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Zukunftsmusik: Philippe Jordan dirigiert „Das Rheingold“ in Paris

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Just 200 Jahre nach Ausbruch der Französischen Revolution wurde 1989 in Paris die Opéra Bastille eröffnet – als neues, technisch und in seinem gesellschaftlichen Anspruch hoch modernes Opernhaus: Präsident Mitterand hatte im Sinn, die klassische Musik zu popularisieren – ein bis heute gleichsam revolutionärer Anspruch. Ihn mit Richard Wagners Ring-Tetralogie und ihrer Umwertung aller Werte auch künstlerisch zu untermauern, hat indes nicht einmal Gerard Mortier vermocht.

Sein Intendantenachfolger Nicolas Joel hat es nun gemeinsam mit dem jungen Musikdirektor des Hauses, dem Schweizer Philippe Jordan, sowie dem deutschen Regisseur Günter Krämer unternommen, innerhalb von zwei Spielzeiten das Mammutwerk zu stemmen. Der erfolgreiche Auftakt mit „Das Rheingold“ macht Hoffnung, dass dem Team mehr Glück beschieden sein wird als den Machern des letzten Pariser Rings, der zum Jahrestag der Uraufführung, anno 1976, nie über den Vorabend hinaus kommen sollte.

Die von Richard Wagner einst nicht nur in seiner Tetralogie, sondern auch in einem seiner wortreichen Traktate angestrebte Versöhnung von Kunst und Revolution wird in Paris zunächst weniger augen- denn ohrenfällig, und das von den ersten Takten des Werkes an: Wenn die Kontrabässe ihr tiefes „Es“ gleich einem nicht enden wollenden Bordun grummeln und der Klangraum sich mit jedem darauf gesetzten Intervall strukturklar und organisch weitet, dann klingt Richard Wagner an diesem Abend kaum anders als György Ligeti. Zwischen „Das Rheingold“ und „Lontano“ liegt zwar ein ganzes Jahrhundert Musikgeschichte, Philippe Jordan rückt den Bayreuther Meister in der Pariser Premiere des Vorabends der Ring-Tetralogie indes so entschieden an die Musik der Gegenwart heran, dass uns der seinerzeit jede Konvention sprengende Gestus Wagners erneut unerhört vorkommt – der ziemlich vollkommenen Gewöhnung unserer Ohren an die Emanzipation der Dissonanz zum ach so willkommenen Trotz. Welch eine Leistung des 35 Jahre jungen, frisch gebackenen Musikdirektors der Pariser Oper: So klingt Zukunftsmusik!

Der aufstrebende Schweizer macht es sich, dem Orchester der Opéra National de Paris und den an diesem Abend spürbar den Wagnerisme hochleben lassenden Franzosen also nicht leicht. Statt auf wohlfeil effektheischendes präpotentes Protzen wuchtiger Wagner-wonnen zu setzen, geht dieser Hoffnungsträger der jüngeren Dirigentenszene ein Wagnis nach dem anderen ein. Da kitzelt er den spröden Witz des kleinteiligen Gewirks der Leitmotive heraus und schärft die rhythmischen Konturen, zumal in Loges Erzählungen, die Kim Begley mit charaktertenoral schmieriger Schärfe würzt. Da inszeniert er sein ihm traumwandlerisch folgendes Orchester gleichsam, mit einer wunderschön ausmusizierten Detailverliebtheit in den plappernden Holzbläsereinwürfen und einer Aufhellung der luziden hohen Streicher, dass die überragende Sophie Koch als Fricka ihren ebenso modernen wie betörenden Wagnergesang in der idealen Mitte zwischen Belcanto und Sprech-gesang verorten kann.

Und da denkt der charmant charismatische Maestro Wagners Partitur eben immer aus dem Geist des Theatralischen heraus: Wenn Alberich die Nibelungen antreibt, seinem Widersacher Wotan das Gold doch „Rasch da! rasch!“ herbeizuschaffen, musiziert Jordan die Stelle mit agogisch lauernden Verzögerungen aus – eine geschickte Zuspitzung der Qual des geschundenen Zwerges, dessen Großmannsfantasien gerade so kläglich scheitern. Peter Sidhom gelingt hier eine psychologisch eindringliche Studie Alberichs, die seine mehr deklamatorisch markante denn bassbaritonal klangmächtige Anlage der Rolle anrührend beglaubigt.

Es wird deutlich: Philippe Jordan versagt sich zwar das große Ring-Schwelgen, verschreibt sich dafür aber einer punktgenauen, gerade auch dynamisch ungemein differenzierten orchestralen Klangrede, was seine Sänger ihm zu danken wissen. Denn so durchhörbar, pianozart und musikantisch hat ein Wagner-Orchester die Bühne nur selten kommentiert und illustriert. Von der verstehen wir annähernd jedes Wort, selbst der mittlerweile nicht mehr aus dem vokalen Vollen schöpfende Wotan vom Dienst Falk Struckmann wirkt in Paris weit weniger prustend als sonst. Profilieren kann sich an der Seine durch Jordans orchestrale Transparenz aber eher die junge Garde der Wagnergesangs: Neben Sophie Koch als Fricka sind dies vor allem Iain Paterson als verliebter Fasolt mit wohlig warm timbrierter Basswucht und Qui Lin Zhang mit grandios pastosem Erda-Alt.

Solchen Debütanten-Bonus erhält Günter Krämer für seine Inszenierung natürlich keinen mehr, sein Rheingold-Konzept folgt über weite Strecken jenem des einstigen Hamburger Rings, den er dort Anfang der 90er Jahre gemeinsam mit Dirigent Gerd Albrecht ge-schmiedet hatte. Ab der „Walküre“ aber soll es ganz anders weitergehen, ließ der Regisseur nach der Premiere verlauten. Wenn auch nicht wirklich neu, so ist diese mätzchenfreie, in den Loge-Szenen mit revuehaften Elementen des Satyrspiels gespickte, die Geschichte sauber erzählende Regiearbeit doch von klaren und starken, immer wieder auch durchaus kulinarisch schönen und berückenden Bildern geprägt (Bühne: Jürgen Bäckmann, Kostüme: Falk Bauer).

Wenn die Rheintöchter sich nach dem Raub des roten Goldes ihrer neckischen Glitzeroben entledigen und von Naturkindern zu ganz normalen Frauen mutieren, erleben wir die Entzauberung der Unschuld. Psychologisch einleuchtend, wie einst in Hamburg, ist später die still zärtliche Trauer Freias über den erschlagenen Fasolt – die mädchenhaft Göttin hatte sich offenbar in ihren Entführer verguckt. Eindruck machen die Verwandlungen Alberichs in Riesenwurm und Kröte, die Krämer einmal mehr als des Zwergen Taschenspielertricks mit den durchschaubaren Mitteln des Theaters und mit Hilfe eines engagierten Bewegungschores vorführt. Das Gold ist eine Kugel, derer sich Alberich bemächtigt, um sie hernach von seinen Nibelungen zersägen zu lassen, will sagen: Die Einheit der Natur wird zerstört. Wagners Zivilisationskritik wird so mit einem eindrücklich einfachen Bild vergegenwärtigt.

Wie tragfähig ein paar rezeptionsgeschichtliche Zutaten in Krämers also begrenzt neuer Neuinszenierung sind – Germania-Flaggen erinnern deutlich an Nazi-Parteitage, das Aufbegehren der Riesen schwört mit roten Fahnen Erinnerungen vom Sturm auf die Bas-tille über die RAF bis zu Terrorgruppen unserer Tage herauf – wird sich erst in den kommenden Ring-Teilen zeigen. Dieser im besonderen orchestral ganz exzellente Vor-abend des nun erstmals an der Bastille-Oper aufgeführten Rings macht jedenfalls Lust auf mehr. „Die Walküre“ folgt bereits Ende Mai 2010.
 

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