Wie ich fast einmal unsanft gelandet wäre – so könnte man meinen aktuellen Zustand beschreiben. Nachdem ich für das Innenministerium als „embedded“ Meinungs-Macher seit der Bildungs-Chip-Affäre offenbar verbrannt bin (puk-Ausgabe 5/10), hat man mich in eine sogenannte Stiftung abgeschoben. Unter dem völlig unangemessenen Namen „Integritas“ arbeitet dieser Club, halb aus Steuergeldern, halb aus gut verschleierten Wirtschaftsquellen finanziert – angeblich dem Bundes-Präsidialamt zu. [Vorab-Veröffentlichung aus politik & kultur 6-2010]
„Institut für Feldforschung, Resonanz-Studien und Perspektiv-Analyse“ nennt sich das Ganze. Und die Seriosität des Unternehmens lässt sich am besten vom Kopf des Fisches her beschreiben, der übel müffelt: Unser Chef, ein ehemaliger Jungliberaler mit allerersten Beziehungen in die Lobby-Etagen der im Bundestag vertretenen Parteien, lässt immer das Hugo-Boss-Etikett seines Sweatshirts, das auch noch mit dem sinnigen Satz: „Kulturvermittlung macht frei“ beschriftet ist, aus dem Kragen ragen. Toll.
Langer Rede kurzer Sinn: Künftig habe ich mich mit allen Aspekten von Integration und Transkulturalität zu befassen, sie präsidiabel schmückend auszuformulieren. Mit wirklich allen Aspekten – von der Hartz IV-Moschee bis zur Islam-Chipkarte (kleiner Scherz am Rande!). Das von mir wortflink erarbeitete Material soll dann in den Style- und Info-Pool unseres wirklich nur höchst hartleibig zu verkaufenden Super-Wulffis implementiert werden – na danke.
Also spare ich mir zunächst erst mal jede Resonanz-Studie. Das dröge Echo unseres Sparflammen-Rhetorikers ist ja hinlänglich bekannt – und stürze mich auf die Content-Produktion. Fangen wir an im Armenviertel unseres Landes: Seit Monaten boomt die Wirtschaft. Gewerbesteuer drastisch erhöhen. Die Kommunen samt ihrer Kultur- und Bildungsangebote würden wieder aufleben und allen Bürgern zur Verfügung stehen. Ein paar miese Spekulanten-Banken Hopps gehen lassen und viele Steuer-Milliarden anders verteilen: zum Beispiel auf dem Wege eines Grundlohns für alle. Jegliche Diskriminierungs- und Ausgrenzungs-Problematik hätte sich ziemlich unbürokratisch erledigt. Flugs ein paar Balkendiagramme eingefügt, ein paar Jpegs des Präsidenten an ungefähr passenden Stellen, den Satzfluss adjektiv-kulinarisch angehübscht – und ab zu meinem Chef.
In meinem Leben bin ich noch nie so zusammengefaltet worden wie in diesem sehr einseitigen Brüll-Event. Ob ich direkt aus der Geistig-Behinderten-Anstalt käme oder von einer linken Kaderschmiede eingeschleust worden sei – röhrte der Hugo-Boss-Boss mit daumendick geschwollener Schläfenader. Von globalen Wirtschafts-Zusammenhängen, der unendlichen Kraft des Wachstums und dem segensreichen Wirken unseres sozialen Kapitalismus hätte ich noch nicht mal eine Grund-Ahnung. Wäre ihm Wolfgang Schäubles aus jetziger Sicht völlig unverständliches Empfehlungsschreiben für mich aus alter Rotarier-Freundschaft heraus nicht gewissermaßen heilig, würde er mich unbesehen und umgehend an die Luft setzen, mir lieber noch Schlimmeres antun. Er gebe mir eine aller-allerletzte Chance. Ich solle mich mal um Kriterien für den Punktekatalog erwünschter Einwanderer, wissenschaftlich technischer Fachkräfte bemühen. Und gleichzeitig ein paar No-Goes mit Blick auf potenzielle Sozial-System-Schmarotzer, Wirtschafts-Asylanten und islamistische Hass-Prediger entwickeln. Aber Dalli.
Angemessen geknickt zog ich mich in mein Dichter-Stübchen – offiziell als „Home oft the Spin-Doctors“ ausgewiesen – zurück um zu grübeln – ergebnisreich. Erstens: Wenn Frau von und zu Guttenberg eine Kinderschänder-Entlarvungs-Show bei RTL2 medienwirksam wuppt, dann wäre für unsere First-Lady samt entsprechendem Sympathie-Transfer auf den graublauen Gatten Folgendes das Richtige: Eine semi-seriöse Fahndungs-Live-Doku in aufgepepptem XY-Stil – natürlich im Zweiten. Unbelehrbare Islam-Fanatiker, heimliche Osama-Anbeter und der deutschen Amtssprache Ohnmächtige werden via Internet-Recherchen und von investigativen Kamera-Trupps – am besten gleich unterstützt vom Bundesgrenzschutz – aufgestöbert. Ihre schändlichen Ansinnen, ihre bewusste Integrations-Unlust vermitteln vorabendserien-erprobte Jungschauspieler (was für eine Aufwertung des Berufsstandes ganz im Sinne unseres Kulturstaatsministers) lebensnah. Die sofortige Abschiebung der Überführten erfolgt unauffällig.
Zweitens: Als integrationskompetente Doppelspitze zur Fachkraft-Beurteilung treten – natürlich im Ersten – Stefan Raab und Günther Jauch gemeinsam auf. In einem fröhlichen Mix aus „Wer wird (vielleicht bald) Millionär“ und „Schlag den Raab“ durchlaufen programmierkundige Inder, des technischen Zeichnens mächtige Türken und derzeit arbeitslose amerikanische Investment-Banker einen ebenso anspruchsvollen wie unterhaltsamen Test-Marathon vor den wachsamen Augen der deutschen Öffentlichkeit. Wer gewinnt, kriegt die Green Card – für unsere Bundesrepublik. Genial und gewissermaßen basisdemokratisch, wenn man die Zuschauer gegen geringe Gebühr – wie bei DSDS – auch noch mit voten lässt. Eine wirklich zeitgemäße Form der hochselektiven Integration. Muss ich sofort in den Brainpool von „Integritas“ einspeisen. Im nächsten Heft erfahren Sie – ob ich befördert worden bin...