In der von Albert Lortzing herrührenden Traditionslinie und im Zuge der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelnden Gesamtkunstwerkidee Franz Schreker verfasste Franz Schreker als Komponist die Libretti selbst. Seine Oper „Der Schatzgräber“ wurde durch einen Urlaubsaufenthalt in Siebenbürgen abgeregt. Dennoch spielt ihre Handlung im kerndeutschen Mittelalter – halb auf märchenhaften Höhen, halb in den Untiefen von teils tödlich verlaufenden Sexualkonflikten.
Eine Königin kränkelt, weil ihr Schmuck verschwand, der dauerhafte gute Stimmung, Schönheit und Fruchtbarkeit verheißt. Da der alternde König die Gattin bei Laune und endlich zwecks Thronfolge schwanger wissen will, setzt er (auf den Rat seines Narren hin) den fahrenden Sänger Elis als Sonderermittler ein, dessen Wunderlaute verborgene Schätze aufzuspüren vermag. Auf der Suche nach dem ominösen Geschmeide wird der Künstler in die teils mörderischen Intrigen des Wirtstöchterchens Els ver- und von dieser eingewickelt.
Expressionistischer Symbolismus
Der alternde König holt sich Rat bei seinem Hofnarren. Er scheint der einzige, der dem hohen Herrn noch zu helfen weiß in der akuten Ehekrise, die sich zur Staatskrise auszuweiten droht, weil das Volk schon witzelt und lacht. Madame blieb bislang ohne Nachkommen und schwächelt auffällig. Mit seinem Treiben und Treideln, Sehnen und Schäumen entwickelt das Netherlands Philharmonic Orchestra den tonalen Sog zu einer wohl immer wieder und recht häufig aktuellen Geschichte. Die wurde vom Dichterkomponisten Franz Schreker (1878–1934) in legendäre Zeiten projiziert und zugleich mit kräftigem Aroma des Wiener fin de siècle auf den Weg geschickt.
Das Geschmeide mit seinen wundersamen Nebenwirkungen, dessen Verlust die Königin depressiv, hässlich und bezüglich der Vorbereitungen für die dynastische Hauptaufgabe lustlos werden lässt, erweist sich als tiefgründiges Symbol. Schreker sorgte dafür, dass es hochrangig traditionsgenährt erscheint. Marc Albrecht lässt mit energischer Zeichengebung das spättonale Gold funkeln und reiztönige Dissonanzen glitzern, ermöglicht insgesamt einen dynamischen Fluss und ein in den Klangfarbnuancen weit aufgefächertes Triebleben der Orchesterklänge. Das umspült und trägt das Sängerensemble, aus dem Graham Clark als Narr mit scharf gestochener Diktion und Anflügen von britischem Darstellerhumor hervorsticht.
Von der Magic Flute zur Magic Lute
„Der Schatzgräber“, zutreffender Schatzsucher oder Wünschelrutengänger genannt, steht in Tradition der besonders in Wien lange verbreiteten, gerne zu Zerstreuung und Ruhigstellung der Untertanen gegebenen Zauberpossen, von denen heute fast nur noch Emanuel Schikaneders Singspiel „Die Zauberflöte“ geläufig ist. Bei Schreker ist es keine Spezialflöte, die den Weg zum Glück herbeipfeift, sondern eine Laute, die verborgene Kostbarkeiten zu orten versteht. Es bedarf keines Studiums der Psychologie, um zu ahnen, dass die in Edelmetall gefassten Steine nur Schlüssel zu den „eigentlichen“ Preziosen sind, nach denen Franz Schrekers Oper aus der Zeit des ersten Weltkriegs und der ersten Nachkriegsdepression schürfte. Die wahren „Schätze“ – und hier berührt sich eine moderne Sichtweise mit mittelalterlicher Selbstverständlichkeit – liegen im Bereich der menschlichen Eigenschaften (und speziell weiblichen). Das Diadem sollte der Gattin des Herrschers als Aphrodisiakum dienen und sie für das Staatsoberhaupt fortdauernd attraktiv machen.
Doch mit diesem Glück ist es vorerst vorbei. Das teure Teil ist spurlos verschwunden. Es taucht fernab des Hofes bei Els auf, einer Schönheit vom Lande. Die hat eine schwere Jugend verlebt. Die Filmeinblendung zur Amsterdamer „Schatzgräber“-Inszenierung legen nahe, dass sie missbraucht wurde und dies ihr späteres Verhalten gegenüber den vom Stiefvater für sie ins Spiel gebrachten Bewerbern bestimmte. Sie lässt die ihr zugedachten Männer allemal aus dem Verkehr ziehen. Dass und wie sie vorzugsweise mit sich selbst beschäftigt ist, zeigt Manuela Uhl nachdrücklich. Und sie nutzt natürlich für die Demonstration der kühlen Attraktivität ihren Sopran. Als sie vor sieben Jahren in Münster Maniuszkos Halka sang, diagnostizierte eine erfahrene Kollegin zutreffend, Uhl sei „unterwegs zwischen lyrischem und dramatischem Timbre“ (Ellen Kohlhaas, FAZ v. 11.3.2005). Das ist die junge Sopranistin auch heute noch, obgleich zwischenzeitlich in Leipzig als Iphigenie gereift und als Danae an der Deutschen Oper Berlin mit den Aufgaben gewachsen. In Amsterdam ist’s neuerlich ein Vergnügen, ihr zuzusehen – und wenn das Piano besser geführt wäre, könnte sich das Glück noch vervollkommnen.
Märchen für große Jungs
Ivo van Hove wollte Schrekers zwiespältige Oper als „fairy tale for adults“ zeigen und tat es vor einer Bretterwand, aus der die Umrisse von zwei Häuschen ausgeschnitten wurden. In diese Hohlstellen rücken dann immer wieder Hütten oder Räume. Z.B. auch ein Exekutions-Saal mit Zuschauertribüne, in dem der zeitweise als Juwelendieb verdächtige Elis gehenkt werden soll. Doch offensichtlich hat die holländische Vollstreckungsbehörde die Lage nicht richtig im Griff – unterm Strang herrscht ein fröhliches Kommen und Gehen (und der Künstler kann tatsächlich dauerhaft ausbüchsen, nachdem er sich in der Mitte der Schaulustigen ausgesungen hat). Indem aber Els entdeckt, dass sie doch liebesfähig ist, lässt van Hove einen Soft-Porno einblenden. Zum Liebeserkältungstod der Protagonistin eskaliert der schwelende Kitsch der Bebilderung: Ein Kurzfilm zeigt das zuvor missbrauchte Mädchen glücklich in Waldeinsamkeit am plätschernden Bach mit einem weißen Schimmel in einem noch weißeren Nachthemdchen. Da entstellt sich van Hoves Fairytalien zur bieder-obszönen Kenntlichkeit.
Mag auch Franz Schrekers raffiniert angelegter „Schatzgräber“ von Trivialitäten nicht frei sein – gar so platt, wie er in de nederlandse opera geklopft wurde, ist er nun auch wieder nicht. Wie eine zwiespältige Story mit mittelalterlicher Handlungsebene aufschlussreich und kunstgewinnträchtig aufgearbeitet werden kann, kann Katie Mitchell in Kürze am Amsterdamer Waterlooplein demonstrieren. Dorthin wird – vom Festival in Aix-en-Provence – ihre mit doppelter Buchführung un Sprüngen zwischen den Zeitebenen operierende Inszenierung von George Benjamins „Written on Skin“ übernommen.