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Katarina Bradic und Stella Doufexis in Händels „Xerxes“ an der Komischen Oper Berlin. Foto: Forster
Katarina Bradic und Stella Doufexis in Händels „Xerxes“ an der Komischen Oper Berlin. Foto: Forster
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Xerxes als Rex Sex: Stefan Herheim macht an der komischen Oper Berlin aus Händels „Serse“ eine turbulente Barock-Show

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Auf sechs hinter Xerxes getragenen Seitengassen leuchten die Buchstaben des persischen Königsnamens auf und werden – noch während der Arie von spontanem Publikumsapplaus kommentiert, – zum Palindrom des Namens Xerxes, zu Sexrex und zu REX SEX vertauscht. Wie bei seinem Bayreuther „Parsifal“ hat der Regisseur Stefan Herheim, im Verbund mit seinem Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach, das historische Umfeld und die Rezeption des „Xerxes“ an der Komischen Oper Berlin gleich mit inszeniert.

Sex spielt eine wichtige Rolle in der komödiantisch überbordenden Neuinszenierung jenes dreiaktigen Dramma per musica in tre atti, das im Jahre 1738 nach nur fünf Aufführungen als Misserfolg abgesetzt worden war. Koloraturen in Händels Oper werden als musikalische Ausprägung frivoler Lust gedeutet, und Gender übergreifend wird viel und drastisch kopuliert. Gleich zu Beginn umarmt Xerxes die geliebte Platane mit erigiertem Glied – obgleich die Titelpartie hier mit einer Sopranistin besetzt ist.

Herheims Bühnenbildnerin Heike Scheele hat die Handlung auf einer perfekt funktionierenden Barockbühne angesiedelt; auf der Drehbühne stehend, finden auch auf den beiden Seitenbühnen der barocken Einrüstung in zwei Stockwerken Aktionen statt. Und am Rande sind die jeweiligen bühnentechnischen Auf- und Abbauten der kostümierten Bühnentechniker zu erleben. Bis hin zur konischen Aufstellung der Chor-Mitglieder werden die Gesetze der Perspektivenbühne in Ausstattung und Spiel perfekt umgesetzt.

Mit der Doktrin, dass an der Komischen Oper Berlin jedes Stück in Landessprache gesungen wird, ist es ab der nächsten Saison, wenn Barrie Kosky die Intendanz diese Hauses übernimmt, vorbei. Bereits in dieser Premiere erklingen inmitten von Eberhard Schmidts wortwitzreicher deutscher Übersetzung (einmal ruft Xerxes doppeldeutig „komische Oper!“) einige Arien und ein Duett in italienischer Sprache.

Die jeweiligen Gegenspieler sind von Gesine Völlm wie Doppelgänger kostümiert. Der Regisseur bezeichnet seine Inszenierung als „eine barocke Muppetshow“, aber an Puppen gibt es hier nur im ersten Akt drei bemannte, laut blökende Schafe zu bestaunen. 

Mit großer Leichtigkeit und tänzerischem Aplomb leitet Konrad Junghänel das Orchester der Komischen Oper Berlin und die – wie zumeist in seinen Interpretationen – links und rechts davon platzierten Continuo-Spieler. Die Mitglieder des auf Höhe der Zuschauer angesiedelten Orchesters sind ins Spiel integriert. Wenn die Musiker von Xerxes als „Gauner“ beschimpft werden, erheben sie sich protestierend gegen die Bühne. Mal macht sich Xerxes über eine Instrumentalistin her, später untersagt er dem Dirigenten das Dacapo durch ein lautes „Nein!“ und lässt nachdrücklich das Licht verlöschen.

Musikologen haben ermittelt, dass das berühmte, die Oper eröffnende Largo, das Liebeslied des Königs Xerxes an eine Platane, keine Originalkomposition Georg Friedrich Händels ist, sondern die Übernahme aus der vierzig Jahre älteren Oper von Giovanni Bononcini. Dabei ist der Weg von der vorletzten Oper Händels, mit ihrem weitgehenden Verzicht auf Dacapo-Arien und ihrer raschen, dem heutigen Hörer geradezu absurd erscheinenden Reihung von Affekt-Situationen, zu den Opern Mozarts nicht mehr weit. Und so integriert Junghänel auch schon mal rezitativisch ein Mozart-Zitat („ein Mädchen oder Weibchen“).

Musik entsteht sogar aus grellem Lachen des von André Kellinghaus einstudierten Chores, der sich neckisch in römische Uniformröckchen hüllt oder hinter vorgehaltenen Masken Seeungeheuer im barocken Meerbild – hinter bewegten Wellenbahnen und vor der Schiffsbrücke sechs miteinander verbundener Segler zum Hellespont – mimt.

Trotz zahlreicher, sich überschlagender Effekte und Turbulenzen hat der dreieinhalbstündige Abend im zweiten Teil einige Längen. Und all zu lange muss der Zuschauer auf eine dramaturgische Brechung der stets prall humorvollen, aber linearen Sicht auf Händel vergeblich warten; die stellt sich erst ein, als der Chor beim Finale in heutiger Gewandung auftritt; die barocken Figuren erkennen das – zuvor durchaus häufig angespielte – Publikum plötzlich als eine andere Welt, vor der sie beim Schlussapplaus zunächst die Flucht ergreifen.

Gesungen wird auf durchwegs hohem Niveau. Allerdings muss der Hörer nach Stella Dufexis’ initiierenden Schwellton beim „Ombra mai fu“ später auf ähnliche Effekte ebenso verzichten, wie auf gesteigerte vokale Schlagkraft in den nachfolgenden Arien. Karolina Gumos als Xerxes’ Bruder und Nebenbuhler Arsamenes, sorgt stimmlich für einen beachtlichen Emotionspegel. Vorzüglich gestaltet Katarina Bradic jene zunächst inkognito als Söldner auftauchende, verstoßene Königs-Geliebte Amastris, die dem Xerxes in der Schlussszene doch bereitwillig wieder ihre Schenkel öffnet. Als Atalanta fährt Julia Giebel immer größere Geschütze gegen ihre Schwester Romilda auf: beginnend mit Dolch, Pistole und Schlange, zertrümmert sie sogar die Stadtdekoration mittels einer Kanone. Aber dem Triumph der treuen Romilda, von Brigitte Geller trefflich verkörpert, muss sie doch unterliegen. Als Parallelfigur zum Blumenmädchen Eliza in „My fair Lady“ wird der Diener Arsamenes gedeutet: zwischen Bariton- und Countergesang changiert Hagen Matzeit mal drastisch berlinernd, mal kokett.

Selten wurde an der Komischen Oper Berlin eine durchaus eigenwillige Neuinszenierung so einhellig bejubelt: bereits während der Aufführung sparte das Publikum nicht mit Bravorufen, die sich am Ende der Premiere zu Ovationen für alle Beteiligten steigerten und dabei das Produktionsteam inkludierten. Als Koproduktion mit der Deutschen Oper am Rhein, wird diese Inszenierung später auch in Düsseldorf und Duisburg zu erleben sein.

Weitere Aufführungen:
17., 19., 23., 24., 27. Mai 21., 27. Juni, 5. Juli 2012

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