Als im Februar 1989 in Berlin-Kreuzberg die Konzertreihe „Unerhörte Musik“ begann, wurde dies in der Presse enthusiastisch begrüßt. Denn endlich sollte es hier unabhängig von Festivals einen Ort geben, an dem man sich regelmäßig über neue Trends der zeitgenössischen Musik informieren konnte. Tatsächlich haben die Komponisten Rainer Rubbert und Martin Daske, die beiden Initiatoren, von diesem Tag an jede Woche interessante Programme mit attraktiven Interpreten präsentiert.
In den Dachgeschossräumen des BKA (Berliner Kabarett-Anstalt) konnte man seit 1989 immer wieder Entdeckungen machen. Auch nach dem 1000. Konzert haben sich die Veranstalter nicht auf die faule Haut gelegt. Vielmehr ließen sie ihrer Phantasie freien Lauf, spannten ihr Kontaktnetz weit auf und fanden immer wieder neue Zugangswege zu zeitgenössischen Klängen. Eine große Vielfalt von Musikrichtungen aus aller Welt wurde dabei auf hohem Niveau unter wechselnden Aspekten vorgestellt.
Der Berliner Senat, der diese Reihe 25 Jahre lang förderte, hat aus unerfindlichen Gründen beschlossen, die Förderung im nächsten Jahr einzustellen. Sollte diese einzige wöchentliche Konzertreihe für Neue Musik in Deutschland zum Aufgeben gezwungen werden, verlöre die Neue-Musik-Szene Berlins einen ihrer wichtigsten Vermittlungsorte.
Die Nachricht von der merkwürdigen Senatsentscheidung stieß bei vielen Musikfreunden auf Empörung und Unverständnis. So wies Aribert Reimann in einem Brief an Kulturstaatssekretär Tim Renner auf die Verdienste der Programmverantwortlichen hin: „Gerade die stilistische Offenheit für alle vielfältigen Strömungen in der Neuen Musik ist ein spezielles Anliegen der Komponisten Rainer Rubbert und Martin Daske, die diese Reihe durch viele Jahre selbstlos mit großem Engagement zu etwas Einmaligem gestaltet und geprägt haben mit einem begeisterten Publikum.“ Ein Ende dieser Konzertreihe wäre laut Reimann „ein unfassbarer Verlust nicht nur für Berlin, sondern auch für den gesamten deutschsprachigen Raum, da die ‚Unerhörte Musik‘ weit und breit die einzige Reihe ist, die wöchentlich ein Konzert mit Neuer Musik veranstaltet. Für viele junge Komponisten ist diese Konzertreihe ein Forum, ihre Werke einem interessierten Publikum vorzustellen, ebenso für viele junge Interpreten auf allerhöchstem Niveau.“
Charlotte Seither nannte in ihrem Votum die „Unerhörte Musik“ das „Rückgrat der Freien Neue Musik Szene“ und einen unschätzbaren Dreh- und Angelpunkt für Ensembles und Komponisten. „Die Unerhörte Musik ist Herzschlag und Lebensader der Neuen Musik in Berlin.“ Was wird durch die Einstellung eigentlich gespart, fragte Matthias Zschokke: „Die Mittel, die zur Weiterführung benötigt werden, stehen im Verhältnis zum Ruf, den die Reihe über die Grenzen der Stadt hinaus genießt, in keinem Verhältnis.“
Vielen heute bekannten Komponisten und Interpreten bot die „Unerhörte Musik“ erstmals eine Möglichkeit, sich einem Fachpublikum vorzustellen - auch für den Australier Brett Dean, der als Bratschist der Berliner Philharmoniker erst allmählich in die Komponistenrolle hineinwuchs. Als der mittlerweile international bekannte Komponist jetzt von der drohenden Einstellung dieser Reihe erfuhr, empörte er sich spontan über die Senatsentscheidung. Neben ihm, Aribert Reimann und Matthias Zschokke haben sich bislang schon die Komponisten Helmut Zapf, Helmut Oehring, hespos, Sidney Corbett, C. René Hischfeld, Peter Ablinger, Max E. Keller, Isabel Mundry, Orm Finnendahl, Susanne Stelzenbach, Ralf Hoyer und Ulrich Krieger mit Protestbriefen an den Senat gewandt. Ihr Unverständnis äußerten auch der Landesmusikrat Berlin, die Akademie der Künste, die Deutsche Gesellschaft für elektroakustische Musik sowie viele Interpreten und Ensembles. Für das Jahr 2015 ist die Entscheidung endgültig gegen die „Unerhörte Musik“ gefallen. Zu hoffen ist jedoch, dass ab 2016 die bisherige Förderung wieder aufgenommen wird – falls Rainer Rubbert und Martin Daske dann dafür noch zur Verfügung stehen.