Manchmal ist es als Journalist schon von Vorteil, embedded zu sein. So wie ich vom Bundesministerium des Inneren. Abgesehen vom kleinen monatlichen Scheck kommt man, wenn es mein Chef Wolfgang für opportun hält, einfach an total exklusive Informationen. [Vor-Veröffentlichung aus der soeben erschienenen Ausgabe 4/09 von „politik und kultur“, der Zeitschrift des Deutschen Kulturrates]
Da erhalte ich doch kürzlich – und das ist unser normaler Kommunikationsweg – wieder mal einen Mail-Virus, der automatisch den Acrobat Reader öffnet und mich solide brieft:
„Nachstehende Liste durcharbeiten: Es folgen Stellenanzeigen, die von der künftigen Bundesregierung im ersten Quartal 2010 in der ZEIT geschaltet werden. Es handelt sich um insgesamt zirka einskommazwo Millionen Arbeitsplätze, finanziert aus dem Konjunkturpaket fünf.
1. Gesucht werden sieben-tausend Internet-Kinderporno-Prüfer. Wir bevorzugen erwiesenermaßen moralisch gefestigte ältere Herren – mit einschlägiger Erfahrung und stabilem Gesichts-Sinn. Medienkompetenz ist von Vorteil, ggf. auch vorherige politische Betätigung in Bundestag oder Landtagen, da eine Ausweitung des Überwachungs-Spektrums auf religiösen oder politischen Extremismus unmittelbar bevorsteht. (Hinweis für Gleichstellungsbeauftragte: In diesem Ausnahmefall nur Herren, weil wir Damen solchen Schmutz natürlich nicht zumuten wollen). Hochgeschwindigkeits-DSL-Anbindung, Büro, Sekretär und Dienstwagen werden gestellt. Bezahlung in Anlehnung an W 3.
2. Wir bieten hunderttausend Kindern und Jugendlichen im Alter von neun bis 15 Jahren einen angemessen dotierten Einblick in die Berufsrealität. Als Testkäufer von Zigaretten, Alkohol und sonstigen Drogen erhaltet Ihr ein Taschengeld-Budget von tausend Euro monatlich. Dafür meldet Ihr Einkäufe im Wert von achthundert Euro an die zuständigen Instanzen (und liefert bitte die entsprechenden Beweismittel dort unbeschädigt ab). Mit dem Rest des Geldes könnt Ihr machen was Ihr wollt – zum Beispiel gute Bücher kaufen oder für die Dritte Welt spenden. Bewerbungen bitte direkt an das Familien-Ministerium – Kennwort: Zens-Ursula – und die Zustimmungs-Erklärung der Eltern (PDF genügt, Muster unter www.bundesregierung2010 im Netz) nicht vergessen!
3. Super-Chance für ca. zehntausend volljährige Existenz-Gründer(-innen)! Das Bundes-Gesundheitsministerium schreibt die selbstständige Bewirtschaftung von staatlichen Lizenz-Shops für den Verkauf von Wein, Bier, Spirituosen und Tabakwaren aus. Beste Konditionen – da kostengünstige Belieferung direkt durch das Bundes-Beschaffungsamt. Waren-Abgabe nur an Volljährige. Achtung: Einhaltung dieser Vorschrift wird durch jugendliche Testkäufer überwacht.
4. Eine dreiviertel Million „Amtshelfer(-innen)“ erhalten zu-nächst auf Mini-Job-Basis Existenz-Ergänzung, Existenz-Grundlagenanteil oder Resozialisierungs-Startkapital. Das Aufgabenfeld der „Amtshelfer“ ist ungewöhnlich vielfältig. Gescheiterte Akademiker können sich als Kommunikations- und Kompetenz-Transporteure innerhalb der in dieser Hinsicht bekanntlich defizitären städtischen oder staatlichen Institutionen (Ämter, Arbeitsagenturen, Verwaltungen, Ministerien) bewähren. Sie sollen Bürgernähe aufgrund eigener Erfahrung kompetent und zuverlässig generieren sowie Informations-Defizite zwischen den einzelnen Behörden verringern helfen. Sicherheits-Checker(-innen) sorgen für Ruhe und Ordnung in Wohngebieten, gehen der Polizei zur Hand und falls nötig auch der Bundeswehr bei der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit. Land-Watcher-(innen) tragen zur Rentabilität der bundesrepublikanischen Milchwirtschaft bei und helfen schon mal bei der Ernte, sind somit Garanten unserer ernährungswirtschaftlichen Unabhängigkeit. Industrie-Pusher(-innen) springen ein, wenn irgendwo unvernünftig gestreikt wird. Führerschein-Inhaber helfen so auch, den Nahverkehr ggf. aufrecht zu erhalten. Auch die Kontinuität des KiTa-Betriebes wird auf diese Weise garantiert.
5. Der Staatsminister für Kultur und Medien sucht hunderttausend Kulturschaffende. Die derzeit in diesen Bereichen Tätigen haben ihre Unfähigkeit, Deutschland als Kulturnation angemessen zu repräsentieren, hinlänglich unter Beweis gestellt. Sie werden deshalb entlassen. Sektiererische ästhetische Irrwege, mangelnde öffentliche Präsenz, andauernde Staatsverdrossenheit und unverschämtes Anspruchsdenken machen diesen Schnitt notwendig. (Nach einer gewissen Bewährungszeit bieten sich bei den unter Drittens und Viertens offerierten Stellenangeboten auch für diesen Kreis großzügigerweise gewisse Bewerbungschancen.) Die neuen Kulturschaffenden brauchen keine besonderen Qualifikationen mitzubringen – nur den unerschütterlichen Glauben an ihre gern auch begrenzte Kreativität und die Überzeugung, dass die Bundesrepublik ein ausgezeichneter Platz ist. Differenzierte Casting-Shows starten unter der Leitung von Harald Schmidt, Günther Jauch und Thomas Gottschalk demnächst in allen öffentlich-rechtlichen Programmen.“
Soweit das Briefing aus dem BMI, das sogar mich als abgebrühten „Embeddisten“ im Hinblick auf Zeitpunkt und Detail-Reichtum zunächst verblüffte. Dann aber fiel mir wie Schuppen von den Augen: Das ist typisches virales Marketing in Schäubleschem Geist: Die Handlungsfähigkeit der künftigen Regierungspartei rechtzeitig demonstrieren, den Bürgern elemen-tare Ängste nehmen, die Wirtschaft auch auf mittlere Sicht ankurbeln – und für innere Sicherheit sorgen: genial. Und das Ganze wird in einem Medium gestartet, von dem man ganz anderes erwartet: Wolfgang for Präsident, ja, wir können’s!