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Brad Mehldau und Joshua Redman auf Tournee. Foto: Veranstalter
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Zwei rechte Hände: Grandioser Auftakt einer Deutschlandtournee: Joshua Redman und Brad Mehldau bei „Jazz in Kongress“ in München

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Man sollte alles liegen und stehen lassen und den beiden auf ihrer Tournee hinterher reisen. Was nämlich Joshua Redman und Brad Mehldau zum Auftakt ihrer Deutschlandtournee in München boten, übertraf an Schönheit, Gefühlsintensität und spannender Improvisationskunst alles, was man von beiden schon mal zu hören bekam. Und auch das war nie von schlechten Eltern.

In der „Alten Kongresshalle“ präsentieren sich Redman am Tenor- und Sopransaxophon und Mehldau am Steinway-Flügel als ein Duo, das wie kein zweites im Jazz die  Möglichkeiten dieser Besetzung pflegt:  das Aufeinander-Hören, die motivische Verknüpfung des Improvisierens und die Freiheit, aber auch das Risiko musikalischer Zweisamkeit.

Den beiden geht es nicht um das  „Schneller, Weiter, Höher!“ einer Virtuositäts-Show, die Jazz mit Improvisations-Sport verwechselt und dabei nur die Oberfläche kratzt.  Sondern um eine Tiefe und  Unmittelbarkeit  des Ausdrucks, die jedes Mal von Neuem versucht, in das womöglich Innerste eines Songs vorzudringen.  Erst recht,  wenn es sich um einen hunderttausendfach gespielten Jazz-Standard wie „The Nearness Of You“ handelt.

Bei diesem Song von Hoagy Carmichael nahm das Forschen jenen romantisch introvertierten Charakter an, den viele mit Brad Mehldau verknüpfen. Hatte er sich bis dahin vor allem in den mittleren Lagen seines Flügels bewegt und die hohen, hellen Töne Joshua Redman am Sopransaxophon überlassen – etwa bei „To Hold On Or Let Go“, einer schwelgerisch leisen Ballade -, schlägt er nun Akkorde an, die so hell und zart, zerbrechlich  und durchsichtig klingen, als ob sie aus hauchdünnem Glas bestünden. Und dabei spielt er in einem so langsamen, von feinen Ritardandi durchwobenem  Dauer-Legato, als ob er den Song und alle Schönheit dieser Welt zu einem akustischen Stillleben einfrieren möchte. Redman holt  dazu – das erste und einzige Mal an diesem Abend – den zartbittren Balladen-Ton eines Tenoristen der ganz alten Schule, eines Coleman Hawkins oder Ben Webster,  hervor.  Könnte man den Geschmack eines unglaublich schweren, alten Rotweins in Klang übersetzen – er würde genau so klingen wie Redman über „The Nearness Of You“ .

Dass beide auch rasant und verwegen klingen können, hatten sie zuvor schon mit „Cheryl“ gezeigt.   Mehldau und Redman behandelten die Nummer von Charlie Parker mit der elliptischen Ästhetik von Thelonious Monk:  Mehldau ließ die Töne so kubistisch durch den Raum purzeln, als ob er auch das fehlende Schlagzeug in sein Spiel integrieren möchte, während Redman auf jeden Impuls  Mehldaus so blitzschnell wie ein Akrobat reagierte. Ein Drahtseilakt des Be Bop ohne Netz und doppelten Boden einer Rhythmusgruppe.

Bei „Cheryl“ wurde auch pianistisch deutlich, was die Alleinstellung von Mehldau ausmacht:  Andere Jazzpianisten spielen mit einer linken und einer rechten Hand -  zwei rechte Hände hat nur Brad Mehldau. In der Auseinandersetzung  mit klassischer Klaviermusik hat sich seine linke Hand so virtuos, unabhängig,  frei wie seine rechte entwickelt. So kann er nach Belieben Motive in die linke Hand fließen lassen, sich kontrapunktisch begleiten und links so differenziert anschlagen wie rechts, was seinem Spiel eine besondere Tiefe  verleiht. 

Ein dritter Star des Abends war  wieder mal die „Alte Kongresshalle“, die sich – das zeigte dieses grandiose Konzert vor rund 600 Zuhörern – hervorragend für Jazzveranstaltungen  eignet. Die sehr schön renovierte, holzgetäfelte  Halle aus den frühen 50-ern bietet die Ästhetik eines edlen Nierentischs und einen Raumklang, bei dem es selbst bei minimaler Verstärkung keine schlechten Plätze gibt.  Der Jazzclub „Unterfahrt“ und sein Trägerverein wollen hier mit „Jazz in Kongress“  die in München existierende Lücke für größere Jazzkonzerte schließen. Einen brillanteren Anfang  als mit Brad Mehldau und Joshua Redman hätte es nicht geben können.


Joshua Redman & Brad Mehldau Duo – die nächsten Konzerttermine:

22.11.11 Bremen (Glocke)
23.11.11 Düsseldorf (Tonhalle)
24.11.11 Frankfurt (Alte Oper)
25.11.11 Dortmund (Konzerthaus)
27.11.11 Hamburg (Laeiszhalle)

 

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