Hauptbild
Musikland-Jahreskonferenz zeigt Perspektiven für geflüchtete Musiker. Foto: Hufner
Grüne fordern «Schluss mit brotloser Kunst». Foto: Hufner
Hauptrubrik
Banner Full-Size

15 Sekunden Musik und roter Knopf: Urheberrechtsreform nimmt Hürde

Publikationsdatum
Body

Berlin (dpa) - Als es auf europäischer Ebene um ein moderneres Urheberrecht ging, das die Netzwelt einbezieht, waren Tausende auf der Straße. Der Kampfbegriff: Upload-Filter. Die Befürchtung: dass Plattformen per Richtlinie Inhalte vor dem Hochladen rausfischen und Freiheiten im Netz beschneiden. Die Bundesregierung ist nach mehreren Verzögerungen nun dabei, EU-Richtlinien in nationales Recht umzusetzen. Dabei geht es deutlich leiser und sachlicher zu als damals. Aber nach einer Lösung, die alle Seiten zufriedenstellt, sieht es auch nicht aus.

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) ist umgeben von unterschiedlichsten Interessen. Im Geflecht zwischen Nutzern, Urhebern, Gewerkschaften, Verlagen, Internet-, Musik-, Kreativ- und Filmbranche versucht sich die schwarz-rote Regierung im Spagat. Mit dem am Mittwoch vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf ist die Opposition jedoch unzufrieden. Die Grünen vergleichen das Ganze mit einer «Großbaustelle». Lambrecht aber verspricht: «Unser Entwurf sieht einen fairen Interessenausgleich vor, von dem Kreative, Rechteverwerter und Nutzer gleichermaßen profitieren werden.»

Eigentlich geht es im Grunde um viel mehr als um die Regeln zum Urheberrecht. Das Vorhaben fällt in eine Zeit, in der die EU ohnehin an einigen Schrauben im Digitalen drehen möchte. Die übergeordnete Ebene: Wie können in der digitalen Welt und immer größer werdenden Wirtschaftsmacht einzelner Konzerne wie Google, Amazon oder Apple gesetzliche Mechanismen geschaffen werden, um eine Übermacht in der EU zu verhindern und zugleich eine Verantwortlichkeit im Netz zu fördern?

Es geht um Wirtschaft und Wettbewerb - aber auch ums große Ganze wie demokratische Fragen. Presseverleger etwa machen hierzulande seit Jahren immer mehr Druck. Zuletzt schrieb der Chef des Medienkonzerns Axel Springer («Bild», «Welt»), Mathias Döpfner, einen offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie antwortete - auch in einem offenen Brief.

Zurück zur konkreten Stellschraube: Die Reform soll das rechtliche Verhältnis zwischen Urheber, Internet-Plattformen und Nutzern festlegen, wenn es zum Beispiel um das Hochladen von Fotos, Artikelteilen oder Videoausschnitten geht. Vor allem bei Verstößen muss geklärt sein, wer verantwortlich ist. Ziel ist auch, Urheber an der Wertschöpfung von Plattformen zu beteiligen.

Upload-Plattformen sollen dem neuen Gesetz zufolge grundsätzlich für hochgeladene Inhalte künftig urheberrechtlich verantwortlich sein. Aus der Haftung können sich Diensteanbieter befreien, wenn sie etwa Lizenzen für geschützte Werke abschließen. Lizenzmodelle gibt es bereits in der Praxis. Und schon wird es wieder haarig. Der Bundesverband Musikindustrie wertet den Gesetzentwurf so, dass in bestehende Märkte «reinreguliert» werde.

Sicher auch unter dem Eindruck des Upload-Filter-Zanks auf den Straßen in vielen EU-Ländern hatte die schwarz-rote Koalition ihre Zustimmung zu der EU-Reform 2019 an eine - nicht bindende - Protokollerklärung geknüpft. Darin heißt es: «Ziel muss es sein, das Instrument «Uploadfilter» weitgehend unnötig zu machen.» Auch im Koalitionsvertrag steht, eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von solchen Filtern werde als «unverhältnismäßig» abgelehnt.

Rechteinhaber sollen künftig einer Plattform anzeigen können, wenn sie nicht wollen, dass ihre Werke hochgeladen werden. Dann muss der Anbieter diese Inhalte vor dem Hochladen herausfiltern. Der Nutzer wird über die Blockierung informiert. Auch ein «roter Knopf» ist geplant: Demnach sollen Rechteinhaber einer Plattform anzeigen können, wenn unerlaubte Inhalte bereits hochgeladen worden sind. So sollen sie dann sofort wieder verschwinden können.

Der Digitalverband Bitkom ist mit dem Entwurf unzufrieden. Geschäftsführungs-Mitglied Susanne Dehmel sagt: «Auch wenn es die Bundesregierung so nicht nennen möchte: Die Upload-Filter sollen kommen.» Betreiber von bestimmten Online-Plattformen würden erstmals mit einer Überwachungspflicht ihrer Dienste belegt. «Die einzelnen Vorgaben zur Überwachung, Sperrung und Moderation von Nutzerbeschwerden sind technisch schlicht nicht umsetzbar. Die betroffenen Plattformen stehen vor einer kaum lösbaren Aufgabe.»

Umstritten war im Vorfeld auch eine sogenannte Bagatellregelung, wonach das Hochladen von Ausschnitten geschützter Texte, Videos oder Tonspuren frei erlaubt sein soll, um Nutzergewohnheiten entgegen zu kommen. Nach massiver Kritik aus der Kultur-, Medien- und Kreativbranche wurde der Umfang im Gesetzentwurf gekürzt: bis zu 15 Sekunden eines Filmwerks oder Laufbilde, bis zu 15 Sekunden Tonspur (davor jeweils 20 Sekunden), bis zu 160 Zeichen eines Textes (davor 1000 Zeichen) und bis zu 125 Kilobyte je eines Lichtbildwerkes, Lichtbildes oder einer Grafik (davor 250 Kilobyte).

Der Verband Vaunet als Vertreter der privaten Medien sieht aber weiterhin das Problem, dass so Rechteinhaber nicht mehr primär darüber bestimmen können, wie und wo die Nutzung ihrer Werke stattfindet. Der Deutsche Journalistenverband spricht von einem «faulen Kompromiss».

In welchem Spannungsfeld sich die Bundesregierung bewegt, kann man auch am zeitlichen Ablauf ablesen. Wieder und wieder wurde das Thema vertagt. Eigentlich war im Dezember ein Beschluss vorgesehen, dann im Januar. Ohne Angabe von Gründen wurde er in der vergangenen Woche dann plötzlich am Abend vor der Sitzung wieder verschoben. Branchenvertreter fragen sich auch, warum der Bund Sonderregeln einführt. Sie plädieren für eine 1:1-Umsetzung der EU-Richtlinien.

Presseverleger fordern zugleich eine zügige Umsetzung von Richtlinien, um journalistische Inhalte zu schützen. Einiges wird an der umfangreichen Reform auch als Verbesserung gesehen. Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) und der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) erwähnten das vorgesehene Leistungsschutzrecht für Journalismus, von dem Verlage profitieren sollen.

Die Zeit läuft im Juni ab. Bis dahin muss Deutschland die EU-Richtlinien in nationales Recht übertragen haben. Das Vorhaben kommt nun noch in Bundestag und Bundesrat.

Ort