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Musik liegt in der Luft. Foto: Hufner
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Classical nix – ein Bericht zur Lage der Klassik

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Zwei Messen, eine Studie und die Frage nach dem Genre · Von Bojan Budisavljevic
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Will man sich die Lage der so genannten Klassischen Musik in Deutschland vergegenwärtigen, so stellt sie sich als recht unübersichtlich, zwiespältig, ja beinahe schizophren dar. Während im sinnenfrohen Süden ein Sinfonieorches­ter zwecks eines Einspareffekts von geschätzten 5 Millionen Gebühren-Euro jährlich soeben geschlossen wurde, haut man im kühl berechnenden Norden knapp 800 Millionen nicht weniger öffentliche Euro auf den Kopf für einen demnächst zu eröffnenden Konzertsaal. Alles für die beziehungsweise mit der Klassik …

Von deren Publikum ging die Mär der Überalterung, bis die neue Studie des kos­tenlosen und werbefinanzierten klassischen Fanzines „concerti“ herausfand, dass es weniger auf die Silberlocken ankomme, als vielmehr auf die Silberlinge. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen eines typischen Klassikhörers läge bei 3.000 Euro netto im Monat; was wiederum, vergleicht man Nutzer und Dienstleister, nur der sehr überschaubaren Anzahl der höherdotierten freien und -gruppierten angestellten Musikerinnen und Musikern entspricht, der Mehrheit der anderen wie auch der Gesamtbevölkerung jedoch gar nicht: Die müssen monatlich im Schnitt mit 1.000 Euro weniger auskommen.

Mit sehr wenig muss sich indes auch die Tonträgerindustrie bei der Klassik begnügen: 2015 machte sie mit der klassischen Musik in allen Formaten (physisch, Streaming usf.) schlappe 70 Millionen Euro bei über 1,5 Milliarden Gesamtumsatz in Deutschland. Dabei bestreiten hierzulande klassische Konzerte und Musiktheater rund ein Drittel aller Musikveranstaltungen mit mehr als 13 Millionen Besuchern. Und immer weniger Orchester erreichen immer mehr Publikum, was sich in Eisenach angesichts des traurigen Schicksals der Landeskapelle oder in Freiburg angesichts des eingesparten SWR-Sinfonieorchesters jedoch ganz anders ausnehmen mag. Fazit: Insgesamt mehr Ein- und Umbrüche als Ausblicke – Disparitäten.

Einen üppigen Überblick bot Anfang April Classic meets Future, das viertägige Forum von nmz, Musikrat und Deutschlandradio auf der Musikmesse in Frankfurt mit 38 Präsentationen, Gesprächsrunden und Diskussionen. Musik in Afrika und in Syrien waren ebenso Themen, wie die oft prekäre Lage der Ausübenden und die schwierige der unabhängigen Labels. Viel Musik wurde präsentiert und reichlich debattiert über Interkulturalität und Teilhabe, Vermittlung und Musikunterricht, auch über „Strategien für eine bedrohte Musik­kultur“. Seltsamerweise vermied es auch eben dieses Panel, mit „Zukunft der Klassik“ überschrieben, genauer zu benennen, worum es sich bei diesem Objekt handelt und nahm den Umweg über die vielen Maßnahmen, die man ihm mit mehr oder (z.Zt. noch) weniger Erfolg angedeihen lässt: Öffnung der Stile aufeinander, Bemühen um Niederschwelligkeit, schulische wie außerschulische Vermittlung, verstärkter Einbezug von Social Media.…

Fleißige Klassik-Handwerker

Während also Classic meets Future in Frankfurt mit einem Aufmarsch der fleißigen Handwerker im Reiche der Klassik aufwartete, traf sich Ende Mai bei der „Classical:NEXT“ in Rotterdam eher die international vernetzte Gemeinde der innovativen Veredler des Genres. Sprach man in Frankfurt sozusagen noch dem Reinheitsgebot zu, so kam dort die Craft-Beer-Szene zusammen – mit mehr als 1.000 Professionals, 225 Ausstellern an 76 Ständen und über 40 Showcases, Panels und Workshops. Das Gefühl von Bedrohung schien dabei gar nicht aufzukommen vor lauter Zuversicht in die neuen Möglichkeiten. Um ein beliebiges Zitat herauszupicken: „Creating innovative and transparent formats of music distribution and community engagement beyond streaming will be crucial for the future of art music in the digital space.“ Strategien für eine (angeblich) bedrohte Musikkultur! Und weil das dazugehörige Live-Ereignis selbstverständlich stets ein hybrides, Szenen, Kulturen, Medien und sonst noch was übergreifendes ist, ist es natürlich auch universell anschlussfähig und distribuierbar. Ob aber eine solchermaßen in Daten und Information konvertierte Musik nicht bloß denselben Strategien von Gewinnsteigerung angesichts fallender Profitraten folgt, die schon die Popmusik als ebenso kunst- wie verheißungsvolles Genre geschrottet haben, das muss man sich gar nicht erst fragen.

Die Frage, wer Klassik gern und oft hört, beantwortete jüngst die Hamburg Media School im Auftrag des Klassikmagazins concerti; nachzulesen sind die Ergebnisse der „Typisch Klassik“ benannten Repräsentativbefragung unter http://media.concerti.de/.

Über 4.700 Personen haben dabei den Onlinefragebogen ausgefüllt, knapp 3.700 haben die umfangreichen Fragen zu Lebensstil und -hintergrund, Bildungsstand und Vorlieben beantwortet und sind in die Auswertung eingegangen. Wer demnach Klassik hört, der ist in der überwältigenden Mehrheit von 80 Prozent kinderlos, hat zu zwei Dritteln mindestens Abitur und ist spätestens ab 50 in der Lage (Einkommen siehe oben), seine regelmäßigen Einkäufe mit dem SUV oder dem Carbon-Bike im Biomarkt zu erledigen. Das ist zwar Polemik, die aber erlaubt sein muss, wenn man bedenkt, welche emanzipatorischen Bekenntnisse die mit jährlich rund 3,5 Milliarden öffentlichen Mitteln unterhaltene musikalische Hochkultur immer noch unterfüttern. Da ist man geneigt, die gewesenen bildungsbürgerlichen Distinktionsmechanismen für durchlässiger zu halten. Und so verblassen vor dieser gesellschaftlich erschütternden Einsicht der Studie dann auch alle anderen über die Klassikhörer: dass sie nämlich nicht so alt, nicht so immobil, nicht so konservativ und den neuen Medien abhold sind, wie bisher gemeinhin angenommen. Tröstlich dabei die leise Hoffnung, dass dies alles mehr für die Zielgruppe von concerti gilt, als für die Mehrheit der Klassikhörer und -liebhaber in Eisenach, Freiburg und Duisburg zum Beispiel.

Musik bleibt unterbewertet

Was indes diese Klassik überhaupt sei, das tauchte als Fragestellung in den angeführten Beispielen ebenso wenig auf, wie auch ganz allgemein die Frage nach dem Gegenstand der Klassischen Musik beinahe vollständig ausgeblendet erscheint. E-Musik, Kunstmusik, Alte und Neue Musik, traditionelle und „innovative“ Formate, Erbe und Avantgarde: Das alles und noch viel mehr kam und kommt in den Überlegungen zur Zukunft des Genres zwar habituell vor, aber die Musik selbst bleibt dabei stets seltsam unterbewertet und -reflektiert, sie erscheint undifferenziert als ein von Perotin bis Poppe, von Kyrie bis Klangkunst immerwährend Gegebenes, und erleidet so doch nur allüberall „den Wärmetod in der Umarmung durch freundlich duldende, substantiell unbedürftige Toleranz“ (Peter Gülke).

Was nicht nur daran liegen kann, dass die Musikwissenschaft längstens aus der „Inneren Führung“ der Musikszene zugunsten von Audience development und Kulturmanagement verabschiedet wurde. Denn das ist, weil Komplexität, Eigensinn und allein schon das Nachdenken stören, auch nur Folge einer umfassenden Verabschiedung der Inhalte und authentischen Werte der Musik aus den Diskursen über sie, da Quantifizierung vor Qualifizierung geht, Zählbarkeit vor Einmaligkeit, Nachfrage vor Angebot. Vor allem Letzteres wird uns unaufhörlich, und auch in Studien, in einer Art Kapitalismus für Klippschüler gepredigt, als ob SUVs, Wonderbras, Diesel, digitale Konzerthallen und dergleichen Apps unseren ureigensten Bedürfnissen entsprängen, auf welche die jeweiligen Anbieter ja bloß reagieren. Nein, in diesen Verwurstungskreislauf sollte keine Musikkunst geraten, vor allem nicht, wenn sie, bis auf wenige bedeutungslose Markteffekte, ein im höchs­ten Maße öffentlich ge- und erhaltenes Genre ist. Insofern wäre es im höchs­ten Interesse öffentlicher Auftraggeber, dass die Frage nach dem Gegenstand der klassischen oder Kunst-Musik weitergetrieben und -gefragt wird, viel weiter jedenfalls, als es die Labels „E-Musik“ der Verwertungsgesellschaften und „Klassik“ einer längst schon untergegangenen Musikindustrie gebetsmühlenartig repetieren. Es gibt wahrlich andere Reichtümer zu akkumulieren, ganz so, wie, weil Redundanz manchmal hilft, es in der nmz 4/2016 an beinahe gleicher Stelle von Nikolaus Harnoncourt bereits zitiert stand:

„Ich glaube, nur wenn es uns gelingt, den Musiker die Sprache, oder besser die vielen Sprachen der vielen musikalischen Stile wieder zu lehren und im selben Maß auch die Bildung des Hörers zum Verständnis dieser Sprache zu erreichen, wird eines Tages dieses stumpfsinnig-ästhetisierende Musizieren nicht mehr akzeptiert werden, genausowenig wie die Eintönigkeit der Konzertprogramme. [...] Und als logische Konsequenz davon wird dann auch die Trennung von ‚Unterhaltungs-‘ und ‚Ernster‘ Musik und schließlich auch die von Musik und Zeit verschwinden und das kulturelle Leben wieder zu einer Gesamtheit verschmelzen.“ Was dann schon ein Ausblick wäre!

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