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Wie ich einmal „wahre Kunst“ von einem überflüssigen Konsonanten befreien konnte – Theo Geißlers Kurz-Schluss

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Machen wir uns nichts vor: Es brennt. Wer den jüngsten Video-Cast unserer Bundeskanzlerin aufmerksam verfolgt hat, dem muss Folgendes aufgefallen sein: kaum noch überschminkbare, tiefe Sorgenfalten auf der Stirn und rings um die kinntief herabgezogenen Mundwinkel. Da hilft auch ein Friedensnobelpreis nicht beim Lifting. [aus politik & kultur 1/2013]

Der tiefe Kummer gilt unserer europäischen Dauer-Finanzkrise. Diesem quasi naturgegebenen Unglück, unter dem die Stabilitatsfaktoren, die Energiegaranten unseres angekränkelten Wohlstandes so bitter leiden – die Banken, die Grosindustrie, die Staatskassen, die Investoren – kann nur durch einen solidarischen Kraftakt unserer Zivilgesellschaft abgeholfen werden. Der einst schon von Altbundespräsident Roman Herzog eingeforderte „Ruck“ muss jetzt durch unsere Bevölkerung gehen. Und es reicht – etwas bildhaft gesprochen – wenn er an einem einzigen Kleiderstuck vollzogen wird: dem Gürtel. Der gehört in bestimmten, ökonomisch deutlich weniger wichtigen Bereichen hierzulande einfach enger geschnallt, damit wir – auch dank deutlich erhöhten und sinnvoll verteilten Steueraufkommens – unseren Bundeshaushalt sanieren und den genannten Leistungsträgern unter die Arme greifen können.

So wunderte es mich nicht, dass ich als mittlerweile doch omnipotenter Berater ins Rösler-Ministerium einberufen wurde. Unter strengster Geheimhaltung, versteht sich. Bekanntlich gibt’s zwischen Wirtschafts- und Finanzressort – also hin zu meinem .mentalen. Ziehvater Wolfgang Schäuble – eine beinharte, nahezu unversöhnliche Rivalitat.

Welche Sparpotenziale lassen sich einem neoliberalen Ex-Mediziner – und unseren mittlerweile konsumoptimierten Bürgern am schmerzlosesten vermitteln? Richtig. Kunst, Kultur allgemein und Bildung, vor allem in den sogenannten „weichen“ Fächern. Wie dürftig und flott verhallt war letztlich der Widerstand gegen die aus materieller Sicht unausweichliche Fusionierung der Sudwestrundfunk-Orchester? Wie willig biegen sich Künstler-Gewerkschaften unter die Knute von Haustarifverträgen, wenn man mit dem Schließungs-Pistölchen sorgenvollen Gesichtes auch nur aus der Ferne winkt. Und wie bereitwillig öffnen Kulturverbände ihren Schoß, um sich von einer kurzhubigen Projektförderungs-Gießkanne benetzen zu lassen. Langst in der Mottenkiste verschimmelt altväterliches Sicherheitsdenken, das auf die Kontinuität institutionell gewährleisteter Zuwendungen pochte.

Sind es nicht die Kulturschaffenden selbst, die immer wieder nörgelig-weinerlich „Freiheit der Kunst“ für sich reklamieren? Sollen sie haben! Schluss mit staatlicher Gängelung durch Subventionen, Stipendien, Förderkonzepte. Die Gleichstellung künstlerischer Emanationen mit anderen Wirtschaftsgütern ist langst überfällig. Noch verjuxen wir Steuermillionen in deutsche Film- und Fernsehproduktionen, obwohl es unter den viel preisgünstigeren amerikanischen Serien und Streifen doch absolute Blockbuster mit sensationeller Zuschauerakzeptanz gibt. Kunst am Bau? Was dem Normalbürger da meist an egomanischer Scheußlichkeit die Netzhaut verletzt ist ohnedies ein Skandal. Jeder Dönerstand, wohlgemerkt in Privathand, vor einem Finanzamt strömt mehr interkulturelle Kompetenz aus als die „Das-weiche-Wasser-bricht-den Stein“-Brunnenskulptur für fünf Millionen Euro Honorar nebenan.

Sprech-Theater: Hunderte, tausende kleiner freier Bühnen, von den hochkreativen Laienspiel-Scharen ganz zu schweigen, versorgen die blühenden deutschen Gaue praktisch staatskostenfrei mit populärem ebenso wie mit entlegen experimentellem dramatischem Output.

Ganz ahnlich die Situation unserer üppigen Musiklandschaft. Musterbeispiele einer engagierten Zivilgesellschaft. All die Bands, die Chöre, die Ärzte- und Manager-Orchester – die Deutschland zu Freude und Erbauung ihrer Familien und Freunde in ein Odeon für fröhliche und erhabene Klänge verwandeln – ganz ohne erst mal nach dem Subventionstopf zu schielen. Was verlören wir, schüfen wir die milliardenschweren Hochkultur-Luxuspalaste und ihre verwöhnte, teils auch noch arrogante und politisch deviante Belegschaft ab? Nichts. Im Gegenteil.

Einem völlig überkandidelten abgehalfterten Bildungsbürgerpostulat nach Anspruch auf Kunst- und Musikunterricht in den allgemein bildenden Schulen wurde endlich der Kuschelteppich unter den Weichei-Pantoffeln weggezogen. Was bedeutet in Zeiten schärfster internationaler Konkurrenz Allgemeinbildung heute? Wieder richtig: Mathematik, Physik, Informatik. Damit sind gerade in G-8-Zeiten die Stundentafeln bestens ausgelastet – Malen und Singen kann man auch zu Hause. Letzteres sogar im Fußballstadion.
Was soll ich sagen: Selten zwei so offene Ohren für meine intelligenten Ratschlage gehabt. Philipp Rösler sprang dynamisch über seinen Raumteiler-Zwerg-Ficus, umarmte mich (Hugo Boss) – und ernannte mich spontan zum FDP-Ehrenmitglied. Ferner bot er mir eine sofort beziehbare Büro-Luxusetage im Basement der Hamburger Elbphilharmonie an. Da hab ich mir doch ein wenig Bedenkzeit erfleht…
 

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