Hauptbild
Maria Magdalenas Version der Geschichte: Nathan Gun (Jesus) und Sasha Cooke (Maria Magdalena) in Mark Adamos Oper. Foto: Cory Weaver/ San Francisco Opera
Maria Magdalenas Version der Geschichte: Nathan Gun (Jesus) und Sasha Cooke (Maria Magdalena) in Mark Adamos Oper. Foto: Cory Weaver/ San Francisco Opera
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Weniger Rummel als erwartet: Uraufführung von Mark Adamos „The Gospel of Mary Magdalene“ an der San Francisco Opera

Autor
Publikationsdatum
Body

Auch die San Francisco Opera greift die Frage auf, die schon im Roman „Sakrileg“ (original „The Da Vinci Code“) und dem gleichnamigen Film Aufsehen erregte: Wer war Maria Magdalena, und in welchem Verhältnis stand sie zu Jesus? In der neuen Oper „The Gospel of Mary Magdalene“ des amerikanischen Komponisten Mark Adamo schlüpft Maria Magdalena, wie im Da Vinci Code, in die Doppelrolle der Lieblingsjüngerin und Geliebten von Jesus. Während aber der Roman und der Film auf mittelalterliche Quellen zurückgriffen, hat Komponist und Librettist Adamo gnostische Quellen aus den ersten Jahrhunderten nach Christus herangezogen.

Die Theorien der neuen Oper sind nicht weniger ikonoklastisch als die des Da Vinci Code: Was bibeltreuen Christen heilig ist – unbefleckte Empfängnis, Enthaltsamkeit des Gottessohnes und sein Aufstieg in den Himmel – werden über Bord geworfen, und stattdessen gibt es sexuelle Befreiung und eine deutliche Aufwertung der Frau.
Die Oper „The Gospel of Mary Magdalene“ beginnt an einer Ausgrabungsstätte in der Gegenwart. Dort sind fünf Menschen im Begriff, ihre Bibeln zu verbrennen. Sie sind vom christlichen Glauben abgefallen, weil sie die negative Einstellung des Neuen Testaments zum Sex und Vorbehalte gegenüber Frauen nicht mehr ertragen. Da erscheint ihnen Maria Magdalena und erzählt ihre eigene Version der Geschichte, die knapp zweitausend Jahre zurückliegt.

Der erste Akt der Oper zeigt, wie sich Jesus (Nathan Gunn, Bariton) und Maria Magdalena (Sasha Cooke, Mezzosopran) kennenlernen und näherkommen. Zunächst ist Maria Magdalena eine aufgeweckte Jüngerin von Jesus, doch dann entsteht ein Konflikt, denn zwischen den beiden baut sich auch eine erotische Spannung auf. Maria Magdalena hat Schuldgefühle und bezeichnet sich selbst als ein dummes Mädchen, doch Jesus sieht in ihr eine Quelle von Weisheit – und fühlt sich zugleich von ihrer weiblichen Ausstrahlung angezogen.

Das neue Werk von Mark Adamo, der schon durch seine früheren Opern „Little Women“ (1998) und „Lysistatra, or the Nude Goddess“ (2005) auf sich aufmerksam gemacht hat, ist reich an musikalischen Dialogen über die Lehre von Jesus Christus von Liebe und Vergebung. Dabei sind die musikalischen Übergänge fließend, und der Charakter der Musik ist überwiegend meditativ und introvertiert. Das liegt auch am Thema des neuen Werks, das sich von vielen US-amerikanischen Opern abhebt.  Denn zu den beliebtesten Stoffen der amerikanischen Oper gehören Ereignisse oder Personen der eigenen Geschichte. Und Titelfiguren wie Marilyn Monroe, Richard Nixon oder der Bürgerrechtler Malcolm X laden offenbar zu publikumswirksamen Arien ein, in denen eine bestimmte Stilrichtung die Ära der Hauptperson widerspiegelt. Aber darauf habe er in seiner neuen Oper bewusst verzichtet, sagt Adamo: „In der frühen Planungsphase der Oper ging kam mal die Frage auf, ob ich musikalische Idiome aus dem Nahen Osten einbauen sollte, oder auch einen Hauch von Palestrina.  Das wollte ich aber auf keinen Fall. Es geht hier nicht um die Darstellung von Geschichte, sondern um Fragen, die Amerika im 21. Jahrhundert beschäftigen.“

Zu den dramatischen Momenten in Adamos Oper gehört ein Solo von Maria (Maria Kanyova, Sopran). Sie hat Kummer mit ihrem Sohn Jesus, der nicht nur unbequem denkt, sondern schon seit früher Kindheit als Bastard verspottet wird.  Der Vater war nicht Josef – darin stimmt das Libretto mit der traditionellen christlichen Sichtweise überein. Es war aber auch nicht Gott oder der Heilige Geist, sondern möglicherweise ein römischer Soldat.

Die Glaubwürdigkeit des Neuen Testaments ist ein wichtiges Thema der Oper. Maria Magdalena ist der Eifersucht von Simon Petrus (William Burden, Tenor) ausgesetzt. Der möchte eigentlich überhaupt keine Frauen unter den Jüngern dulden. Und sein patriarchalisches Weltbild setzt sich in der biblischen Geschichtsschreibung durch – wenn auch in der Oper angedeutet wird, dass die Story der Maria Magdalena letztlich rehabilitiert werden könnte.

Am Ende der Uraufführung in San Francisco gab es wohlwollenden Applaus, aber weder Buhs noch ein vor Begeisterung tobendes Publikum. Komponist Adamo kann damit leben: „Wenn man diese Oper hört, dann spielt sich eine Menge im Kopf ab. Ich finde es toll, dass die Leute das Angebot einer Auseinandersetzung mit dem Thema annehmen. Aber nach der Vorstellung laufen sie erst einmal benommen durch die Gegend.  Sowohl das Libretto als auch die Musik geben dem Publikum etwas zu knabbern.“

Die San Francisco Opera läutete schon im Vorfeld der Uraufführung viele Initiativen ein, um auf das neue Werk aufmerksam zu machen. Sie kontaktierte religiöse Gruppen, teilte Libretti aus und veranstaltete Workshops. David Gockley, Generaldirektor der San Francisco Opera und einer der rührigsten Impresarios der amerikanischen Opernszene, hatte auch das neue Werk von Mark Adamo in Auftrag gegeben, und eigentlich hätte er sich etwas mehr Rummel erwartet: „Ich kann nicht sagen, dass ich auf Proteste gehofft hätte. Aber Kontroversen und Diskussionen hätte ich mir gewünscht, denn dann verbreitet sich die Nachricht über dieses Werk, und es kommen mehr Besucher. Bisher hat es aber überraschend wenig Widerspruch gegeben. Die Leute haben entweder mehr Verständnis, als ich ihnen zugetraut hätte, oder es interessiert sie nicht, was wir machen.“

Dabei gab es durchaus Diskussionen, zum Beispiel nach der Uraufführung im Kellerrestaurant des Opernhauses. Da brachte die Musikhistorikerin Kayleen Asbo in einem Nachgespräch geschätzte 200 Menschen zum Lachen: Eine Frau in rotem Kleid nenne man eine Prostituierte, sagte sie, und einen Mann in rotem Kleid einen Kardinal.

Das Fazit könnte etwa so lauten: Es gibt durchaus ein amerikanisches Opernpublikum, das bei provokanten Themen mitzieht, aber dieses Publikum ist intelligent und aufgeklärt. Und Oper ist nun einmal keine Massenware, wie etwa ein Film. Vielleicht ist es auch im Zweifelsfall doch besser, wenn im Opernhaus nicht randaliert wird – vor allem in den USA. Denn amerikanische Opernhäuser erhalten nur wenig öffentliche Zuschüsse, und deshalb würde es dort besonders wehtun.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!