Dort, wo in der Pause das Pils ausgeschenkt wird, im Foyer von Kampnagel stehen vier Schlagzeuger hinter dem Tresen und schieben die Gläser auf dem Tresen hin und her. Reiben auf und an Gläsern. Sie schlagen ganz vorsichtig die Gläser aneinander. Sie finden Gegenstände mit denen sie hantieren. Besen, Schraubenschlüssel, Feilen. Man sieht fast nichts. Was man hört ist Geheimnis.
Über Mikrophone an den Handgelenken wird Bewegung von Körper, Raum und Materie Klang. Das Foyer klingt. Seine Tische, Bänke, Wände, Streben. Eine Treppe wird zum Riesen-Templeblock, der Boden zum Tamtam, die Sicherungskästen zum Glockenspiel. Faszinierter Applaus für Matthias Kaul und Mitstreiter.
Dort, wo vor dem Orchester der Sänger steht, der Solist im Frack, steht Saul Williams, die Poetry-Slam-Größe und mit ihm eine Gruppe von 8 bis 10 jungen Menschen. Sie blicken zu ihm, folgen seinen Bewegungen, seiner Stimme. Seine Stimme ist durchartikuliert und phonetisch reich, sein Text ist Rhythmus und Farbe, das Orchester reagiert wie ein riesiges Ohr, das den Klang und das Staccato der Sprech-Stimme aufsaugt und verwandelt und als neue Stimme, als ein riesiges „Orchester-Sprech“ zurückgibt, aufbauscht, dagegen spricht. Fauchend, kratzend, rhythmisch gehämmert und lyrisch schwelgend: immer wieder zurückfahrend, immer wieder wie zuhörend fällt das Orchester bei: „said the shotgun to the head“ von Thomas Kessler nach einem Gedicht von Saul Williams unter der Leitung von Jonathan Stockhammer wie in ein Lauschen. Der Chor der Jugendlichen hängt sich an Silben und Laute von Williams Textkaskaden, hakt sich ein, hält Fetzten fest, gerät in Raserei, beruhigt sich. Die Gruppe der jungen Rapper schwärmt aus, um sich unter die Hamburger Symphoniker zu mischen, einige dirigieren einzelne Gruppen, die Celli, die Bläser, unbeholfen, ungelenk vielleicht, aber völlig ernst und aufgehoben in der Magie der Klangerzeugung, der Klangverwandlung, die von Williams Text und der Textdarstellung ausgeht. Frenetischer Applaus.
Dort, wo vielleicht ängstliche Etatverwalter sitzen oder Quoten-Schieler, sitzt Christiane Leiste mit einem entwaffnenden Lächeln und sagt: „Eigentlich ist das gar nicht möglich, was wir hier machen. Eigentlich geht’s gar nicht“. Aber es geht. Warum? Weil hier einige Leute (es sind eigentlich alles Frauen) also mal wieder: die Frauen keine Angst haben vor einem möglichen Scheitern, nicht meckern sondern machen. Und mit den Hamburger Klangwerktagen (Ausgabe 5) ein Festival für Neue Musik auf die Beine stellen, das in seiner Vielfalt, Buntheit, ja auch vielleicht mal Unausgegorenheit vieles in den „Klangschatten“ stellt, was sonst bundesweit zu hören und zu sehen ist. Allein, dass in diesem Jahr mit Wolfgang von Schweinitz und seinen hochdifferenzierten atemverschlagenden Naturton-Kompositionen und Mathias Spahlinger mit seinen großformatigen „Farben der Frühe“ für sieben Klaviere zwei so gegensätzlich profilierte Komponisten aufgeführt wurden und zu Wort kamen, zwischen dem Auftritt eines veritablen Alphornquartetts, zeigt die Unerschrockenheit der Festivalmacherin Leiste. Fazit: weiter machen, solche Mischung braucht das Land.