch wieder unschuldig und schwach (Kostüme: Anna Eiermann).

Sie wartet weiter und ist derweil in die Obhut der frustrierten Künstlerin Jitsuko (Ursula Hesse von den Steinen) geraten, die die Schönheit des jungen Mädchens vergöttert, sich vor allem aber an dessen Verzweiflung weidet und Hanako mittels perfider Manipulation in einen goldenen Käfig einhüllt. Denn Jitsuko giert nach dem Unglück anderer und kompensiert damit den Umstand, dass sie selbst nicht lieben kann – und nie geliebt wurde.

Immer wieder lassen die drei aus einem oft lakonisch-rezitativischen Sprachgesang ihre dramatischen Crescendi aufbrausen, Schmerz wie auch zärtliche Sehnsucht expressiv artikulierend. Kerstin Avemo als Hanako wirkt zerbrechlich und fragil – steigert ihren Koloratursopran aber immer wieder in gleißende Farben hinein. Ursula Hesse von den Steinen als Jitsuko beeindruckt durch das aufregende dramatische Potenzial ihres Mezzosoprans und hat überhaupt in diesem beängstigenden Kammerspiel den präsentesten, letztlich handlungsleitenden Part. Wenngleich auch sie ebenfalls eine Getriebene ist. Georg Nigl als vermisster Liebhaber setzt zunächst drängende Urkräfte entgegen, als er abrupt und begleitet von lauten Trommelschlägen und aufblitzenden Scheinwerfern in die hermetische Frauenwelt herein bricht.

Für einen illusorischen Moment könnte das Warten beendet scheint. Doch Hanako erkennt den Herbeigesehnten nicht mehr. Hat das stilisierte Traumbild des Angebeteten längst jede physisch greifbare Wirklichkeit überholt? Muss Hanako den – warum auch immer – abtrünnigen Liebhaber zurückweisen, weil der gebrochene Stolz der Sitzengelassenen keine andere Reaktion im „real life“ gebietet? Fast könnte man hier an jene merkwürdigen „online-Beziehungen“ denken, wo Menschen nach jahrelanger virtueller Annäherung endlich physisch aufeinander treffen. Was dann nicht selten katastrophal scheitert. Katastrophal scheitert auch die Begegnung zwischen Hanako und Yoshio. Letztlich sind alle zu tragischen Opfern ihrer selbst geworden – vor allem Yoshio, der sich ertränkt.

Wie ein dunkler, schwerer Atem steht das Spiel des Orchesters der musikFabrik (musikalische Gesamtleitung: Gerry Walker) hinter den Gesangsparts. Meist sind es dichte Flächenklänge, die ihre Farbnuancen verändern, in denen atmosphärische Glissandi und Harfenarpeggien wie zarte Hoffnungschimmer funkeln und wo zwischen meditativer Trance und schneidendem Ausbruch doch eine erstaunliche Bandbreite besteht. Und es sind deutlich spürbare fernöstliche Muster in diesen Klangteppich eingewebt.

Toshio Hosokawa sprach einmal von einer Art „musikalischen Kalligrafie“ wenn die Frage auf die Organisation von Tönen und melodischen Abläufen in seinem Opernschaffen kommt. Bezeichnenderweise hat Hosokawa lange Jahre in Deutschland Komposition studiert, um sich mit diesem Erfahrungshintergrund auch wieder der klassischen Musiktradition im eigenen Lande anzunähern. In Japan sei doch häufig zu wenig auf die eigenen Wurzeln Rücksicht genommen worden, vieles sei sehr einseitig auf eine Adaption westlicher Kulturwerte ausgerichtet, so der Komponist.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!