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Wenn Null-Steller der Kultur die Weichen stellen

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Die Basiskulturförderung als eines der Hauptopfer deutscher Sparwut &#183
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Wer bei der Wahl zum Bayerischen Landtag am 21. September 2003 im Landkreis Coburg im Wahllokal seine Unterlagen entgegennahm, der fand unter den Papieren auch einen Stimmzettel für Bürgerentscheide:

„Bürgerentscheid 1 – Bürgerbegehren Fortführung der Sing- und Musikschule: Sind Sie dafür, dass der Landkreis Coburg seine Sing- und Musikschule über den 31. August hinaus fortführt?
Bürgerentscheid 2 – Ratsbegehren Nichtfortführung der Sing- und Musikschule: Sind Sie dafür, dass der Landkreis Coburg die Sing und Musikschule nicht mehr fortführt, weil sonst Zuschüsse an Vereine und Verbände für kulturelle, sportliche und soziale Zwecke ganz oder teilweise gestrichen werden?”

Ein in Deutschland bislang einmaliger Vorgang, über den Fortbestand einer Musikschule per Volksabstimmung zu entscheiden. 37,6 Prozent votierten für die Weiterführung der Kreismusikschule Coburg, die vom Kreistag ersatzlos zum 31. August geschlossen worden war. 69,7 Prozent stimmten für die Nichtfortführung – ein klares Ergebnis. Dennoch: Auch wenn es „nur“ 37 Prozent waren, die für die Kreismusikschule plädierten, eine gewisse Identifikation der Bevölkerung mit ihrer Musikschule ist auch an dieser Zahl ablesbar. Doch soll hier nicht über Vor- und Nachteile direkter Demokratie räsoniert werden. Interessanter ist die Frage, wie konnte es geschehen, dass eine seit 1991 bestehende, von 17 Städten und Gemeinden getragene und mit einem überschaubaren Zuschussbedarf von zirka 250.000 Euro operierende kommunale Musikschule innerhalb eines Jahres weggespart wurde? Die Ursachen sind, wie meist, multifaktoriell: Da ist das bekannte Loch in den Kassen der Gemeinden, hervorgerufen durch den Wegfall der Gewerbesteuer – auch in einigen Kommunen im siebtreichsten Landkreis Bayerns, dem Landkreis Coburg. Was folgte, waren panische Sparreaktionen. Sicher ist es das gute Recht jeder Kommune, sich darüber Gedanken zu machen, wie man an einer Musikschule Kosten sparen kann. Das kann von Stundenreduzierung über Gebührenerhöhung bis zu einer möglichen Änderung der Trägerschaft reichen. Doch statt flottem Abschaffen wäre professionelles Krisenmanagement gefragt gewesen: Der Kreistag hätte sich in überschaubarer Zeit informieren können, etwa beim kommunalen Arbeitgeberverband oder beim Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen. Das geschah augenscheinlich nicht, und so hat der Landkreis Coburg jetzt zwei neue private Musikschulen statt einer öffentlichen, beide ohne Zuschüsse der Kommunen.

Auffällig am Fall Coburg war weiter das starke Engagement des Coburger Kreisverbandes des Bayerischen Gemeindetags gegen die Kreismusikschule. Eine Internetseite im Auftrag dieses demokratischen Organs warb mit drastischen Parolen für die Schließung der Musikschule. Rief man die Internetadresse www.privat-statt-staat.de auf, dann stand neben einem brennenden 50 Euroschein in großen Lettern: „Schluss damit! Wir brauchen keine Staatliche Sing- und Musikschule, Private können’s besser und billiger.“ Auf weiteren Seiten wurden die freiwilligen Leistungen der Kommunen gegeneinander aufgerechnet. Zitat: „In diese Landschaft passt keine Musikschule, die große Mengen Steuergelder für das Musizieren einer Minderheit beansprucht, anderen aber, wie zum Beispiel Sport treibenden Jugendlichen und deren Vereinen, das Geld für eine gerechte und ausgewogene Förderung verwehrt.“

Selbst wenn die Diskussion nicht überall auf diesem polemischen Niveau geführt wird, sondern auf Fachebene –, geführt werden wird sie, wenn nicht heute, dann morgen. Die Folgen der Gewerbesteuereinbrüche sind nicht nur im fränkischen Coburg spürbar. In Nordrhein-Westfalen stellte Ministerpräsident Vesper die öffentliche Förderung kurzerhand auf Null, der Deutsche Städtetag forderte vor kurzem im „Berliner Appell“ „Reformen statt Kahlschlag“ – ein Aufruf, der eher den Namen Hilferuf verdient. Bundesweit stellt sich heute die Frage, inwieweit freiwillige Leistungen im sozialen, sportlichen und kulturellen Bereich noch finanzierbar sind. Vertritt man die Auffassung, dass Kultur und Kommune zusammengehören – und das tut der Autor –, dann kann das Thema dieser Diskussion nicht heißen, ob Basiskulturförderung eine verpflichtende Aufgabe von Kommune, Stadt und Land ist, sondern wie diese trotz stark zurückgehender Einnahmen gesichert werden kann. Denn wenn Bibliotheken, Musikschulen, Theater, Orchester und Museen aus den Städten verschwinden, dann bedeutet das einen unersetzlichen Verlust von Lebensqualität und Urbanität.

Es kann nicht angehen – um bei unserem Beispiel Coburger Musikschule zu bleiben –, dass sich Eltern, Politiker und vor allem die Musiker und Musikerzieher selbst in Legitimationsfragen über öffentliche oder private Musikschulen gegenseitig zerfleischen – auf Kosten der musikalischen Bildung. Und um fair zu bleiben, der Wille der Kommunen, ihre Musikschulen zu erhalten, ist meistens nach wie vor vorhanden. Radikale Kahlschläge wie in Coburg werden deshalb auch in Zukunft die Ausnahme bleiben.

Doch so lange keine Lösung in der Frage der Gemeindefinanzreform auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gefunden wird, solange lebt Kultur in unsicheren Zeiten. Paradoxerweise sind gerade in diesen Tagen die kulturellen Einrichtungen von Stadt und Land besonders gefordert. Denn die Ganztagsschule sucht verlässliche Partner im Kulturbereich und wer wäre geeigneter, kulturelle Vielfalt in die Schulen zu bringen, als – allen voran – die öffentliche Musikschule mit ihrer Infrastruktur, ihrem Curriculum und ihrer über Jahrzehnte erworbenen Kompetenz.

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