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Larissa Neudert als Christelflein. Foto: Christian Enger
Larissa Neudert als Christelflein. Foto: Christian Enger
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Weihnachtsopern? „Christelflein“ in Hamburg, „Königskinder“ in Berlin

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In Deutschland gibt es den schwer nachvollziehbaren Brauch von Weihnachtsopern, Musiktheaterstücken, die eigentlich mit dem Weihnachtsfest gar nichts zu tun haben, aber in der Regel nur zu Weihnachten gespielt werden, und dieser Plural lässt sich in der Regel auf den Singular einer einzigen Oper reduzieren, auf Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“.

Bestenfalls das Haus aus Lebkuchen, schafft eine Brücke, oder eben die offenbar weiter gültige Tatsache, dass man der Kinder in der Vorweihnachtszeit mehr gedenkt und auch eher geneigt ist, sie in eine Oper mitzunehmen, eben in eine Märchenoper, paart sich mit der dem weihnachtlichen Saisongebäck verwandten Dekoration des Lebkuchenhauses im sommerlichen Schlussakt. Aber eigentlich hat dieses, wie auch das Handlungsmotiv, dass die böse Knusperhexe selbst zum Lebkuchen verbrannt wird, nichts mit Weihnachten zu tun.

„Königskinder“, Humperdincks beste Märchenoper, endet hingegen wenigstens im Winterschnee, in dem das von der republikanischen Umwelt vertriebene Liebespaar friert, bis es an einem vergifteten Lebkuchen zugrunde geht. Das Libretto dieses Kunstmärchens par excellence stammt von Ernst Rosmer. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich die jüdische Dichterin Elsa Bernstein-Porges (1866–1949), gegen die Cosima Wagner heftig polemisierte, wobei ihr unbeugsamer Antisemitismus sich mit der für sie unliebsamen Tatsache verband, dass Elsas Vater der von Richard Wagner zärtlich geliebte Münchner Liszt-Schüler Heinrich Porges war, ein illegitimer Sohn Franz Liszts und damit Cosimas Halbbruder. (Immerhin hat deren Schwiegertochter Winifred die prominente Dichterin Elsa Bernstein-Porges aus dem KZ Theresienstadt gerettet, nicht jedoch deren Schwester Gabriele, eine weitere Liszt-Enkelin.)

Der Opernfassung voraus gegangen war die 1897 in München uraufgeführte Melodram-Fassung „Königskinder“, bei der Humperdinck erstmals Rhythmus und Tonhöhe fixiert notiert hat, was dann unter anderem von Arnold Schönberg für „Pierrot Lunaire“ übernommen wurde. Die 1910 an der Metropolitan Opera uraufgeführte Oper ist in den vergangenen Jahren mit Inszenierungen in München und Zürich auf große Bühnen zurückgekehrt, und nicht nur Dirigenten wie Armin Jordan oder Fabio Luisi bekannten sich zur Schönheit dieser Partitur, sondern auch Michael Gielen, von dem man wohl nicht unbedingt erwartet hätte, dass er gerade „Die Königskinder“ als seine „Lieblingsoper“ benennt.

Nun ist die Opernpartitur auch nach Berlin, an den Ort der deutschen Erstaufführung (1911, unter Leo Blech) zurückgekehrt, allerdings nicht an die Lindenoper, sondern in die Philharmonie. Im Rahmen seines Spielzeitmottos „Aufbruch 1909“ leitete Ingo Metzmacher das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin schwungvoll und ausdrucksstark. Besonders gelungen die Fernwirkungen, etwa die in der Höhe des Scharoun-Baus erklingende Solovioline oder den sonst hinter die Bühne verlegten, ersten Gesang des Spielmanns, begleitet von drei gezupfte Solostreichern. Im dritten Akt betonte der Dirigent die Nähe dieser Partitur zur Moderne, insbesondere mit den offen liegenden Celesta-Klängen. Die sehr helle Stimme von Klaus Florian Vogt als Königssohn, Juliane Banses intonationsgetrübte Gänsemagd oder die aktikulatorisch grob polternde Gabriele Schnaut als Hexe ließen einige Wünsche offen. In der Interpretation des Spielmanns durch Christian Gerhaher wurde hörbar, mit welch anderen Registern der junge Fischer-Dieskau oder auch Prey diese Rolle ausgestattet haben. Eine positive Überraschung bot jedoch der kurzfristig eingesprungene Christian Hörl als Holzhacker. Und auch der von Sabine Wüsthoff einstudierte Märchenchor mit dem Volkston-Einschlag und den finalen, tränendrüsenreizenden „Königskinder“-Rufen bot eine einwandfreie Leistung.

Eine andere Weihnachtsoper in deutlicher Nähe zur Entstehung der „Königskinder“-Oper, war im „Jungen Forum Musik + Theater“ in Hamburg zu erleben: Den seltenen Fall einer deutschen Christmas-Pantomime mit Tanz, Gesang und Dialogen in Prosa stellt das 1906 komponierte „Christelflein“ von Hans Pfitzner dar. Spät hat der Komponist die Spezifik dieses seines Werkbereichs richtig umrissen, wenn er 1945 schrieb, das „Christelflein“ „wäre gerade für die Amerikaner etwas gewesen“. Allerdings distanzierte sich der Komponist von der gemeinsam mit der Dichterin Ilse von Stach, seiner kurzzeitigen Geliebten, geschaffenen Fassung, die – wie Humperdincks Erstfassung der „Königskinder“ – vorwiegend aus Melodramen bestand. Ohne die Zustimmung von Stachs verwandelte Pfitzner das dreiaktige Stück zehn Jahre später zu einer zweiaktigen Spieloper mit gesprochenen Dialogen – allerdings leider keineswegs zum Vorteil des Werkes.

Der Komponist erweiterte drei Nummern und ergänzte fünf Musikstücke, veränderte aber hauptsächlich den Schluss des Werkes. Mit der Errettung des todkranken Trautchens wird auch diese Handlung (wie schon Pfitzners „Der arme Heinrich“) zu einer Erlösungsoper durch ein Opfer, welches die Hauptfigur bringt – und das hier obendrein den Titel begründet. Denn anstelle von Trautchens Seele wird das Christkind das Elflein mit in den Himmel nehmen, und zur Tröstung des Tannengreises darf es einmal im Jahr, zur Weihnachtszeit, wieder hinunter auf die Welt, eben als Christ-Elflein.

Diese Oper, die tatsächlich den bürgerlichen Weihnachtsabend mit Bescherung und Lichterbaum auf die Bühne bringt, stellt der natürlichen Ebene der Menschen steht eine zweigeteilte übernatürliche gegenüber, nämlich die der Naturgeister – mit Tannengreis, Elflein, Tannenjunker und Tannenjungfrauen als Bäume des Waldes – sowie die des Christentums. Die Partitur enthält eine umfangreiche Ballettmusik, deren Ursprünge im „Überbrettl“ liegen und sich als durchaus verwandt erweisen mit Alexander Zemlinskys Überbrettl-Beiträgen.

In der für Pfitzner wohl wichtigsten Neukomposition der Opernfassung, dem Lied Knecht Ruprechts über die deutsche Tanne (Nr. 10) spielt viel Entstehungszeitliches mit: Der erste deutsche Kriegersmann, in C-Dur gesetzt, kommt im Himmel an. Angesichts des ersten Weltkrieges wird nur allzu naheliegend gesagt, „bald kommen ihrer mehre“. Konsequent ist denn auch die Schlussaussage der Oper eine politische. Das Finale erhebt das häusliche Weihnachtsfest zur deutschen Weihnacht schlechthin. Zu dem am Ende gegenüber der Urfassung leicht modifizierten Text des Chores tritt die Solostimme des Tannengreises und erhebt als Fazit den häuslichen Kreis der aristokratischen Familie Gumpach, die zum Weihnachtsfest auch die Kinder des Dorfes in ihre gute Stube lässt, zum Prototyp einer deutschen Familie: „Ein seliges Volk und ein begnadetes Volk.“

In Hamburg sang der Tannengreis diesen Schlusssatz mit dem Rücken zum Publikum, und auch sonst mühte sich die von Regisseur Jan Eßinger in den Dialogen modernisiere, mit vielen Detaileinfällen aufwartende, Inszenierung um eine märchenhaft verallgemeinernde Aussage. In Sonja Füssis Bühnenbild fährt das Elflein auf Schlittschuhen einher, was die Sopranistin Neudert so virtuos realisiert, wie sie den stimmlichen Schwierigkeiten der mehr als einmal Strauss’ Zerbinetta (in der Zweitfassung) vorwegnehmenden Rolle bravourös gerecht wird. Ihre Fahrten füllen die ausladenden Tänze kürhaft, der tanzende deutsche Wald wird hingegen auf eine Videoanimation von Totenköpfen reduziert. Die weiteren jungen Gesangssolisten mühen sich redlich, und ein Chor sehr junger Kinder, die „Happy Voices“ des Hamburger Konservatoriums, rühren ob ihrer Unbekümmertheit. Das endlich wieder einmal eine Opernproduktion des Forums der Hochschule für Musik und Theater Hamburg begleitende Hochschulorchester unter René Gulikers wird Pfitzners seltsam ambivalentem Klangsinn durchaus gerecht. Die Technik aber distanzierte sich per Aushang „von den Äußerungen des unbelehrbaren Antisemiten Hans Pfitzner“ und beteiligte „ sich nur im Rahmen ihrer Dienstpflichten an dieser Produktion“.

Ein Symposion zum Thema „Kunst und Moral – Pfitzner kontrovers“ wird am 11. Januar nachgeliefert. Im Jungen Forum Hamburg bleibt das „Christelflein“ aber auch nach den Aufführungen von Pfitzners Weihnachtsoper musikalisch zu Hause, denn der Pausengong ertönt hier seit je im Rhythmus und Intervall von Pfitzners Christkindchen.

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