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Weit zurücklehnen vor dem großen Sprung

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Überlegungen zu derzeit geführten Debatten über Institutionen
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In den letzten Jahren hat sich in die Diskussionen über zeitgenössische Musik ein merkwürdig frotzeliger Ton eingeschlichen. Wo kommt er her? Zu beobachten ist er zum Beispiel in den Feuilletons auch der großen überregionalen Zeitungen, die nicht mehr, wie bis in die 80er-Jahre hinein, eine ästhetische Debatte über neue künstlerische Produktionen anstrengen, sondern mehr das Surrounding beobachten. Das muss dann auch kein versierter Kritiker sein, es genügt mit flotter Schreibe Highlights zu schildern.

In den letzten Jahren hat sich in die Diskussionen über zeitgenössische Musik ein merkwürdig frotzeliger Ton eingeschlichen. Wo kommt er her? Zu beobachten ist er zum Beispiel in den Feuilletons auch der großen überregionalen Zeitungen, die nicht mehr, wie bis in die 80er-Jahre hinein, eine ästhetische Debatte über neue künstlerische Produktionen anstrengen, sondern mehr das Surrounding beobachten. Das muss dann auch kein versierter Kritiker sein, es genügt mit flotter Schreibe Highlights zu schildern.

Diese Trendwende in den Medien ist zwar zu bedauern, die Fakten aber haben sie nicht selbst geschaffen. Sie beruhen auf einem geänderten Werteverständnis der jüngeren Generation, die mit Kriterien von In und Out agiert, mit dem Bauchgefühl des geilen Erlebnisses, das keiner weiteren Begründung bedarf. Dies ist nun nicht einfach abschätzig zu behandeln, denn wir alle wissen, welche Rolle solche „bequemen“ Urteile in unserem Alltag spielen. Dennoch aber bringen sie, gerade in einer Kunst, die nicht dem bloßen Vergnügen dienen, sondern ernst genommen werden will, entschiedene Defizite mit sich.

Die Darmstädter Ferienkurse standen nun, nicht zuletzt in einem Blog (so die neumodische Bezeichnung einer Internet-Plattform) der neuen musikzeitung, zur Diskussion. Zum Vorwurf wird gemacht, dass die Institution ihre innovativen Potenziale verloren hätte, dass es eine Versammlung alter, mehr oder weniger verdienter Gurus sei, während sich auf der Basis ein mehr und mehr verschulter Betrieb einstelle. Und schnell ist man mit der Forderung bei der Hand: Auf den Misthaufen der Geschichte damit. Wer da Einspruch erhebt, läuft Gefahr, schnell als unverbesserlicher Altavantgardist abgetan zu werden, denen mittlerweile das Odium des ewig Gestrigen anhafte. Nun ist es freilich so, dass zu jeder echten Avantgarde ohnehin das Gestrige gehört. Denn wer weit springen möchte, muss sich weit zurück lehnen. Luigi Nono, gewiss großer Nachkriegsavantgardist, griff in seinem Kompositionsunterricht immer wieder auf die Vokalmusik der Renaissance zurück, von Schönberg wissen wir Vergleichbares. Den Leuten aber, die jetzt auf Darmstadt einprügeln wie auf einen ehemaligen Gefängniswärter, könnte blühen, dass sie letztlich doch nur ganz kleine Sprünge tun.

Fraglos haben die Ferienkurse die Sprengkraft verloren, die sie in den 50er- bis 80er-Jahren hatten. Es liegt aber kaum so sehr an ihnen, wie an einer breiten Masse junger Studenten, die sich von hier aus eine Eintrittskarte zu den großen Festivals erhoffen und dafür die Erfolgsrezepte geliefert bekommen möchten. So einfach aber ist es nicht; das sollte jeder wissen, der Musik schreiben will, mit der er etwas bewegt. Das geht nur mit einer eigenen, vielleicht noch undeutlichen Position oder Vision, womit er sich den Lehrenden wie Mitstudierenden widersetzt, womit er vielleicht auf totale Ablehnung stößt, womit er die Gefahr des Scheiterns auf sich nimmt. Der Mittelweg ist in der Kunst der einzige, der nicht nach Rom führt, hat Schönberg einmal betont. Bei vielen jungen Komponisten aber scheint er dennoch der attraktivste. Heraus kommen Arbeiten wie von der Stange.

Wir sollten nicht vergessen, wie viel Darmstadt in seiner Geschichte für das musikalische Bewusstsein geleistet hat. Lange Zeit gab es eine erfrischende Debattenkultur, wo sich die Jüngeren (oder von anderswo her Kommenden) gegen die schon Etablierten auflehnten und für jeweils neuen Zündstoff sorgten. Das waren Cage gegen die erste Avantgarde, dann Ligeti, Lutoslawski, Lachenmann, Schnebel, später Rihm und andere. Aus diesen heftig geführten Diskussionen sind viele beobachtende Komponisten (und natürlich auch die Beteiligten selbst) mit Zugewinn hervor gingen. Das setzte sich auch später fort. Die Begegnung etwa mit Feldman war für viele junge Musikschaffende eine prägende Erfahrung. Es ist nicht einzusehen, warum solche Erlebnisse nicht auch heute wieder gemacht werden sollten.

Der Frust der jungen Generation erklärt sich aus dem Missbehagen an der fraglos akademischer werdenden Situation in Darmstadt und zum zweiten an der Ausweglosigkeit, der sie sich konfrontiert sieht. Denn fraglos besuchen manch „brave“ Komponisten den Durchlauferhitzer Darmstadt, um sich hier die Passagierscheine für die großen Festivals abzuholen. Natürlich ist das nicht der Weg. Aber auch die Arbeiten der verbal Aufbegehrenden finden in der Regel keine größere Akzeptanz. Selbst dann nicht, wenn Maßnahmen des Anbiederns ergriffen werden.
Kunst ist eine viel zu ernste Sache, als dass ihr mit solchen kleinen Palastrevolten geholfen werden könnte. Angepackt werden muss schon bei der Debatte über sie, vor allem aber muss sie selbst ohne Rückendeckung bis zum Äußersten gehen. Das Kunstwerk, das uns radikal Neues zu hören gibt, allein zählt. Darmstadt kann hier nur Unterstützung sein und darauf wollen wir nicht verzichten.

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