Der amerikanische Publizist John Corbett führte seinetwegen die Vokabel „Conradismen“ in die Musikkritik ein. Tatsächlich: Was sich Conny Bauer, 1943 geborener Pfarrerssohn aus Halles Froher Zukunft, in gut vierzig Jahren monomanischer Arbeit mit der Posaune antrainiert hat, ist ohne Vergleich. Als überzeugender Einzeltäter zählt er zu den wenigen Altvorderen des freien DDR-Jazz, die den Sprung in die Welt schafften.
Vor lichten Reihen und in mildem, sehr rhythmischem und gerade deswegen so überzeugendem Fluss hob er am Freitagabend (23. Oktober) in der Konzerthalle Ulrichskirche zu einem Ideenflug ab. Und weil er im Kern ein ideenreich insistierender Melodiker ist, staunte ein fasziniertes Publikum quer durch die Generationen.
Bauers Konzerte sind nicht wie andere Konzerte. Eine dramaturgisch klug gebaute Parforce-Tour hört man, eine ausgeschrittene Lehrstunde, vollgepackt mit stupender Technik, die immer wieder in Superlativen gelobt wurde. Für seine aktuellen CD „Der gelbe Klang“ (Jazzwerkstatt 038) bekam er unlängst den Vierteljahrespreis der deutschen Schallplattenkritik. „Ich möchte etwas zu meiner Technik sagen“, beginnt Bauer das Konzert. Doch das wäre ein abendfüllendes Unterfangen. Also stellt er nur klar, dass er über Computer nicht etwa Vorgefertigtes abruft, sondern im Moment gefundene Themen einfängt und sich zuspielt, um mit und über ihnen zu improvisieren. Dieser Mann ist sein eigener Posaunenchor. Er arbeitet nicht mit doppelten Böden, dafür aber mit sich potenzierenden Ideen, insbesondere seit er die Elektronik für sich entdeckt hat.
Er beherrscht die Zirkularatmung, Überblastechniken, Mehrstimmigkeit, resultierend aus zwei Stimmen, geblasen und gesungen, die in einer Weise Obertöne verstärken, dass es die Posaune wie vier- oder mehrstimmig klingen lässt, Geräuscherzeugung und -einbeziehung inklusive, perkussives Lippenflattern, rhythmisches Fußstampen und und und. So tritt er mit sich in den Dialog. Mindestens.
„Der gelbe Klang“, den er in Halle vorstellt, ist ein Füllhorn wundervoller Themen, die er dreht, wendet, umspielt und Zug um Zug überzeugend hinausposaunt. Das ist alles andere als hermetische Musik. Was den Abend so nachhaltig macht, ist Bauers sympathische Beiläufigkeit, mit der er seinen Stoff ausschreitet, ihn in- und übereinander schiebt und schichtet, auf dass er sich in den Köpfen festhakt. Er hat es gar nicht nötig, penetrant Virtuosentum vor sich her zu tragen. Er hat es, um es mit seinem Wunderhorn in Leichtigkeit zu kanalisieren, in der Tiefe des Raums mit breiter Palette zu malen und seine Geschichten zu erzählen. Das vergisst neben dem Intellekt die Seele nicht und neben dem Ernst nicht den Humor. Und vor allem vergisst es nicht die Zuhörer. Die versenken sich in die gute Stunde eines so dichten Ideenflusses, dass kein Freiraum ist für Beifall, der dann aber um so heftiger einen ordentlichen Zugabenblock erklatscht zu diesem idealen Wochenaus- und Wochenendeinklang.