Bei der Internationalen Musik- und Medienmesse MIDEM, die Ende Januar in Cannes stattfand, war das Gastland diesmal China. Der gigantische chinesische Markt wird vom internationalen Musikbusiness gerade erschlossen, wobei sich das aktuelle Interesse auf die bevorstehende Olympiade, das mobile Musikhören und das sich abzeichnende Internetgeschäft konzentriert. Doch neben diesen rein profitorientierten Aktivitäten gibt es auch langfristig angelegte, in einen kulturpolitischen Kontext eingebettete Arten der Kooperation. Darüber unterhielt sich Max Nyffeler mit Peter Hanser-Strecker, geschäftsführende Gesellschafter des Mainzer Verlags Schott, am Rande des MIDEM-Symposiums „Doing Classical Music Business in and with China“.
neue musikzeitung: Wie lange sind Sie schon im China-Geschäft tätig?
Peter Hanser-Strecker: Die ersten Kontakte nach China entstanden vor zwanzig Jahren. Das war damals sehr mühsam. Kontakte konnte man nur per Brief pflegen, und ein Chinese machte sich automatisch verdächtig, wenn er ausländische Post bekam. Erst vor zwölf Jahren konnten wir beginnen, uns aktiv im Markt zu bewegen, und seither geht es mit steigender Geschwindigkeit voran.
: Welches sind Ihre Geschäftsfelder?
Hanser-Strecker: Es gibt drei Bereiche. Zunächst geht es darum, unsere vorhandenen Werke in China auf den Markt zu bringen. Dazu muss man wissen: Ein Export der Noten kommt aus Kostengründen nicht in Betracht. In Deutschland sind die Druckkosten rund zehnmal höher als in China, und das ergäbe einen illusorischen Verkaufspreis – eine Partitur, die bei uns im Laden zehn Euro kostet, dürfte in China für höchstens einen Euro verkauft werden. Geschäfte kann man nur über Lizenzen machen.
: Wie sieht das konkret aus?
Hanser-Strecker: Wir arbeiten gegenwärtig mit acht Verlagen zusammen. Diese Partner stellen unsere Noten in einer Auflage von 3.000 bis 10.000 Stück her und verkaufen sie. Das ist ein Teil unserer Aktivitäten. Der zweite Bereich sind Bücher: Es gibt ein großes Interesse an Biografien, aber auch an pädagogischen Werken und Nachschlagewerken. Das ist ein sehr wichtiger Teil. Und schließlich gibt es drittens noch den Vertrieb von Aufführungsmaterialien unserer Werke im chinesischen Raum.
: Ein gutes Exportprodukt ist sicher die Musik von Carl Orff.
Hanser-Strecker: Orffs Werke stoßen in der Tat auf großes Interesse. Die Anfänge liegen hier auch lange zurück. Anfang der 1980er-Jahre kam der Musikwissenschaftler Naixiong Liao nach Deutschland, um über Orff zu arbeiten. Er hat dann das Orff-Schulwerk und eine Reihe von Sammlungen auf Chinesisch herausgebracht.
: Auf welche Schwierigkeiten stößt man im China-Geschäft?
Hanser-Strecker: Das Hauptproblem ist die Verständigung. Das chinesische Denken ist so völlig verschieden von unserem, dass eine Kommunikation nur mit wirklich guten Übersetzern funktionieren kann. Das haben wir bei Schott gelöst, indem wir chinesische Mitarbeiter auch in Mainz engagiert haben, die eine dauerhafte enge Beziehung mit unseren Partnern etablieren. Mit vorübergehend beschäftigten Dolmetschern kommt man nicht weiter. Die zweite Schwierigkeit besteht darin, dass der chinesische Markt noch sehr jung ist. Notenausgaben in größerem Stil und angemessener Qualität gibt es erst seit fünfzehn Jahren. Doch seither ging es enorm schnell. Die Geschwindigkeit, mit der sich alles zum Positiven entwickelt, macht uns immer wieder sprachlos. Chinesen lernen enorm fix. Die ersten Ausgaben sahen noch aus wie die Mao-Bibel, doch das ist längst vorbei. Hohe Qualität in jeder Beziehung ist heute in China absolut machbar. Es gibt daneben natürlich auch einfachere Ausgaben, die nicht unserem Standard entsprechen, aber in China gut verkauft werden.
: Wie groß ist eigentlich der chinesische Markt? Können Sie eine signifikante Zahl nennen?
Hanser-Strecker: Von den 1,3 Milliarden Menschen sind rund 80 Prozent Bauern und Arbeiter, die keinen Zugang zu unserer westlichen Musik haben. Aber die restlichen 260 Millionen Chinesen sind ausgesprochen aufgeschlossen und wirklich interessiert, vor allem an klassisch-romantischer Musik. Ich glaube, Beethoven dürfte bei ihnen mit weitem Abstand an erster Stelle stehen.
: Haben Sie als Verlag mit Copyright-Problemen zu kämpfen?
Hanser-Strecker: Die gibt es natürlich. China ist erst vor acht Jahren dem Welturheberrechts-Abkommen beigetreten, vorher war alles vogelfrei. Jetzt gibt es den Schutz der Urheber – theoretisch. Der schwarze Markt ist gigantisch. Gerade erst wieder haben wir Informationen erhalten, wie und wo unsere Ausgaben einfach schwarz nachgedruckt werden. Die chinesische Version, wohlverstanden, und ohne dass der chinesische Verlag etwas dagegen machen kann. Das ist ein echtes Problem. Im Tonträgerbereich ist es noch schlimmer, CDs aller namhaften Labels, Deutsche Grammophon, Philips und all die anderen bekommt der Kunde dort für 50 Cent, im Original-Layout. Das Kopieren in China hat einen hohen Standard … Auf der anderen Seite entsteht auf Dauer ein großer Markt, und ich bin sicher, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis das Problem unter Kontrolle gebracht ist.
: Was könnte dagegen getan werden?
Hanser-Strecker: Das Wichtigste ist, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass das Urheberrecht ein schutzwürdiges Gut ist. Und dann sollte die Effizienz der Verwertungsgesellschaft verbessert werden. Das Inkasso zum Beispiel bei Radiosendungen ist noch ungenügend. Dasselbe gilt für den Rechtsvollzug – wer als Pirat erwischt wird, sollte auch schneller und empfindlicher zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist noch ein langwieriger und teurer Prozess.
: In Cannes war von den chinesischen Gästen zu hören, der musikalische Handel mit dem Westen solle nicht nur als Einbahnstraße verlaufen. Wie sieht das bei Ihrem Verlag aus?
Hanser-Strecker: Wir lassen in China Noten für den Export nach Europa herstellen, außerdem machen wir Joint Publishing. Das heißt, wir stellen gleiche Ausgaben für China und für Europa her, und wir importieren oder lizenzieren chinesische Kompositionen, Sammelbände und Bücher. Wir haben bei Wergo auch bereits einige CDs mit neuer chinesischer Musik veröffentlicht. Diese Reihe wollen wir fortsetzen.
: Werden Sie chinesische Komponisten vermehrt verlegen?
Hanser-Strecker: Ganz sicher, aber in Kooperation mit einem chinesischen Verlag, damit die Herstellung vor Ort zu Preisen erfolgen kann, die auch für den chinesischen Markt realistisch sind. Wir suchen hier wie auch in anderen Ländern der Welt nach den besten Komponisten; entscheidend sind auch hier die Qualität und das künstlerische Potential. Stellen Sie sich vor: Zurzeit gibt es an den chinesischen Hochschulen schätzungsweise zweitausend Kompositionsstudenten, und jedes Jahr werden vermutlich weitere Hunderte dazukommen. Die drängen alle in irgendeiner Weise in die Öffentlichkeit.
: Wie schätzen Sie die Akzeptanz der neuen chinesischen Musik im Westen ein?
Hanser-Strecker: Anders als in der modernen chinesischen Malerei, die weltweit bereits eine beachtliche Rolle spielt, ist man in der Musik noch nicht so weit. Ich bin aber sicher, dass sie in etwa zehn Jahren weithin akzeptiert sein wird. Das Publikum wird sich an die chinesischen Namen und vor allem auch an die anders geartete Musiksprache gewöhnen.
: Und wie kann sich die westliche Musik in China weiter verbreiten? Welche Rolle spielt dabei die Musikerziehung?
Hanser-Strecker: Eine sehr wichtige, denn damit erreichen wir den Nachwuchs. Die Musikerziehung befindet sich in China im Ausbau, was auch mit der Ein-Kind-Politik zusammenhängt. Auf das eine Kind konzentriert sich die Aufmerksamkeit von sechs Erwachsenen – die Großeltern und ein Elternpaar –, und alle wollen diesem Kind eine gute Erziehung zukommen lassen. China und der Westen werden sich damit musikalisch näher kommen. Das zeichnet sich schon heute ab.
: Inwiefern?
Hanser-Strecker: Es werden immer mehr chinesische Musikstudenten die deutschen Hochschulen bevölkern. Aufgrund ihrer sehr frühen intensiven Ausbildung sind sie schon jetzt deutschen Studenten nicht selten überlegen. In diesem Zusammenhang muss man auch die Initiative der deutschen Musikhochschulen und des Deutschen Musikrats erwähnen, die den Aufbau einer deutschen Privathochschule in China zum Ziel hat. Das wird den Austausch zwischen China und Deutschland weiter verstärken.