[Vorabdruck aus der Zeitung Politik&Kultur] Man konnte ja schon 2013 absehen, dass die sogenannte große Flickschusterei-Koalition zwischen C-Parteien und SPD maximal zwei Jahre halten würde. Jetzt, wo die entsprechenden rot-rot-grünen Verhandlungen kurz vor dem Abschuss stehen, sehe ich schwarz für meinen Job. Der alte Müntefering-Satz »Opposition ist Mist« wird auch für meinen vermutlichen Gönner und Auftraggeber Wolfgang Schäuble gelten – was könnte ich ihm, dem Polit-Pensionär als »Embedded Journalist« auch noch nützen.
Da erhielt ich eine Einladungs-Mail von einer mir bislang unbekannten Organisation namens »Arche für Afrika, (AfA)« zu einem Vorstellungsgespräch. Es stellte sich heraus, dass sich meine exzellenten organisatorischen Fähigkeiten herumgesprochen hatten. Nachdem mittlerweile über eine halbe Million Afrikaner bei der Flucht übers Mittelmeer ertrunken waren, und sich die Fischer der Anrainer-Staaten über zuviel »nutzlosen Beifang« empörten – entschloss sich die Vereinigung der Kreuzfahrtschiff-Reedereien unter dem Patronat des Ex-Bankers Josef Ackermann zur Gründung der AfA, um die Übersiedelung der Flüchtlinge sicherer zu machen und zu professionalisieren.
Sie stellte mäzenatisch die notdürftig reparierte Costa Concordia sowie zwei Schiffe älterer Bauart, die Lyubov Orlova und die 1966 in Dienst gestellte Ola Esmeralda im Hafen von Conakry zu einer kleinen Hilfsflotte zusammen. Nach einigen Umbauten konnten diese Schiffe zwanzigtausend »Ausreisewillige« gegen geringes Entgelt (tausend Dollar pro Person) aufnehmen. Ziel der Expedition war Hamburg, auch in der Hoffnung, dass die neue Regierung Immigranten toleranter gegenüber stünde als die alte Friedrich-Beton-Brigade. Und ich sollte – dank meines ausgewiesenen diplomatischen Geschickes – für einen reibungslosen Ablauf der Aktion sorgen.
Bei glühender Hitze stachen wir in See – am Kai hatte es noch unschöne Szenen unter der geschätzten halben Million wartender Passagiere gegeben, die ihre Tickets auch schon bezahlt hatten. Die Fahrt Kurs Nord – an der westafrikanischen Küste entlang verlief – bis auf ein paar Motorschäden der Ola Esmeralda – ereignisarm, aber eben langsamer als erhofft. Auf Höhe von Gibraltar erhielten wir plötzlich Begleitung. Ein amerikanischer Hubschrauberträger sowie die Bundeswehr-Fregatten Bayern, Hessen und Brandenburg nahmen unsere kleine Flottille bei respektvollem Abstand in die Mitte. Ein Funkkontakt kam nicht zustande.
Erst als wir in den Ärmelkanal abbogen, reduzierten unsere maritimen Schäferhunde kontinuierlich die Distanz. Und auf der Höhe von Calais tat sich vor uns eine undurchdringliche Mauer grauer Kriegsschiffe auf. Wir identifizierten vornehmlich Zerstörer englischer, französischer und sogar russischer Provenienz. Ein amerikanischer Hubschrauber des Typs Fliegende Banane mit flüchtig überpinselten Nationalitäts-Kennzeichen verscheuchte im Tiefstflug hunderte unserer Passagiere vom Hubschrauber-Deck der Costa Concordia und landete. Zwölf bis unter die Zähne bewaffnete Navy-Seals sprangen heraus, gefolgt von drei offensichtlich hochgestellten, in Feinzwirn-Mäntel gehüllten Zivilisten. Wie sich herausstellte eine Abordnung der Europäischen Union und der amerikanischen Republikaner. Wir mussten stoppen.
Was überhaupt – und wo wir denn hinwollten, rüffelten sie barsch. Nach Hamburg – antwortete ich wahrheitsgemäß. Das schien die Unterhändler-Diplomaten stark zu erheitern. Sofort umkehren, oder wir würden wie Piraten behandelt, lautete der unmissverständliche Befehl. Ich wies auf den erst vor wenigen Jahren an die EU verliehenen Friedensnobelpreis hin und packte mein gesamtes Repertoire an humanistischer Argumentation aus – erfolglos. Erst als ich auf unsere bedrohliche Versorgungslage zu sprechen kam, erntete ich etwas Entgegenkommen: Man füllte unsere Wassertanks und wenige Stunden später warfen Hubschrauber prall gefüllte Aldi- und Lidl-Plastiktüten auf unsere Schiffe ab. Sie enthielten überlagerte Lebensmittel, vor allem Schweins-Schnitzel in Folie und Kutteln, sowie jede Menge Frucht-Joghurt von Müller-Milch, schon leicht schimmlig.
Wo – bitte – wir denn hinsollten, fragte ich inständig. Ganz einfach: In der Antarktis sei gerade das Filchner-Ronne-Schelf zerbrochen. Es hätte sich als schwimmende Insel ein zehntausend Quadratkilometer-Eisberg gelöst, quasi ein Niemandsland. Dort könnten wir anlegen, da gäbe es noch jede Menge Robben- und keine Trinkwasser-Probleme. Zum Abschied drückte mir das Diplomatenpack noch einen Ghetto-Blaster samt CD in die Hand. Luis Armstrongs »What A Wonderful World«.
Als wir abdrehten, erreichte uns ein Funkspruch aus Somalia. Dort wären vor allem kräftige Kinder und wehrtüchtige Männer (aber auch Frauen) herzlich willkommen. Nautische Erfahrung, Sprengstoff- und Waffentechnik würden kostenlos vermittelt …