Samtrotes Licht, das eine Plüschsofastimmung verbreitet. Im Hintergrund ein paar Ständer mit Sternen, die an gebackene Riesenkekse erinnern würden, wenn sie nicht auch leuchten könnten. Und am rechten Bühnenrand ein altes, symbolträchtiges Grammophon, von dem Diana Krall später verraten wird, dass es aus dem Fundus ihres Vaters stammt.
Für das Münchner Konzert im Rahmen ihrer „Glad Rag Doll“-Tour hat die kanadische Sängerin und Pianistin die Bühne im Gasteig in eine Mischung aus Vaudeville-Theater, Musikzirkus und Piano-Bar verwandeln lassen. Passend zur Musik ihres aktuellen Albums, zu dem sie sich im Wesentlichen von den Schellackplatten ihres Vaters hat inspirieren lassen. Dazu passend auch das Outfit, in das sich die erfolgreichste Künstlerin des Mainstream-Jazz für diesen Abend geworfen hat: Hohe schwarze Stiefel, eine enge schwarze Hose aus Leder, ein schwarzer Frack über weißer Rüschen-Bluse und darüber thronend die berühmte, edel auffrisierte, unendlich blonde Krall-Mähne. Irgendwie sieht sie darin aus wie eine Mischung aus Zirkusdirektorin, Western-Saloon-Heldin und Thomas Gottschalk.
Schade nur, dass sich nicht auch der miese Klang der Philharmonie mit ein paar aufgestellten Requisiten verwandeln lässt. Die zwei flotten Nummern, die den Abend eröffnen – Harry Woods „We Just Couldn’t Say Goodbye“ und Fred Fischers „There Ain’t No Sweet Man That‘s Worth The Salt Of My Tears“ – gehen in einem Rumpelkammer-Sound aus viel Slide-Gitarre und noch mehr Schlagzeug unter. Aram Barakjan - auf dieser Tour Ersatzmann für Marc Ribot, der noch im Studio in die Gitarrensaiten griff – legt eines seiner ersten, vom Publikum gefeierten Soli als wilder Blues-Mann hin.
Wie alles ungefähr klingen soll – nämlich nach der „Howlin‘ Wolf meets Bix Beiderbecke“-Formel von T-Bone Burnett, dem Produzenten von „Glad Rag Doll“ – lässt sich erst bei der dritten, viel zarteren Nummer vernehmen. „Just Like A Butterfly Caught In The Rain“ klingt leise und fast unplugged auf einmal transparent nach Bandklang und Musik. Sogar Patrick Warren, der über weite Teile des Konzerts unterbeschäftigt nur mit seiner rechten Hand in die Keyboardtasten greift, ist auf einmal mit säuselnden Orgelklängen zu hören. Stuart Duncan erhöht den Retro-Schmelz dieser Nummer mit einem Solo auf der Country- und Jazz-Fiedel, bevor er für „You Know I Know Everything’s Made For Love“ zur Ukulele greift.
Vor „Let It Rain“ erzählt die für ihre Verhältnisse geradezu redselige Diana Krall, dass ihr für das Musikmachen regnerisches Wetter lieber sei als ewiger Sonnenschein. Von ihrer kanadischen Heimat British Columbia sei sie ohnehin nichts anderse gewöhnt. Spricht’s und legt anschließend eine Country-Soul-Version dieser alten Crooner-Kamelle hin. Nach den Soli der Bandmusiker nimmt Kralls Stimme nochmal so viel Gefühl und Soul auf, dass man sogar anfängt, um das schöne Sommerwetter zu fürchten.
Leider geht die Tom Waits-Verbeugung „Temptation“ wieder im Rumpelsound und den anstrengend auf psychadelisch getrimmten Rock-Verzerr-Einlagen von Bajakian an der Gitarre und Duncan an der Geige unter. Vielleicht hat Krall an dieser Stelle selbst genug vom miesen Sound. Jedenfalls schickt sie die Musiker an die imaginäre Backstage-Bar und liefert ein Soloset, in dem von Nat King Cole-Nummern über Joni Mitchell („A Case Of You“), die Beatles (Paul MyCartneys wunderbares „For No One“) und Fats Waller („I’m Gonna Sit Right Down And Write Myself A Letter“) auf einmal das ganze, überraschend weite Spektrum ihres Könnens aufscheint.
Gesang und Klavierspiel sind so ‚tight‘ beieinander, als ob die Stimme nur so etwas wie eine dritte Klavierhand wären. Und auch sängerisch tut die stilistische Öffnung hin zu erlesenem Singer-Songwriter-, Country-, Rock- und Pop-Repertoire gut: Selten hat man Diana Krall so locker, so unmanieriert, mit so unmaskiertem Feeling singen gehört wie über Joni Mitchell und McCartney. Bei der Fats Waller- und Stride-Piano-Hommage quittiert sie ihre virtuosen – absichtlichen? – Verspieler mit einem charmant-uncharmanten „Scheiße“, um anschließend einen Finger („Ich habe mich heute geschnitten. And it’s killing me.“) mit einem neuen Pflaster pianistisch not zu versorgen. Ein ganzes Solokonzert, liebe Frau Krall, wäre auch mal keine schlechte Idee…
Als die Band wieder auf die Bühne kommt, ist der Sound auf einmal viel besser als zuvor. Das Sextett verwandelt Irving Berlins „How Deep Is The Ocean“ vom swingenden Jazzstandard in eine elastisch auf den Zehenspitzen daher federnde Soul-Ballade. Beim „Boulevard of Broken Dreams“ lässt Krall die Träume über einen hübschen Tango-Groove zerplatzen, der von Stuart Duncans gezupfter Violine dezent pointiert wird. Und über „Just You, Just Me“ darf Karriem Riggins mit einem sehr hübschen Besen-Solo zeigen, dass er nicht nur den auf Americana-Archaik getrimmten Schlagzeug-Minimalismus von „Glad Rag Doll“ beherrscht. Und ganz zum Schluss gibt es vor den Zugaben auch noch fetzigen Rockabilly-Jazz: „I’m A Little Mixed Up“ von Betty James rockt den Gasteig mit Slide-Gitarren-Riffs wie aus dem Mississippi-Delta.
Bei den Zugaben folgt Diana Krall ganz dem All-American-Repertoire-Ansatz wie es sich schickt, wenn man mit Elvis Costello, diesem Kurator der amerikanischen Musik in fast all ihren Verästelungen, verheiratet ist. Bob Dylans „Simple Twist of Fate“ lässt Krall plötzlich mit einem wunderbar konsonantbetonten „Fate“ ausklingen – noch nie dürfte im Gasteig ein „T“ sein Leben so wunderschön und schicksalshaft ausgehaucht haben wie an diesem Abend. Danach folgt der Country-Rock-Kracher „Ophelia“ von „The Band“, den Krall mit Boogie- und Barrelhouse-Piano einleitet. Und zu guter Letzt noch mal was vom großen, großen Bob. Bei einer sehr groovigen Version des „Subterranean Homesick Blues“ spuckt Krall den Songtext wie ein kleiner Wort-Vulkan aus. Und Karriem Riggins, der Jazzschlagzeuger, der schon mit J Dilla, den Roots, Madlib Hip Hop produziert hat, trommelt so beherzt, als wollte er sagen: Leute, auch mit dieser Dylan-Nummer hat Hip Hop und Rap angefangen! Der Sound ist da schon wieder schlecht. So schlecht, dass man eigentlich gar nicht traurig ist, dass dieses Konzert – ein unterhaltsames, abwechslungsreiches und überraschendes – zu Ende geht.