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Hinreißende Darstellung der Emilia Marty: Angela Denoke in der Salzburger „Makropoulos“-Inszenierung. Foto: Walter Mair
Hinreißende Darstellung der Emilia Marty: Angela Denoke in der Salzburger „Makropoulos“-Inszenierung. Foto: Walter Mair
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Witzig geschärftes Plädoyer fürs Altern: Christoph Marthaler inszeniert Janáčeks „Věc Makropulos“ in Salzburg

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Die 1922 in Prag spielende Handlung um ein Elixier der ewigen Jugend haben Christoph Marthaler und Anna Viebrock ins heutige Salzburg verlegt, einen Ort, an dem der Prozentsatz der durch Schönheitsoperationen „jung“ gebliebenen Besucher besonders hoch sein dürfte.

In einer der Premiere am Vormittag vorangegangenen Podiumsdiskussion plädierte der Fachhumangenetiker Markus Hengstschläger dafür, den „Jahren Leben [zu] geben, nicht „dem Leben Jahre“. Regisseur Christoph Marthaler schlug den Bogen zum Theater: es müsse immer wieder neu erfunden werden, das sei Werktreue. Zugleich bekannte er sich zu Janáček, dessen Musik er liebe, „auch aufgrund der Kürze“ von dessen Opern.

Also hat der Regisseur diesmal nicht die Musik unterbrochen, um Texte des Dichters, die der Komponist unvertont gelassen hat, einzufügen. Aber gemeinsam mit seinem Dramaturg Malte Ubenauf hat Marthaler der pausenlosen Opernaufführung einen Prolog vorangestellt, primär gestaltet aus originalen Stücktexten, aber auch mit ein paar Schlenkern gegen die Opernpraxis („die singen in Sprachen, die man nicht versteht!“). Im Zigaretten-Gespräch einer alten (Sasha Rau) mit einer jungen Frau (Silvia Fenz), die in einem hermetischen, mit Katzentreppe bestückten Raucherraum über ein immerwährendes Leben für eine Elite diskutieren, verbergen sich zwei Verkörperungen der Protagonistin, – wie der Zuschauer spätestens am identischen Kostüm der Emilia Marty im zweiten Akt feststellen wird. Die Unterhaltung im schalldichten Raucher-Glaskasten bleibt unhörbar; aber der Zuschauer kann den stummen Dialog in der Übertitelung verfolgen, und dies löst bereits Gelächter aus.

Karel Čapeks Dramenvorlage ist ein Lustspiel, was der Opernbesucher in anderen Aufführungen der 1926 in Brünn aufgeführten Oper zumeist leider nicht nachzuvollziehen vermag. In Christoph Marthalers Inszenierung kommt die komische Ebene der Handlung jedoch voll zum Tragen.

Hierfür benutzt der Regisseur vor allem Ticks und Macken der bevorzugt mit unschönen und älteren Darstellern besetzten Handlungsträger. Der in die Sängerin verliebte Urenkel Emilias, der im Text als 34-Jähriger angesprochene Albert Gregor, ist mit dem Tenor Raymond Very rollenatypisch deutlich älter besetzt. Und dem Rechtsanwalt Dr. Kolenatý (Jochen Schmeckenbecher) wird immer wieder seine eigene, adrette Kleidung zum Verhängnis, – seine Handschuhe, sein Mantel und sein Schal, mit dem er sich beinahe stranguliert.

Macken hat auch Emilia Marty, hinreißend verkörpert und mit makelloser Schönheit gesungen von Angela Denoke. Als running Gag dreht sie immer wieder die drehbare Fläche ihres Stuhles um. Aber echt faszinierend sind ihre Momente plötzlicher Schwächen, Spuren eines merklichen Alterns der jugendlichen Zeitgenossin. Denn Emilia Marty, alias Eugenia Montez, Elsa Müller, Ellian MacGregor, Ekaterina Myshkin und Elena Makropulos, lebt seit 337 Jahren, da ihr Vater, der kaiserliche Leibarzt Hieronymos Makropulos, das für Rudolf den Zweiten entwickelte Anti-Aging-Medikament zunächst an seiner Tochter ausprobieren musste; sie wurde zunächst schwer krank, überlebte ihre Krankheit aber mehr als dreihundert Jahre und feiert seither unter immer wieder neuen Namen Triumphe als eine außergewöhnlich begehrte Sängerin.

Nun aber braucht sie das Rezept, die „Sache Makropulos“, die sie einst an einen lange verblichenen Liebhaber verliehen hatte, aus dem Nachlass von dessen Erben zurück. Der junge Janek Prus (Aleš Briscein), der seinem Vater das Dokument für Emilia stehlen soll, begeht Selbstmord und Vater Jaroslav Prus (Johan Reuter) übergibt es Emilia als Preis für eine Liebesnacht, die er jedoch als Horror empfindet („Kalt wie Eis. Als hätte ich eine Tote umarmt.“). Emilia aber entscheidet sich schließlich doch für Alter und Tod. Das Rezept, das sie an die Freundin des toten Janek, an die aufstrebende Sängerin Krista Vitek (Jurgita Adamonytè) verschenkt, wird von dem offenbar der griechischen Sprache unfähigen Nachwuchsstar verbrannt.

Die drei von den Autoren verlangten Spielorte – Kanzleizimmer, leere Bühne eines großen Theaters, Hotelzimmer – folgen primär dem Gesetz der Abwechslung in der Komödie; sie sind ohne Verlust von Zusammenhängen durch einen Einheitsspielort ersetzbar. Ein Gerichtssaal ist auf der Opernbühne seltener anzutreffen als im Schauspiel; den Gerichtssaal als Opern-Einheitsspielort hat jedoch bereits der 3D-Künstler Achim Bahr im Jahre 2003 für die Uraufführung von Siegfried Wagners „Rainulf und Adelasia“ entworfen und publiziert.

Anna Viebrock nutzt die ganze Breite der Bühne des Großen Festspielhauses; Nebenräumlichkeiten neben dem realistisch nachgestalteten Salzburger Justizpalast, links und rechts vom holzgetäfelten Gerichtssaal, gestatten dem Auge der Zuschauers auch ein paar Licht- und Farbpunkte im vorherrschenden Braun, der offensichtlichen Lieblingsfarbe der Ausstatterin. Der Bühnennachvollzug des Gerichtssaals bietet eine Reihe versteckter Aufgänge aus der Unterbühne zu gespenstischen Auftritten.

Vor dem zweiten Akt ist in Salzburg ein stummes Zwischenspiel zum Thema Überbrückung von Gegensätzen eingeschoben, die stumme Kommunikation zwischen einem langen Krankenpfleger (Peter Lobert in der Partie des Maschinisten) und einem kleinen Zimmermädchen (Linda Ormiston in der Partie der Aufräumefrau). In Parallelaktionen, während des zweiten Aktes, übergibt der Krankenpfleger in stets identischen Bewegungsabläufen der alten Frau ständig neue Blumensträuße.

Und als ein Bild für den sich über ein Jahrhundert hinziehenden Prozess um die Erbfolge des einstigen Liebhabers der Emilia, zugunsten ihres gemeinsamen, illegitimen Sohnes Pepi und dessen Erben, hat der Regisseur vor dem 3. Akt ein weiteres pantomimisches Zwischenspiel eingefügt: Der Gerichtssaal füllt sich mit Schaulustigen, Geschworenen, Richter und Staatsanwalt, die den Raum betreten, um ihn stumm oder mit lautem Gelächter wieder zu verlassen, neu zu betreten, zu verlassen und wieder zu betreten. Doch bei der entscheidenden Enthüllung der Hintergründe der Geschichte werden diese Komparsen dann alle tief schlafen; der Herrenchor (18 Mann der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor) singt aus dem Off.

Die Aufführung ist stimmlich optimal besetzt. Unter den Herren, die in diesem Stück immer wieder als „Dummköpfe“ tituliert werden oder sich selbst als „Idiot“ bezeichnen, sei die Leistung von Ryland Davies mit nahegehend plastischem Rollenprofil besonders hervorgehoben: der gealterte spanische Liebhaber Hauk-Šendorf hat sich alle seiner Ehefrau gestohlenen Ketten umgehängt, um im Beitz dieser Reichtümer mit Emilia nach Spanien zu fliehen; er vermag nicht nur Emilias Herz in Wallungen zu versetzen.

Der finnische Dirigent Esa-Pekka Salonen erweist sich, selbst ein Tonsetzer, als optimaler Sachwalter des tschechischen Musikdramatikers. Mit den bestens disponierten Wiener Philharmonikern kostet er Leoš Janáčeks lyrische Melodik aus und transformiert die Partitur in ein geradezu stellares Leuchten. Bereits das Vorspiel, mit der Überlagerung des hektischen Zeitgefühls der Großstadt der Zwanzigerjahre mit dem Klang der durch die Jahrhunderte reichenden Faszination für die Weiblichkeit, wird zu einem echten Erlebnis.

Das durch Salonen, Marthaler und Viebrock erneuerte Plädoyer fürs Leben – hier und jetzt – wurde verstanden und vom Premierenpublikums einhellig und ohne Einschränkung gefeiert. Das Trampeln der enthusiasmierten Besucher lässt die Sitze im Parkett des großen Salzburger Festspielhauses – wie in einem Earthquake-Film mit gewaltigen Subwoovern – erbeben, aber Oper ist live.

Weitere Aufführungen: 18., 25., 30. August 2011

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