Hauptbild
Hohe Akzeptanz in der Szene: die App carus music. Foto: Carus/Sven Cichowicz
Hohe Akzeptanz in der Szene: die App carus music. Foto: Carus/Sven Cichowicz
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Chöre auf dem Weg ins digitale Zeitalter begleiten

Untertitel
Ester Petri und Johannes Graulich vom Carus-Verlag im Gespräch über neue Angebote und Vertriebswege
Publikationsdatum
Body

Im Oktober vermeldete der Stuttgarter Carus-Verlag eine Erweiterung seines digitalen Angebots. Neben Notenausgaben stünden nun auch „Zusatzmaterialien für die effektive Proben- und Konzertvorbereitung“ zur Verfügung. Robert Göstl hat mit Ester Petri und Johannes Graulich von der Geschäftsführung des Verlags über diesen digitalen Schwerpunkt gesprochen. Beide ergänzten sich gegenseitig bei ihren Antworten, weshalb diese im Folgenden mit dem Verlagsnamen gekennzeichnet sind.

neue musikzeitung: Es sind schwere Zeiten für Chöre – sind es auch schwere Zeiten für einen auf Chormusik spezialisierten Verlag?

Carus-Verlag: Natürlich sind das auch für einen auf Chormusik spezialisierten Verlag harte Zeiten, wie wir hören aber auch für die auf andere Gebiete fokussierten Musikverlage. Wir spüren 1:1 jeden Lockdown – denn wer nicht proben und aufführen darf, braucht auch nicht, was wir zur Verfügung stellen können. Umsatzeinbußen von über 50 Prozent und massive Kurzarbeit sind die Folgen.

nmz: Inwiefern ist Ihre Digitalstrategie eine Antwort auf diese Herausforderung?

Carus: Die Arbeit an den digitalen Produkten begann bereits Jahre vor Corona, aber auch in dieser schwierigen Zeit sind wir besonders an diesem Vorhaben drangeblieben, weil für uns als weltweit agierender Verlag besonders in diesen Zeiten ein digitaler Vertriebsweg perfekt ist und weil wir Chöre auf dem Weg ins digitale Zeitalter begleiten wollen.

nmz: Die App carus music ist ja schon seit einiger Zeit auf dem Markt. Wie wurde und wird dieses Medium angenommen?

Carus: Dafür ist 2020 ein besonders aussagekräftiges Jahr. Bis zum Frühjahr standen die Passionskonzerte noch auf der Kippe und viele Chöre konnten zwar nicht mehr in Präsenz proben, gingen aber immer noch davon aus, auftreten zu können. Plötzlich wurden also sehr viele Werke für die App gekauft, um die nun erzwungene häusliche Vorbereitung zu optimieren. Mit dem Lockdown ging die Nachfrage natürlich wieder auf null zurück. Insgesamt wird die App im Augenblick von über 30.000 Sänger*innen verwendet und ist damit auch wirtschaftlich eine Erfolgsgeschichte. Besonders freut uns, dass diejenigen, die das Medium einmal ausprobiert haben, immer wieder darauf zurückgreifen und in ihren Chören dafür werben.

nmz: Digitalisierung und die zu einem Großteil konservative Chorszene – ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Carus: Die Akzeptanz in verschiedenen Altersstrukturen ist für uns nur schwer nachvollziehbar, aber wie gerade erwähnt spricht sich zum Beispiel die Nutzung der App in Chören sehr schnell herum und einmal darauf aufmerksam gemacht nutzen selbstverständlich auch ältere Chormitglieder diese Möglichkeiten. Ob digitale Medien angenommen werden, hängt viel mehr von engagierten Botschaftern und der Nutzerfreundlichkeit des Produkts ab. Zu den Kernfunktionalitäten der App gibt es bei uns im Kundenservice auch kaum Nachfragen, die Bedienung gelingt intuitiv. Und für diejenigen, die mit Apps Probleme haben, gibt es auch noch die CDs mit Übehilfen oder jetzt das Gleiche neu auch als mp3 zum Download. Unter den Chorleiter*innen gibt es natürlich mittlerweile auch eine größer werdende Gruppe von jungen, engagierten und auch sehr gut ausgebildeten Kolleg*innen, die solche Angebote selbstverständlich nutzen und verbreiten.

nmz: Welche verschiedenen neuen Angebote bringt Carus jetzt online an den Start?

Carus: Wir wollen Chorleiter*innen auch digital von der Programmrecherche über die Probenarbeit bis zur Konzertvorbereitung zur Seite stehen. Der Fokus liegt daher zum einen auf ca. 3000 kleineren a cappella Werken. Es kam immer wieder die kurzfristige Anfrage von Chorleiter*innen: „Ich hab heute Abend Chorprobe – können Sie uns die Noten nicht digital schicken?“ Nun sind wir schnell, aber mit der Post klappt es eben nicht innerhalb des gleichen Tages – dieses Problem ist jetzt gelöst. Weiter stehen über 600 große Werke in Partitur zur Verfügung. Gedacht ist das vor allem für die Chorleitenden als Unterstützung bei der Programmrecherche. Desweiteren stehen wie eben erwähnt die Übehilfen digital zur Verfügung, die bisher als Carus Choir Coach als Übe-CDs erhältlich waren. Außerdem stellen wir Einführungs- und Singtexte mit Übersetzungen für die Nutzung in Programmheften der Konzerte digital zur Verfügung.

nmz: Wie muss man sich den Vorlauf zu solch einem Projekt vorstellen?

Carus: Wichtig war uns, die Wünsche der Chorleiter*innen umzusetzen. Dazu gab es unter anderem mit diesen vor etwa einem Jahr einen Workshop bei uns im Haus. Neben der Vorbereitung jeder einzelnen Chorausgabe und der Klärung der Rechte hat uns besonders die Arbeit an der technischen Umsetzung beschäftigt. Vor etwa einem Jahr haben wir uns für die Branchenlösung AODP (Automatic Ordering and Delivery Protocol)  der IDNV entschieden. Programmatisch haben wir versucht, die großen und bekannten Komponisten in den Fokus zu nehmen. So sind beispielsweise bereits alle Bachkantaten online gestellt, ebenso vieles von Mozart, Haydn, Beethoven, Mendelssohn, Rheinberger. Bei den a cappella Werken wiederum sind wir von den Sammlungen, den Chorbüchern, ausgegangen. Stück für Stück wurden die Copyrights geklärt und dann online gestellt. Die gängigen Carus-Sammlungen sind diesbezüglich weitgehend abgearbeitet, digital wie in gedruckten Einzelausgaben.

nmz: Welcher weitere Ausbau ist geplant?

Carus: Wir überlegen gerade, in welchen Stufen das sinnvoll und für die Chöre attraktiv geschehen kann. Deshalb freuen wir uns wirklich immer über Rückmeldungen, was unsere Kunden im Moment am meisten brauchen. Spannend wird jetzt sein, zu sehen, welcher Teil des Angebotes am meisten nachgefragt wird. Da wir keinen Chorverlag kennen, der ein so umfangreiches Angebot online gestellt hat, können wir nicht auf Erfahrungswerte zurückgreifen. Auf jeden Fall werden weitere a cappella Werke folgen. Wir sind auch gerade dabei, eine gute Lösung für Orchesterstimmen zu entwickeln. Mit all dem sind wir sicher noch Jahre beschäftigt, denn Carus hat bereits über 30.000 Chorwerke veröffentlicht.

nmz: Noten zum Selbstausdrucken – ist das die Kapitulation vor der Kopierwut von Chören? Oder wird Kopieren jetzt nicht „einfach nur einfacher“?

Carus: Diese Frage ist und bleibt schwierig. Ob gedruckt oder digital: wir sind auf ein partnerschaftliches Vertrauensverhältnis mit den Chö­ren angewiesen und können nur versuchen, das von unserer Seite aus entsprechend zu gestalten. So bieten wir für die digitalen Ausgaben bewusst attraktive Staffelpreise an. Ein a cappella Chorwerk bekommt man zwar weder im Print noch digital als Einzel­exemplar, aber mit der abgenommenen Menge sinken die Einzelpreise deutlich, damit Chöre einen Anreiz haben, auch wirklich in voller Chorstärke zu bestellen. Unsere digitalen Preise liegen generell unterhalb der Preise für gedruckte Noten. Wir haben über die Jahre gelernt, dass wirklich viele Chorleiter*innen wenn irgend möglich ausschliesslich mit legalen Noten arbeiten. Freilich gibt es auch schwarze Schafe, die dafür weniger ausgeprägte Antennen haben und sich dadurch rechtlich in Gefahr begeben. Wer aber verstanden hat, dass auch ein Textautor, ein Komponist und deren Verlag leben muss, wird auch mit dem digitalen Angebot verantwortungsvoll umgehen. Wegfallende Versandkosten stellen ja einen großen Vorteil dar. Unsere Kunden in Japan, USA oder Kanada haben dafür in der Vergangenheit oft mehr bezahlt als für das Notenmaterial selbst. Auf den erworbenen Exemplaren stehen übrigens der Name des Chores und die Anzahl der gekauften Exemplare, zusätzlich gibt es ein digitales Wasserzeichen, so dass man zumindest eine illegal im Internet verbreitete Ausgabe über entsprechende Suchmaschinen finden und identifizieren kann.

nmz: Was sagen denn die oft ums Überleben kämpfenden Musikalienhändler vor Ort zu diesem neuen Weg?

Carus: Genau das war der Grund, warum unsere digitale Zukunftsstrategie auf der deutschen IDNV-Notendatenbank von DeParcon aufsetzt und nicht auf den konkurrierenden angloamerikanischen Anbietern. Die IDNV wurde im Auftrag der beiden deutschen Fachverbände, dem Verband der Musikalienhändler (GDM) und dem Deutschen Musikverlegerverband (DMV) entwickelt. Das AODP-Protokoll  ist ein Plugin der IDNV, dem Nachschlagwerk und der Bestellsoftware vieler Musikalienfachhandlungen. Jede Musikalienhandlung kann leicht an AODP angeschlossen werden und somit das neue digitale Carus-Angebot (und das anderer Verlage) für die eigenen Kunden zugänglich machen. Wir sehen dies ehrlich gesagt als sehr gute Lösung, den Musikalienhändler als Partner einzubeziehen. Die Rückmeldungen der Händler sind bislang großteils sehr positiv.

nmz: Onlineproben oder zumindest Hybridproben werden Chöre noch eine Weile beschäftigen. Darf man Carus-Noten zum Beispiel in einem Zoom-Meeting, wie wir es hier gerade für dieses Interview haben, einblenden?

Carus: Leider ist das eine sehr komplizierte Frage. Am Beispiel: wenn in einer Liveprobe online eine bestimmte schwierige Stelle eingeblendet wird, um zum Beispiel die Artikulation zu klären, sehe ich so einen Ausschnitt als Verleger eher unproblematisch. Aber wenn solch eine Probe auch zeitversetzt im Netz angeboten wird, dann ist das eine Online-Veröffentlichung, für die die Rechte in jedem Fall eingeholt werden müssten. Insbesondere wenn es sich dabei nicht nur um Ausschnitte handelt. Das geht also sicher nicht so einfach und da steckt die Wahrheit im Detail. Hier muss aber noch vieles geklärt werden. Die lange Liste von Wünschen der Chorleitenden aus unserem Zielgruppen-Workshop ist von daher noch längst nicht abgearbeitet und wir freuen uns darauf, das in den nächsten Jahren Stück für Stück anzugehen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!