Berlin - Das Streaming, bei dem Songs direkt aus dem Netz abgespielt werden, sorgt für Wachstum im lange gebeutelten Musikgeschäft. Aber nun bricht Adele mit ihrem neuen Album Verkaufsrekorde, während sie es Streaming-Nutzern vorenthält. Ziehen andere Musiker mit?
Es hätte ein so schön geradliniger Trend sein können: Das Streaming ist auf dem Vormarsch, Musik wird immer mehr als digitale Übertragung aus dem Netz gehört, statt gekauft zu werden. Doch dann gab die britische Sängerin Adele den Streaming-Diensten bei ihrem neuen Album «25» einen Korb, setzte nur auf den Verkauf von CDs und Downloads - und stellte prompt einen Absatzrekord auf.
Die große Frage ist nun, ob mehr bekannte Musiker dem Beispiel von Adele folgen und ihre neuen Songs zunächst den Kunden von Streaming-Diensten vorenthalten. Denn während die Streaming-Anbieter versprechen, dass auf lange Sicht die steten Einnahmen aus Online-Abrufen sogar mehr Geld als ein CD-Erfolg bringen können - Adele hat gerade auf einen Schlag kräftig Kasse gemacht.
Allein in den USA schlug «25» mühelos einen über 15 Jahre alten Verkaufsrekord, als das Album in gerade einmal drei Tagen rund 2,433 Millionen Mal erworben wurde. Den Bestwert in der ab 1991 erstellten Rangliste des Marktforschers Nielsen hielt seit März 2000 die Platte «No Strings Attached» der Boygroup NSYNC mit 2,416 Millionen Verkäufen in der gesamten ersten Woche. Inzwischen liegt Adeles Album nach drei Wochen bei rund fünf Millionen Exemplaren im US-Markt.
Die britische Band Coldplay ging bei ihrem neuen Album «A Head Full Of Dreams» zwar nicht so weit wie Adele, aber die Nutzer des Streaming-Marktführers Spotify, der auch eine werbefinanzierte Gratis-Version hat, mussten eine Woche länger darauf warten.
In der Branche wird das ganze sehr genau beobachtet. «Es geht sicher immer auch um eine individuelle Analyse des Künstlers: Wo ist meine Fangemeinde? Über welche Zeiträume kann ich welche Erlöse generieren? Vergraule ich Kunden im Streaming-Bereich, oder schaffe ich damit vielleicht sogar ein neues Bewusstsein für den Wert von Musik?», sagt der Chef des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI), Florian Drücke.
«Die Streaming-Kunden wollen natürlich am liebsten alle Musik beim Dienst ihrer Wahl hören können», räumt er ein. Wie werden sie reagieren, wenn in der Zukunft tatsächlich für mehr neue Alben zusätzlich zu ihrem Abo bezahlt werden müsste?
Dabei gab es im deutschen Musikmarkt dank Streaming-Diensten erstmals seit Jahren wieder ein kräftiges Wachstum. Im ersten Halbjahr stieg der Umsatz um 4,4 Prozent auf 686 Millionen Euro. Dabei schossen die Streaming-Einnahmen im Jahresvergleich um mehr als 87 Prozent in die Höhe. Ihr Anteil am Gesamtmarkt stieg dadurch von 7,7 auf 12,8 Prozent.
Streaming ist auch hierzulande im Massenmarkt angekommen. Aldi brachte einen Service unter eigenem Namen, der vom US-Anbieter Napster bereitgestellt wird. Und zettelte gleich einen Preiskampf an mit 7,99 Euro im Monat, zwei Euro weniger als sonst üblich. Zugleich häufen sich Familien-Angebote, bei denen bis zu sechs Nutzer für 14,99 Euro im Monat Musik hören können. Ein weiteres Signal: Herbert Grönemeyer, der Streaming-Dienste lange gemieden hatte, machte seine Alben ab Dezember bei Apple Music verfügbar.
Doch bei aller Aufmerksamkeit für Musik aus dem Netz: Den Großteil des Geldes bringt der Branche in Deutschland nach wie vor die CD ein, zuletzt gut 60 Prozent. «Die CD ist im Moment noch das Rückgrat des Geschäfts. Falls es da einen größeren Einbruch geben sollte, wäre das für die Branche selbstverständlich ein Problem», sagt Verbandschef Drücke. Und das Geschäft hängt massiv von einer kleinen Schicht von Vielkäufern ab. Laut Studien des BVMI gaben 2014 lediglich 3,7 Prozent der Bevölkerung mehr als 80 Euro für Musik aus. Sie sorgten aber für gut 46 Prozent der Umsätze.
Das bedeutet auch, dass jeder Abo-Kunde beim üblichen Preis von 9,99 Euro pro Monat der Branche in einem Jahr mehr Geld in die Kassen spült als viele aktive CD-Käufer. Ein Dorn im Auge sind vielen in der Industrie aber die Gratis-Versionen von Streaming-Diensten, bei denen ein Kunde zwar mit Einschränkungen leben muss, aber trotzdem über die Runden kommt, ohne einen Cent zu bezahlen.
So hat der Marktführer Spotify zwar nach jüngsten Zahlen von Sommer mehr als 75 Millionen Nutzer. Aber rund 55 Millionen von ihnen begnügen sich mit der Gratis-Version. Aus den Musikkonzernen gibt es deshalb Forderungen, die kostenlosen Angebote durch weitere Einschränkungen unattraktiver zu machen.
Die Streaming-Anbieter warnen, dass man Kunden dadurch eventuell in die Internet-Piraterie statt zu Abo-Zahlungen treiben würde. Zugleich hätten sie gern ein größeres Stück vom Kuchen, während aktuell 70 bis 80 Prozent der Einnahmen direkt an die Musikkonzerne weitergereicht werden. Das macht es zu einem Geschäft, bei dem die Nutzerzahl entscheidend ist: Die Grundkosten für den Betrieb der Plattform sind bei jeder Größe weitgehend gleich. Aber mit vielen Kunden hat man bessere Aussichten, sie wieder hereinzuholen. Zwei Anbietern, Simfy und Rdio, wurde die fehlende Masse in diesem Jahr zum Verhängnis.
Musik-Verbandschef: Streaming ist der Markttreiber Interview
Interview Jenny Tobien, dpa
Als eine der ersten Branchen musste sich die Musikindustrie dem digitalen Wandel stellen. Die Herausforderungen waren enorm, doch das Schlimmste ist geschafft, wenn man dem Chef vom Bundesverband Musikindustrie (BVMI), Florian Drücke, Glauben schenken mag.
Frage: Was ist Ihr Fazit für 2015?
Antwort: Nun, das Jahr ist noch nicht vorbei! Aber ich denke, wenn das Weihnachtsgeschäft auch gut läuft, dann können wir zum ersten Mal seit über zehn Jahren ein deutlich positives Signal haben. Gerade im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehen wir in Deutschland einen sehr gesunden physischen Markt. Und wenn man dann noch das Wachstum des aktuellen Markttreibers Streaming betrachtet, dann ist das in jedem Fall ein gutes Zeichen auch für das kommende Jahr.
Frage: Hat das Streaming in diesem Jahr den Durchbruch geschafft?
Antwort: Das Thema ist 2015 in der breiten Bevölkerung angekommen, jetzt ist die volle Aufmerksamkeit da. Maßgeblich mit dazu beigetragen hat das mediale Interesse an den beiden «A»'s - Aldi und Apple. Für die Industrie ist Streaming ja seit sieben, acht Jahren ein großes Thema, aber der Markt in der Breite war noch nicht so weit. Nun ist Streaming noch immer kein Mainstream in Deutschland, aber es ist in aller Munde. Insgesamt ist der deutsche Musikmarkt weiterhin geprägt von einem Mix im Angebot, vom Vinyl bis zur Cloud. Der Kuchen teilt sich bei uns noch anders als in vielen anderen Ländern auf, das macht es spannend.
Frage: Apropos Vinyl. Wie erklären Sie sich den Hype um die gute alte Schallplatte?
Antwort: Vinyl hat in dieser unfassbar beschleunigten Zeit etwas Besinnliches. Es geht um den Moment des Innehaltens und eine andere Form der Auseinandersetzung mit der Musik. Es geht um Sound, Klang und Haptik. Im dritten Quartal 2015 ist der Vinyl-Markt um 25 Prozent gewachsen, zuletzt wurden Anfang der 90er Jahren so viele Platten verkauft. Die Platte wird ein Nischenmarkt bleiben, aber sie hat es geschafft, zurückzukommen. Das wiederum wird der Kassette meiner Meinung nach nicht gelingen.
ZUR PERSON: Florian Drücke (40) studierte Jura in Berlin und Toulon und promovierte an der Universität Greifswald. 2006 kam er als Justiziar zum Bundesverband Musikindustrie e. V., seit 2010 ist er Geschäftsführer.