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Achtung, Sie verlassen den klassischen Sektor

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David Garrett und die Klassikstars: Täuschen wir uns nicht, dieser Hype bröckelt
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Bei wie vielen Diskussionen habe ich schon gesessen und musste mir anhören, dass die „Klassische Musik“ auszusterben droht! „Meine Kinder hören nur Popmusik – ich finde das einseitig, hatte aber selbst kaum Musik­unterricht und kann ihnen da nicht helfen“. Oder: „40 Millionen jährlich für die Oper – und welcher Prozentsatz der Bürger der Stadt geht hin?!“ „Gehen Sie doch mal in ein Sinfoniekonzert und betrachten Sie das Publikum – ein Silbersee!“ Wird es die Bio­logie sein, die das Problem aus der Welt schafft? „Macht nichts“, sagen andere, „junge Menschen neigen nun mal mehr zur Popmusik. Wenn sie älter werden, kommen sie automatisch zur Klassischen Musik.“ Eben nicht, sagen Forscher, wir können nachweisen, dass die Menschen, wenn sie älter werden, zur Musik ihrer Kindheit und Jugend zurückkehren. Und wenn da die Klassische Musik gefehlt hat?

Bisher erklingen in den Alteneinrichtungen noch deutsche Volkslieder und Operettenmelodien, gelegentlich klassische Stücke. Aber die Freunde der Rockmusik sind längst sechzig geworden. Bald werden in den Alteneinrichtungen ganz andere Klänge zu hören sein. Gründe? Wir sind überrollt vom Siegeszug der populären Musik. Die ist auch gut, und ist in gewisser Weise die Volksmusik von heute. Aber sie hat die Klassik leider weitgehend verdrängt. Die Tragik ist: An sich ist die Klassik immer anwesend, ist omnipräsent. Wir hören und erleben ihre Mittel im Kino, vor dem Fernseher, bei der Film- und Fernsehwerbung. Sie wirken. Filmmusik erreicht uns. Aber dies Musikhören geschieht unbewusst, passiv. In die aktive Sprache dieser Musik wurden wir nicht eingeführt. Andere entscheiden, was wir genießen und welche Erfahrungen wir machen. Ein mündiger Zustand? 

Dabei können Kinder ganz leicht für Klassische Musik begeistert werden. Wir geben ihnen leider kaum Gelegenheit dafür. Wir haben ein Vermittlungsproblem. Diese Musik kommt aktiv in immer weniger Elternhäusern vor. Die hatten sie nicht kennenlernen dürfen. Das Fenster der Musikalisierung schließt sich erheblich mit dem 6.–7. Lebensjahr. Bereits wenn die Kinder in der Grundschule ankommen, sind sie dafür schon recht alt. Mit beginnender Pubertät, und die beginnt heute in den Klassen 4 und 5, sind die Kinder musikalisch bereits orientiert, festgelegt. Wenn wir dann noch für klassische Musik begeistern wollen, strampeln wir uns ab, mit meist geringen Erfolgen. Die Zeit der „Offenohrigkeit“ (Hargrea­ves, Gembris) der Kindheit ist vorbei. 

Was ist das Ergebnis? Setzen Sie sich mal eine halbe Stunde ins Foyer so mancher Musikhochschule. Sie denken, Sie wären in Asien. Bildungsinnenländer, „Wurzeldeutsche“ haben immer weniger Chancen einen Studienplatz an einer Musikhochschule zu bekommen. Denn wir haben ein Ausbildungsdefizit.

Viele haben es begriffen. Seit Jahren wird wieder häufig und positiv über die Wichtigkeit des Musikunterrichts geredet. Einige Musikalisierungsini­tiativen sind entstanden. „Jedem Kind ein Instrument“ ist die bekannteste. In der Grundschule lernen Kinder Instrumente kennen und machen erste Spielversuche. „Vier Töne und ein Jahr“? Das reicht nicht. Praktisch alle Orchester und Opernhäuser haben ihren Silbersee entdeckt und machen – mehr oder weniger begeistert mit. Es geht auch um Arbeitsplätze! – Kinder- und Jugendveranstaltungen. Das reicht nicht. Mit Projekten, zeitlich begrenzten Kooperationen, mit Einzelveranstaltungen, mit Events schaffen wir es nicht. Es geht um Grundlagen. Wir brauchen Strukturen. Was die Elternhäuser nicht bieten, muss in den Bildungseinrichtungen nachgeholt werden. Wir brauchen regelmäßige Musik­angebote in den Kitas. Dazu gehört, dass das Fach einen angemessenen Stellenwert in den Ausbildungen bekommt. In den Schulen brauchen wir Musikunterricht (zweistündig!) auf jeder Schulstufe, vor allem in den Grundschulen (!), und ein schulisches Musikleben mit Chören, Bands, Orches­tern und Tanzgruppen. Musik ist eine Sprache. Wie alle Sprachen muss man sich regelmäßig damit beschäftigen, nicht nur hin und wieder. Wer käme darauf, den Englischunterricht nur gelegentlich anzubieten? Und nur zuhörend, nicht sprechend? Die öffentlichen Musikschulen unterstützen mit Kooperationsangeboten längst sehr stark bei der musikalischen Allgemeinbildung in den Kitas und Schulen. Wir brauchen sie vor allem für den Unterricht mit den Fortgeschrittenen, für die Talentförderung, den Begabtenunterricht, die Studienvorbereitung. 

Der Beginn ist sogar einfach. Kindern ist noch nicht wichtig, dass es Klassik oder Pop oder Rock oder Schlager gibt. Bitte auch nicht immer nur die „Big Five“ servieren: Peter und der Wolf, Die Moldau, Vivaldis Vier Jahreszeiten, Karneval der Tiere, Eulenspiegel. Die sind schön und motivierend. Die Kinder müssen auf dieser frühen Altersstufe aber in das Innenleben der Musik eingeführt werden. Später können sie sich dann stilistisch entscheiden. Meinetwegen auch gegen die Klassik. Aber sie sollten sie kennengelernt haben. 

Wo bitte geht’s ins Innenleben der Musik? Die Kinder sollten Lieder singen, die sie berühren, sie sollten hören und empfinden lernen, was der Unterschied ist, wenn eine Melodie Ton für Ton schreitet oder springt, wenn sie steigt oder fällt, wenn sie langsam verläuft oder mit kurzen Tönen rennt. Sie sollten erleben, wie es wirkt, wenn zwei oder drei Töne gleichzeitig erklingen und dass es toll ist, dass wir verschieden klingende Instrument haben. Und vor allem, wie gut es tut, zu singen. Am besten täglich.

Selbstverständlich ist das alles auch eine soziale Frage. Musikunterricht kos­tet Geld. Geld für die Musiklehrer, für Räume, Instrumente, Geräte und Noten. Sind die Bevölkerungskreise, die mit Klassischer Musik leben, bereit, dies denen, die hier noch nicht teilnehmen, zu bezahlen?

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