Dank meines Entdeckers und – oft genug hat er seine schützende Hand über mich gehalten – Förderers Wolfgang Schäuble bin ich als »eingebetteter Journalist« in zahlreichen Ministerien unseres Landes herumgekommen. Kein Auftrag freilich führte mich in ein derart heruntergekommenes wie das Bayerische Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Eigentlich sollte ich für Wolferl (wir sind sehr vertraut) mal checken, was Landesvater Horst Seehofer mit seinem rot-schwarz-grünlich schillernden Drehhalskurs wirklich vorhat – außer mit absoluter Mehrheit wiedergewählt zu werden. Angela killen? Bayern zum »Freistaat« erklären? Sich final vor dem Länderfinanzausgleich drücken? [aus Politik & Kultur 2/2013]
Ganz sicher wurde ich verpfiffen. Schäuble fällt gelegentlich sentimental auf weißhaarige Altgediente rein, trinkt mit ihnen ein Schöppchen Trollinger – in diesem Fall ein Weißbier zu viel – und schon stand ich auf Gerda Hasselfeldts Warnliste nach Münchens Karinhall. Also landete ich nicht, wie erhofft in der Staatskanzlei, sondern bei einem Auslaufmodell namens Wolfgang Heubisch, Zahnarzt und einer von Seehofers FDP-Kompromiss-Ministern – also im Polit-Leichenschauhaus.
Dass solch ein Ministerium für Wissenschaft und Kunst auch in anderen Bundesländern oft als Schrottpresse für parteilich unerwünschte Politiker-Karrieren dient, liegt mangels allbekannter geringer gesellschaftlicher Bedeutung der zu verantwortenden Gegenstände auf der Hand. Wie viel eigentlich gut ausgebildetes, fein bezahltes und auch noch beamtenrechtlich bestens abgesichertes Personal sich in solch einer Prunk-Hütte herumtreibt, war mir offen gestanden nicht bewusst. Meine Bruchlandung endete im Papierkorb eines Rates namens Manfred Hillig, angeblich zuständig für den Jazz in Bayern, obwohl es den gar nicht gibt.
Ähnlichermaßen tummeln sich allein in Bayerns Kunst- und Wissenschaftsverwaltung ungefähr hundert Ministerialräte. Unkündbar und dank der Inkompetenz des schnell wechselnden Chef-Impotenzials gewissenlos mit stattlichen Etatbrocken versehen samt Einfluss auf Inhalte, die in ihrer Ressortbeschreibung gar nicht vorkommen. Genau betrachtet sind sie dann die staatlichen Investoren, Steuergeld-Verteiler – und werden von den zivilgesellschaftlichen »Bittstellern« auch als Halbgötter in Grau mit gesprenkelter Krawatte angebetet. Sogenannte »Ehrenamtliche« empfangen regelmäßig kompensatorisch Würdigung durch Verleihung von Synthetik-Gamsbärten, Lodenfrey-Schützenhüten und strass-steinbehafteten Blechmedaillen unerheblicher Inschrift.
Ein wenig Zeit habe ich gebraucht, um den futuristischen Sinn dieser Konstruktion, um das fette gesellschaftliche Chancenreservoire für Gesamtdeutschland wirklich zu erkennen. Und es hat mich ein wenig gedemütigt, dass all diese Fakten auf Bundesebene offensichtlich längst durchschaut wurden. Dass die nötigen Konsequenzen daraus mittlerweile politische Realität sind. Worum geht es wirklich: Unser Land braucht Führung – die Kanzlerin lebt es vor. Unser Land braucht im globalen Wettbewerb Professionalität. Unsere Banken- und Wirtschafts-Lenker leben es vor. Die Bürger unseres Landes werden – dank herrlich gleichgeschalteter Medienästhetik – auf solche Herausforderungen immer besser vorbereitet. Börsentelegramm, fünf Minuten lang vor der »Tagesschau« im »Ersten« – »Börseninfo« im »Zweiten«. Bloomberg.
Als hinderlich erweisen sich freilich immer wieder sogenannte zivilgesellschaftliche Strukturen, Bürgerinitiativen, schlimmer noch: gewachsene Vereine mit sogenannt werthaltigen Statuten. Grobes Geschwafel. Durch überkommene Gschaftelhuberei gerade im Kulturbereich (dessen gesellschaftlicher Einfluss gottlob global und medial schon deutlich geschrumpft wurde) – lähmen diese altväterlichen Fehlkonstrukte immer noch notwendige Innovation.
Einige erste Schritte zur Beseitigung dieser Fehlentwicklung haben unsere gut ausgestatteten Staatsdiener-Kasernen – die Ministerien eben – erfolgreich unternommen. Längst fällig war der Abschied von sogenannter »institutioneller Förderung«. Damit hätte (und hatte) man ja (viel zu lang ist das geschehen) Kontinuitäten geschaffen, deren Wirkung außerhalb ministerieller Einflussnahme und Kompetenz lag. Was ist besser als ein hochqualifizierter, hochfinanzierter Beamtenapparat? Den freilich gilt es, nach außen modern zu verkaufen. Dazu eignet sich das Instrument »Projektförderung« bestens.
Man vergibt – unter strengen Controlling-Bedingungen – Mittel für zumindest kurzfristig Werbewirksames: Inklusion, Integration, Neue Musik, Alte Musik, Museums-Neubauten, Film-Förderung, Bildungs-Bündnisse. Das klingt schon mal nicht so altbacken wie »Akademie der Künste«, »Deutscher Kulturrat« oder »Volkshochschul-Bund«. Ist dank zeitlicher Begrenzung prima überschaubar und: lässt sich einfach besser verkaufen. Obendrauf gibt es nämlich hübsche Fotos und Video-Clips mit Ministern, Ministerialräten und Kindern, Künstlern, Sozialarbeitern, und vor allem natürlich Kindern. Die sind ja unsere Zukunft.
Jetzt darf ich endlich wieder in Erscheinung treten – bundesweit: Der Begriff »Rat« ist schon positiv besetzt. Hunderte Rat-Gebersendungen – von »WiSo« über »Wer wird Millionär« bis Astro-TV haben den Boden bereitet. Da steht ein »Ministerial-Rat« doch als eine Art Super-Kompetenzzentrum mit beiden Beinen unterm Schreibtisch. Auch ein Land wie das unsere bedarf gerade im Kulturbereich einer gesunden Hierarchie innerhalb ökonomisch sinnvollen geistigen Freiraumes. Und wo anders könnte die beginnen – denn in den sozial abgesicherten, stressfreien Denkstübchen unserer Ministerial-Bürokratie. Guter Rat ist teuer. Muss uns teuer sein. Mindestens so teuer wie all die Ministerialräte in unserer real existierenden Räte-Republik. Da werde ich doch gern die Ober-Ratte. Wolfgang ruft…