Keine Musikvideos, kaum Interviews, nur eine Hand voll Konzerte: haben ihrer Plattenfirma die Promotion ihres neuen Albums nicht gerade einfach gemacht. Trotzdem schaffte die „Kid A“ betitelte Platte Anfang Oktober auf Anhieb den Sprung an die Spitze der US-Albumcharts. Für Radioheads Label Columbia die erste Nummer eins seit mehr als zwei Jahren. Geholfen hat der Firma dabei das Internet.
Columbia entschied sich dafür, das Album massiv über Audiostreams zu promoten. Auf zahlreichen Sites ließ sich „Kid A“ bereits drei Wochen vor dem Veröffentlichungstermin in kompletter Länge anhören. Außerdem kooperierte Columbia mit den Anbietern und Angrycoffee, beides umstrittene Konkurrenten zur Musikertauschbörse . Zwar gab es auf den Sites keine Radiohead-MP3s, doch die Fans dürften das Signal verstanden haben: Statt wie von fürs MP3-Tauschen beschimpft zu werden, wurden sie hier als Konsumenten ernst genommen.
Majorlabel nutzt Konkurrenz
Mit dieser Kampagne arbeitet erstmals ein großes Plattenlabel direkt mit rechtlich umstrittenen Musik-Tauschbörsen zusammen. Zwar gab es auch vorher schon Musiker, die das Netz für unkonventionelle Werbemethoden nutzten. Doch meist geschah dies gegen den erklärten Willen ihrer Plattenfirmen. Mitte September kündigten die etwa die Pop-Punks der Band an, ihr komplettes Album noch vor dem offiziellen Release im Web zum Download anzubieten. Nach Intervention ihrer Plattenfirma mussten sie sich jedoch darauf beschränken, ihre aktuelle Single ins Web zu stellen. Gleichzeitig erklärte Offspring-Sänger Dexter Gordon trotzig, nun müssten sich die Fans die Platte eben mit Napster besorgen. Damit hat die Band sich immerhin ein Rebellenimage aufgebaut, das ihre braven Songs allein niemals erreicht hätten.
Neben solchen Imageaspekten sehen viele bekannte Musiker in MP3s mittlerweile auch eine ernsthafte Chance, ohne Unterstützung der großen Plattenfirmen Gehör zu finden. Besonders engagiert wird dies von der Hole-Sängerin Courtney Love propagiert, die im Juni ihren Bruch mit der traditionellen Musikwirtschaft verkündete. Damals erklärte sie in einer Aufsehen erregenden Rede, die wahren Musikpiraten seien nicht Napster & Co., sondern die großen Plattenfirmen. Gleichzeitig veröffentlichte sie auf ihrer Website mehr als 80 Songs im MP3-Format. Kürzlich hat sie ihre Pläne für eine Zeit ohne große Plattenfirma im Rücken präzisiert: Demnach wird es im Netz einen Hole-Fanclub auf Abobasis geben. Mitglieder können auf Songs, Chats und andere exklusive Inhalte Zugriff erhalten.
Eine Chance für die Nische
Wenn Musiker ihre eigenen Songs im Netz verschenken, dann steckt dahinter oft auch die Angst, dass die eigene musikalische Nische im Zeitalter der Britney-Spears-Verschnitte durch das Aufmerksamkeitsraster der Medien fällt. Matt Johnson alias The The hat zum Beispiel lange Zeit Napster und den MP3-Boom hart kritisiert. Doch dann entschloss er sich dazu, sein letztes Album Song für Song komplett auf seiner Website zu verschenken.
Johnson beklagte sich darüber, dass seine ehemalige Plattenfirma nicht mehr genug Promotion für kleinere Bands betreibe. Durch eine Reihe von Übernahmen und Fusionen fand sich Johnson plötzlich im Mischkonzern Vivendi wieder, der auch Universal-Musiker wie , und vermarktet. Vom Netz erhofft er sich nun einen neuen Schub für Nischenprojekte wie The The: „Das Publikum wird direkt mit den Musikern Geschäfte machen, und der Zwischenhändler wird an Bedeutung verlieren.“
Eine Prognose, der sich nicht jeder anschließen mag. Wie die Radiohead-Kampagne gezeigt hat, können auch Plattenfirmen vom Netz profitieren, wenn sie ihre Totalopposition aufgeben. Für Brad Cecil vom Musik-Startup Buystream.com ist es besonders wichtig, dass Fans hier direkt in die Promotion mit einbezogen werden: „Das beste Marketing war schon immer Mundpropaganda. Mit E-Mail, Chat-Rooms und Napster haben wir heute Mundpropaganda auf Steroiden.“
Informationen unter folgenden Internet-Adressen:
http://www.radiohead.com
http://www.angrycoffee.com
http://www.aimster.com
http://www.offsping.com
http://www.holemusic.com
http://www.thethe.com