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Bürgersinn und Kulturauftrag

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DeutschlandRadio und Philharmonie Essen vereinbarten Zusammenarbeit
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Kürzlich wurde in Berlin eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen dem DeutschlandRadio und der Philharmonie Essen unterzeichnet. Nicht nur, daß das neue Haus in der Stahlstadt damit überregionales Interesse fördern wird – die Kooperation zwischen beiden Einrichtungen erweist sich für beide Seiten als notwendig und vorteilhaft zugleich. Die nmz sprach darüber mit Ernst Elitz, dem Intendanten von DeutschlandRadio, sowie mit Dr. Matthias Sträßner, dem Leiter der Hauptabteilung Kultur.

: Herr Elitz, ich fand in einem Beitrag Ihre Beschreibung der angespannten kulturpolitischen Situation hierzulande: Orchester und Opernhäuser werden geschlossen, oft mit dem Hinweis der Lokalpolitiker darauf, dass es ja doch auch zahlreiche Rundfunkorchester gibt. Diese wiederum stehen selbst auf dem Prüfstand der Medienpolitiker…
Vor diesem Hintergrund wirkt die Vereinbarung zur längerfristigen Zusammenarbeit zwischen dem DeutschlandRadio und der Essener Philharmonie wie ein „Modellfall“. Ist das vielleicht auch der Versuch eines exemplarischen Nachweises dafür, daß beides wichtig ist: die kommunale Kultureinrichtung – Oper oder Philharmonie oder Orchester – genauso wie die Ensembles des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?

Ernst Elitz: Ich bin der festen Überzeugung, dass gerade in der angespannten kulturpolitischen Situation alle Kulturveranstalter, das sind die Kommunen, die Länder und die Rundfunkanstalten, näher zusammenrücken und eine gemeinsame Strategie entwickeln müssen, wie sie die musikalische und künstlerische Grundversorgung der Bevölkerung erreichen können. Denn es geht bei all diesen Kulturveranstaltern nicht darum, sich gegenseitig Konkurrenz zu machen, sondern darum, ein möglichst vielfältiges Bild der Kultur und der Musik zu präsentieren. Aus diesem Grunde gehen die Rundfunkorchester aus den Studios hinaus in die großen Konzertsäle, und aus diesem Grunde kooperiert auch der nationale Hörfunk mit den Festivals überall im Lande. So gesehen ist Essen durchaus ein Modell, wie man in der Kultur- und Musikpolitik auf allen Ebenen zusammenarbeiten kann. Wir haben das übrigens auch nach der Eröffnung der Philharmonie in Dortmund mit einer Konzertreihe getan.

: Verstehen Sie solche Kooperationen auch als eine besondere Form des Kulturauftrags, zu dem der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Allgemeinen und das DeutschlandRadio im Besonderen sich ja nachdrücklich bekennt? : Kulturauftrag kann nicht nur bedeuten: Berichterstattung über Kultur oder Absolvieren eines Pflichtprogramms. Kulturauftrag für den öffentlich rechtlichen Rundfunk heißt auch, Neues zu entdecken, wie zum Beispiel das Berliner Festival für Neue Musik „Ultraschall“ es unternimmt. Kulturauftrag heißt auch, junge Künstler zu entdecken und zu fördern, wie wir es zum Beispiel mit dem Förderpreis für Junge Künstler beim Musikfest in Bremen tun. Es heißt auch, in der Musikgeschichte Komponisten wiederzuentdecken, vor allem Komponisten, die in der Nazi-Zeit verfolgt und ermordet wurden und deren Werke sich deshalb im Repertoire nicht etablieren konnten. Da sind wir mit beiden Orchestern, dem Deutschen Symphonie Orchester Berlin (DSO) und Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) sehr aktiv und haben eine Fülle von Musikwerken neu entdeckt, aufgeführt und gemeinsam mit der CD-Industrie wieder ins öffentliche Bewußtsein gerückt.

Matthias Sträßner: Die Kooperation mit der Essener Philharmonie bietet dazu die Möglichkeit, einem großen Orchester und einem Chor auch außerhalb Berlins Auftrittsmöglichkeiten zu geben. Es geht ja darum, einem Ensemble, das keine Mainstream-Programme absolvieren will und deswegen immer neue Werke entdecken möchte, nicht nur die Möglichkeiten zu bieten, Neues zu erarbeiten. Gleichzeitig braucht es ja auch Gelegenheit, dieses Neue entsprechend zu präsentieren, nicht nur in Berlin, sondern an verschiedenen Orten. Wenn es besonders gut läuft, wie beispielsweise beim RIAS-Kammerchor, dann kommt zu einem Konzert in Berlin und einem Konzert in Essen ja noch das Konzert in Frankreich oder Spanien. Da ist ein bundesweiter Hörfunk natürlich ein guter Partner.

: Die oftmals bemühte Differenz zwischen der kulturellen Metropole und der Provinz wird auf diese Weise ja aufgehoben, zumindest verwischt... : Ja, die Rundfunk-und Chöre GmbH, an der Deutschlandradio mit 40 Prozent beteiligt ist, bekommt einmal Gebührengelder über das DeutschlandRadio überall aus Deutschland. Da der Bund als zweitstärkster Gesellschafter mit 35 Prozent beteiligt ist, fließen auch Steuergelder aus allen deutschen Ländern in die Orchester und Chöre dieser größten deutschen Musikmanufaktur. Da wir eine nationale Rundfunkanstalt sind, ist es unsere Pflicht, diese Orchester und Chöre überall in Deutschland zu präsentieren. Sie müssen mit ihrer künstlerischen Leistung, dem Gebühren- und Steuerzahler beweisen: dieses Geld ist gut für die Kunst, für die Kultur in Deutschland angelegt. Deshalb auch die vielfältige Beteiligung an den regionalen Festivals, überall in Deutschland, deshalb diese Kooperationen mit Dortmund und Essen.

Sträßner: Wenn von „Provinz“ die Rede ist, muss immer auch gefragt werden: Provinz für wen? Die Kulturszene in NRW wird in der Regel völlig unterschätzt, genau wie in Berlin die Kulturszene von Stuttgart, Frankfurt oder München unterschätzt wird. In Essen ist nun das Besondere, dass dieses neue Kulturengagement nicht aus dem alten feudalen und barocken Föderalismus kommt. Das ist wirklich eine bürgergetragene Bewegung. Dieses Panorama darzustellen, das ist unsere Aufgabe. Und wenn es in Essen solche Bemühungen gibt, dann muss man dem auch Starthilfe geben.

: In Dortmund wurde unlängst das Konzerthaus eröffnet. Essen verfügt über das wunderbare Aalto-Theater – und bekommt jetzt noch eine Philharmonie. Ein Glücksfall für die Region, die damit doch reich ausgestattet ist... : Es sind durchaus Glücksfälle, die auch in starkem Maße durch bürgerschaftliches Engagement möglich gemacht wurden, was wieder mal beweist, daß das Kultur- und Musikinteresse in der Bevölkerung vorhanden ist. Es wird heute, wenn es um die Finanzierung von Orchestern, Theatern oder Kulturinstitutionen geht, oft gesagt: das passt nicht in die Landschaft. Wir erleben hier in Essen, dass ein neues Haus wie die Philharmonie durchaus in die Landschaft passt und dass Bürger sich stark engagieren, damit die kulturelle Landschaft eben nicht verödet. Und wenn die Politiker genau den gleichen Bürgersinn beweisen würden, wie die Initiatoren in Dortmund und in Essen, da stünde es um die Kulturnation in Deutschland besser. : Was genau beinhaltet nun diese Partnerschaft zwischen Ihrem Haus und dem der Philharmonie?

Sträßner: Es wird drei Konzerte mit dem Rundfunksinfonieorchester geben, mit einem Zyklus von Violinkonzerten der 20er- und 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Auch der RIAS-Kammerchor wird zu drei Konzerten nach Essen kommen: mit dem „Messias“, mit Mozarts „Thamos – König von Ägypten“, also einem eher unbekannten Werk von Mozart, und mit einem Konzert „Von Purcell bis Birtwistle“. In diesem Konzert, an dem auch die musik-fabrik NRW beteiligt ist, wird es auch eine Neukomposition von Rob Zuidam geben. Sich mit einem solchen Werk in Essen vorstellen zu können, wäre meines Erachtens ohne Hilfe des Rundfunks nicht möglich. Darüber hinaus tritt DeutschlandRadio bei verschiedenen Produktionen als Kooperationspartner auf.

: Mal abgesehen von der Signalwirkung – sehen Sie durch eine solche Kooperation Möglichkeiten gegenseitigen Vorteils? Welche wären das?

Sträßner: Auch ein bundesweiter Rundfunk läuft Gefahr, dass er nur „Metropolenfunk“ ist. Die großen Berichte kommen aus den großen Städten, den großen Konzertsälen oder Opernhäusern, aus Berlin vor allem, aus München, aus Frankfurt etwa, oder aus Hamburg. Das wird man in Garmisch-Patenkirchen nicht zwingend einsehen. Dort beispielsweise mit dem Rundfunksinfonieorchester Berlin im Rahmen der Richard-Strauss-Tage ein Konzert zu veranstalten, scheint mir ein geeignetes Mittel zu sein, deutlich zu machen, dass dieses Orchester natürlich auch außerhalb Berlins spielt und für alle da ist.

Genau das passiert auch an der Philharmonie in Essen. Uns helfen solche Aktionen dabei, deutlich zu machen, dass sich das hohe kulturelle Niveau über ganz Deutschland verteilt.

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