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Das Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht

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Die Digitalisierung brachte der Tonträgerindustrie blühende Gärten und ihre größten Probleme
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Anfang der 80er-Jahre bescherte die Digitalisierung der Musik und ihr Vertrieb auf Compact Disk der Tonträgerindustrie nach einer Zeit der Dürre wieder blühende Gärten. Der Tonträgerumsatz war zuvor allmählich zurückgegangen, und nun kurbelte das neue Medium die Konjunktur kräftig an. Mit der CD wurde eine Audioqualität erreicht, die nur durch die Abhörbedingungen und nicht mehr wie bei LP und MC durch den Tonträger selbst begrenzt war. Ein Quantensprung in Wiedergabequalität und Abspielzeit war mit dem optischen Medium erreicht und entfesselte beim Konsumenten eine neue Kauflust für Musik. Der Umsatz im Tönträgerbereich stieg in den kommenden Jahren nahezu um das Dreifache und erreichte 1997 mit 2.587 Millionen Euro einen Höhepunkt.

Anfang der 80er-Jahre bescherte die Digitalisierung der Musik und ihr Vertrieb auf Compact Disk der Tonträgerindustrie nach einer Zeit der Dürre wieder blühende Gärten. Der Tonträgerumsatz war zuvor allmählich zurückgegangen, und nun kurbelte das neue Medium die Konjunktur kräftig an. Mit der CD wurde eine Audioqualität erreicht, die nur durch die Abhörbedingungen und nicht mehr wie bei LP und MC durch den Tonträger selbst begrenzt war. Ein Quantensprung in Wiedergabequalität und Abspielzeit war mit dem optischen Medium erreicht und entfesselte beim Konsumenten eine neue Kauflust für Musik. Der Umsatz im Tönträgerbereich stieg in den kommenden Jahren nahezu um das Dreifache und erreichte 1997 mit 2.587 Millionen Euro einen Höhepunkt. Wenn auch die silberne Scheibe bis heute nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt hat – es werden mit ihr immer noch die meisten Umsätze erzielt, 2001 waren es 85 Prozent des gesamten Tonträgerumsatzes –, hat sich auf Herstellerseite der Enthusiasmus inzwischen gelegt. Die Probleme, die das Wirtschaftswundermittel mit sich bringt, sind nunmehr nicht zu übersehen, und wer mit den technischen Eigenschaften der CD vertraut war, hatte die Schwäche des Mediums bereits bei ihrer Einführung erkannt: Die Compact Disk lässt sich verlustfrei und ohne Einschränkungen reproduzieren. Ein Kopierschutz war bei dem verwendeten Audioformat nicht implementiert. Eine banale Erkenntnis, doch ein einfacher Grund dafür, warum sich das CD-Brennen so großer Beliebtheit erfreut. Die Gerätehersteller erkannten darin einen lukrativen Markt, was zu einem Interessenskonflikt führte, der bis heute noch nicht gelöst ist: Der Verbraucher möchte Musik möglichst günstig erwerben, die Hersteller von CD-Brennern und Aufnahmemedien stärken diesen Wunsch durch immer preiswertere Angebote. Das alles auf Kosten der Tonträgerindustrie, die allmählich aufgerieben wird. Sie geht davon aus, dass der schwindende Tonträgerabsatz auf das Brennen von CDs zurückzuführen ist. 2001 wurden laut einer GfK-Studie (Gesellschaft für Konsumforschung) erstmals mehr CD-Rohlinge mit Musik bespielt als CD-Alben verkauft.

Das Medium CD hat mit ihrer PCM-Codierung (Pulse Code Modulation) eine weitere für die Musikwirtschaft problematische Eigenschaft: Sie ist nicht nur leicht und verlustfrei zu kopieren, sie bietet zudem einen Musikgenuss auf Lebenszeit. Während analoge Aufnahmen eine begrenzte Haltbarkeit haben – mehrmaliges Abspielen führt zu einer hörbaren Verschlechterung der Klangqualität –, ist deren digitale Speicherung keinen Alterungs- und Abnutzungsprozessen unterworfen. Wer sich einmal eine CD zugelegt hat, wird sich die darauf enthaltenen Titel nie wieder in seinem Leben kaufen müssen.

Ein erneuter schwerer Schlag für die Musikindustrie kam mit der Irrelevanzreduktion von Audiodaten, die durch die Digitalisierung der Musik möglich wurde. Bei diesem Verfahren werden nicht hörbare, d.h. irrelevante, Audiodaten aus dem Signal entfernt, wodurch sich die Datenmenge eines Musiktitels drastisch reduzieren lässt. Bislang erforderten digitale Audiosignale große Speicher- und Kanalkapazitäten. Eine Übertragung der Daten via Telefon war daher ausgeschlossen. Mit der Einführung von Reduktionsverfahren änderte sich das schlagartig. Eine entscheidende Rolle spielte dabei die vom Frauenhofer Institut für Integrierte Schaltungen entwickelte Audiocodierung MPEG (Motion Picture Expert Group) Layer 3, bekannter unter dem Namen MP3. Mit ihrer Einführung Anfang der 90er wurde eine grenzenlose Mobilität von Musik erreicht. Das Reduktionsverfahren öffnete Musikdateien das Tor ins Internet. Zu kleinen Datenpaketen geschnürte Songs traten ihre Reise in eine virtuelle Welt an. Auch wenn bei einem Irrelevanzreduktionsverfahren wie MP3 die Qualität leiden kann, überwiegt die Faszination über die Möglichkeit, Musik kostenlos aus dem Internet herunter laden und auf CD brennen zu können. Ein Kopierschutz war wie bei der CD auch hier nicht implementiert. Der Online-Handel mit Musik florierte, ohne dass die Tonträgerhersteller daran partizipieren konnten.

Das Dilemma ist groß. Die Talfahrt im Tonträgermarkt hat vor fünf Jahren begonnen, ein Ende scheint nicht in Sicht. Nun wird die Schuldfrage gestellt. Wer sie im eigenen Lager sucht und zum Beispiel in der schlechten Qualität der Musikprodukte findet, wird von einigen Branchenteilnehmern als Nestbeschmutzer gebrandmarkt. Stattdessen werden CD-Brennen, Online-Piraterie und die politischen Rahmenbedingungen als Ursachen genannt.

Hätte sich die Politik früher für die Musikwirtschaft eingesetzt und eine entsprechende Gesetzgebung geschaffen, in der CD-Brennen und Online-Piraterie strafrechtlich verfolgt werden können, so der Vorwurf, wäre alles gar nicht erst so weit gekommen. Und einige Politiker bekennen sich freiwillig schuldig und versprechen eine Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen. Natürlich ist eine Novellierung des Urheberrechtsgesetzes sinnvoll, die es den Rechteinhabern erlaubt, gegen unauthorisiertes Kopieren ihrer Musik vorzugehen. Doch ob mit Gesetzen das Problem gelöst werden kann, ist fraglich. Denn das eigentliche Problem liegt weniger in der Politik als vielmehr in der Digitalisierung.

Alle Bestrebung, das durch Digitalisierung außer Kontrolle Geratene wieder kontrollierbar zu machen, scheint im Audiobereich aussichtslos– selbst mit technischen Schutzmechanismen. Denn auch wenn es gelänge, den absolut sicheren Kopierschutz zu entwickeln und ein hundertprozentig wasserdichtes DRM-System zu schaffen, gäbe es immer noch eine einfache Möglichkeit, jeden digitalen Schutzmechanismus auszuhebeln. Der Schlüssel zur Musik, der immer passt, heißt DA/AD. Die Abkürzung steht für die Wandlung Digitaler Daten in Analoge und anschließende Wandlung der Analogen in Digitale Daten. Jedes digitale Abspielgerät hat analoge Audio-Ausgänge; fast alle Rechner bieten analoge Audioschnittstellen – die keine haben, können einfach und kostengünstig mit einer Audiokarte nachgerüstet werden. Also verbindet man Player und Rechner über die analoge Audioschnittstelle und nimmt die Musik mit einer Harddiskrecording-Software auf – die entsprechenden Programme sind als Shareware im Netz erhältlich –, um sie anschließend auf CD zu brennen. Für jeden, der Musik auf CD brennt, ist dies ein Kinderspiel. Der Qualitätsverlust, der durch die DA- und anschließende AD-Wandlung entsteht, kann als akzeptabel, bei entsprechend guten Wandlern sogar als unmerklich betrachtet werden. Gegen diese Radikalmethode ist jeder Kopierschutz macht- und jedes DRM-System wirkungslos. Kann hier das Urheberrecht bemüht werden und Paragraph 95a des Referentenentwurfs der EU-Urheberrechtrichtlinie greifen, nach dem „wirksame“ technische Maßnahmen nicht umgangen werden dürfen?

Will man auf effektive Weise verhindern, dass Musik digital gespeichert und vervielfältigt wird, reichen also Gesetze allein kaum aus. Um dies zu erreichen, kann man entweder durch Erziehung und Bildung beim Gewissen ansetzen, das dem Verbraucher das Anfertigen von Raubkopien verbietet, oder man bietet ihm keine Geräte mehr an, die ihm ein unkontrolliertes digitales Speichern und Vervielfältigen von Musik erlauben. Bei der letzten Frage können nur die Gerätehersteller eine Lösung bringen, indem sie auf die in diesem Marktsegment erwirtschafteten Gewinne verzichten. Lösung eins ist, wenn überhaupt, nur langfristig möglich, Lösung zwei eher unrealistisch, obwohl denkbar.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Vision von Tim Renner, Chef von Universal Music Germany. Danach müsse sich der Verbraucher in Zukunft von dem Gedanken Musik zu besitzen verabschieden. Musik liege dann auf zentralen Servern vor, auf die von überall zu jederzeit zugegriffen werden kann. Wenn ich mir von einer zentralen Jukebox jeden Titel der Welt für einen geringen Betrag vorspielen lassen kann, wird das Speichern und Vervielfältigen von Musik obsolet. Statt an Speichermedien besteht dann ein Bedarf an leistungsstarken Sendern und Empfängern, die den Grundsatz „All acces, anytime, anywhere!“ ermöglichen. Breitbandnetze und UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) bilden dafür eine technische Grundlage. Voraussetzung für Renners Vision ist das Bedürfnis des Verbrauchers nach solchen Angeboten. Doch wird es möglich sein, ihn davon zu überzeugen, dass der uneingeschränkte Zugriff auf Musik besser ist als deren Besitz? Schon heute erlauben winzige Player eine Speicherung von über tausend Titeln. Die Kapazitätsfrage wäre kein Argument für den neuen Service. Der Preis dagegen schon eher. Vorausgesetzt das neue Angebot funktioniert, ist leicht bedienbar und die Bezahlsysteme vertrauenswürdig, dann könnte ein günstiger Preis verlockend sein. Ein kleiner Betrag für das Abspielen eines Titels oder ein günstiges Abo könnten den Kunden vielleicht von dem neuen Angebot überzeugen. Der Preis spielt auch bei dem Verkauf von Tonträgern eine wichtige Rolle. Ein niedriger Preis könnte dazu führen, dass sich das Beschaffen und Kopieren von CDs allein wegen des hohen Zeitaufwands nicht mehr lohnt.

Ein entgegengesetzter Ansatz, um Raubkopien einzudämmen, setzt gerade bei der Lust, etwas zu besitzen, an. Der Verbraucher soll bei seiner Sammlerlust gepackt werden. Der Besitz einer „Original“-CD erhält dabei einen eigenen Wert. Der Vorteil dieser Lösung liegt darin, dass diese CD nur käuflich erwerbbar ist und nicht kopiert werden kann. Special-Editions mit aufwändigem Booklet und Shape-CD in einer außergewöhnlich gestalteten CD-Box steigern den Originalitätswert. Diese Lösung setzt eine Fangemeinde voraus, die die Original-CD um jeden Preis haben will. Nachteilig ist allerdings, dass der Aufbau einer solchen Fanbase zeit- und kostenintensiv ist. Auf die Sammlerleidenschaft hat Sony Music bei der Special Edition des Star Wars Soundtracks für Episode II gesetzt. Der Major konnte seine Marketingstrategie auf eine bereits bestehende große Fangemeinde aufbauen. Für Sammler bot er den Soundtrack zu „Die Klonenkrieger“ mit drei unterschiedlichen Covern an, wodurch ein Star-Wars-Fan(atiker) drei CDs mit gleichem Inhalt kaufen konnte.

Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass eine wesentliche Ursache für die derzeit sinkende Ertragsfähigkeit von Musik ihre Digitalisierung ist. Kopierschutzsysteme werden das Kopieren von CDs nicht verhindern können. DRM-Systeme bieten nur Schutz auf einer rein digitalen Ebene – eine DA/AD-Wandlung macht sie wirkungslos. Solange es möglich ist, auf digitale Datenströme zuzugreifen, werden diese Systeme auch weiterhin der „Knacklust“ von Hackern ausgeliefert sein. Die Politik dort zu bemühen, wo technische Schutzmaßnahmen nicht greifen, kann nicht die letzte Lösung sein. Sollten sich keine weiteren Lösungen finden lassen, könnte dies schlimmstenfalls das Ende der Popkultur bedeuten. Dann hieße es Abschied nehmen: Popkultur Ade!

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