Mit einer Präsentation in der Bayerischen Staatsbibliothek ist der Ankauf des Schott Music Verlagsarchivs durch ein Käuferkonsortium der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Die Bestände teilen sich künftig auf die Staatsbibliotheken München und Berlin sowie sechs Forschungseinrichtungen auf. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart.
Als „großen Tag für die Musikwissenschaft“ bezeichnete Rolf Griebel, Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB), den Abschluss des Archivankaufs und umriss den langwierigen und komplizierten Verhandlungsprozess, der im Jahr 2008 begonnen hatte. Das Käuferkonsortium unter Federführung der BSB und der Kulturstiftung der Länder musste zahlreiche Unterstützer gewinnen, um die Gesamtsumme aufbringen zu können. Allein aus dem Etat der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien kamen nach Angaben des Ministerialdirektors Günter Winands zwei Millionen Euro, die Carl Friedrich von Siemens Stiftung steuerte zunächst eine Million Euro zum Ankauf durch die BSB bei und stockte diesen Betrag dann, so Geschäftsführer Heinrich Meier, für den Kauf des Geschäftsarchivs zusätzlich auf, als klar wurde, dass dieser Archivbestandteil nicht von der Stadt Mainz übernommen werden würde. Weitere Unterstützer sind die Ernst von Siemens Musikstiftung, die Berthold Leibinger Stiftung, die Wüstenrot-Stiftung, das Land Baden-Württemberg, der Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e.V., private Förderer des Max-Reger-Instituts sowie die Freunde der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main.
Wie andere Redner bei der Präsentation rechtfertigte Griebel die Aufteilung des in seiner Geschlossenheit und Bedeutung wahrscheinlich europaweit einzigartigen Archivs an die Staatsbibliotheken München und Berlin einerseits und sechs komponistenbezogene Forschungseinrichtungen andererseits: das Beethoven-Haus, die Carl-Orff-Stiftung, die Fondation Hindemith, das Max-Reger-Institut, die Akademie der Künste Berlin (Bernd Alois Zimmermann) und die Universitätsbibliothek Frankfurt (Engelbert Humperdinck). Er verwies auf die Perspektiven für eine wissenschaftlichen Erschließung durch den besseren Zugang und darauf, dass durch die geplante Digitalisierung das Archiv virtuell wieder zusammengeführt werden könne. In der Pressemitteilung der BSB heißt es dazu, die Aufteilung gewährleiste „im jeweiligen Sammlungskontext die bestmögliche Nutzbarkeit“.
Schott-Geschäftsführer Peter Hanser Strecker schilderte in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der Strecker-Stiftung, in deren Besitz das Verlagsarchiv in den vergangenen zehn Jahren war, seine zwiespältigen Gefühle, bei denen aber die Freude darüber überwiege, das „Gedächtnis des Verlages“ nun in guten Händen zu wissen. „Ein solches Archiv lebt nicht von seiner Existenz, sondern von seiner Erschließung“, so Hanser-Strecker, der mit einem Verweis auf die schwieriger werdende Situation für das Musikverlagswesen („manches spottified jeder Beschreibung“) in Aussicht stellte, mit dem Verkaufserlös die Arbeit der Stiftung zur Förderung des Stellenwertes der Musik in der Gesellschaft weiterzuführen. Außerdem kündigte er für das Jahr 2020 eine Publikation zur Geschichte des dann 250 Jahre alten Verlages an.
Gegenüber der nmz betonte Hanser-Strecker, die Preisvorstellungen der Verhandlungspartner seien sehr weit auseinandergelegen. Nach der Aufnahme des Schott-Archivs in die Liste national wertvollen Kulturgutes sei aber klar gewesen, dass man Einzelstücke nicht mehr ins Ausland hätte verkaufen können. Damit spielte er auf die Versteigerungen von Skizzen sowie der Druckvorlage zu Beethovens 9. Symphonie an, die 2002 und 2003 für Aufsehen und Kritik gesorgt hatten.
Zum Abschluss der Präsentation, die auch eine kleine Schau mit einzelnen Stücken aus der Sammlung einschloss, gab der Leiter der Musikabteilung der BSB, Reiner Nägele, einen Ausblick auf die wissenschaftlichen Perspektiven über die Beschäftigung mit den im Verlag vertretenen Berühmtheiten hinaus. Heute unbekannte Komponisten seien in ihrer Zeit keineswegs marginal, sondern oft erstaunlich erfolgreich und weit verbreitet gewesen, so Nägele. Das nun in der BSB für die wissenschaftliche Aufarbeitung zugängliche Geschäftsarchiv sei somit ein Abbild des „tatsächlichen historischen Musiklebens“.
Nägele erläuterte außerdem die Besonderheiten der nun erfolgten Aufteilung auf die verschiedenen Institutionen. 1990 hatte der Schott Verlag wertvolle Autographe, darunter Musikhandschriften und Briefe aus den voneinander getrennten geschäfts- und herstellungsbezogenen Bereichen in ein so genanntes Safe-Archiv ausgelagert. Daraus gehen nun die Bestände zu Joseph Haas, Werner Egk und Karl Amadeus Hartmann nach München, die zu weiteren 65 Komponisten nach Berlin (darunter Liszt, Chopin, Ravel und Nono). Auch die Komponistenbestände, die von den jeweiligen Forschungsinstituten übernommen werden, stammen – so präzisierte Nägele auf Nachfrage der nmz – einzig aus diesem Safe-Archiv. Man sei aber, so Nägele, mit den Instituten in Kontakt, um zu gewährleisten, dass diese auch mit den relevanten Materialien aus dem nun in München aufbewahrten Geschäfts- und Herstellungsarchiv verknüpft werden könnten. Was die Digitalisierung betrifft, so kündigte Nägele gegenüber der nmz einen DFG-Antrag für das kommende Jahr an und nannte eine zeitliche Perspektive von etwa fünf Jahren.
Erste Kritik an der mit dem Ankauf verbundenen Zerschlagung des Schott-Archivs äußerte die Archivarin Thekla Kluttig, die in der Online-Ausgabe des Börsenblatts davon sprach, damit würden „die vielfachen Querbezüge unkenntlich gemacht, die innerhalb des Verlagsarchivs zwischen Akten, Geschäftsbüchern, Herstellungsunterlagen, Musikalien und Korrespondenzen bestehen”.
Nach Angaben von Schott Music umfasst das komplette nun verkaufte Konvolut die rund 85.000 Archivalien des historischen Verlagsarchivs, die bis einschließlich 1950 bei Schott Mainz eingingen oder entstanden. Dazu gehören das historische Herstellungs-, Musikautographen- und Erstausgabenarchiv ebenso wie die Einzelstücke der Geschäftsakten von 1787 bis 1945 sowie Briefe bis 1950. Das Briefarchiv umfasst laut Verlagsangaben rund 40.000 Positionen, darunter 265 Briefe von Richard Wagner und 690 von Paul Hindemith. Als besonders wertvolle Musikmanuskripte nennt Schott Richard Wagners ersten handschriftlichen Textentwurf zu den „ Meistersingern von Nürnberg“ sowie Werke des 20. Jahrhunderts, darunter die Chorpartitur der „Carmina Burana“ von Carl Orff, die sechste Symphonie von Karl Amadeus Hartmann und Luigi Nonos „Il canto sospeso“.