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Der erfahrenste Hai im Becken

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Verlagsleiter Nick Pfefferkorn im Gespräch über 300 Jahre Breitkopf & Härtel
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Unter dem Motto „first in music“ feiert Breitkopf & Härtel in diesem Jahr seinen 300. Geburtstag. Mit Nick Pfefferkorn, seit 2015 als Verlagsleiter tätig, hat Juan Martin Koch über den ältesten noch bestehenden Musikverlag und dessen Rolle im heutigen Musikbetrieb gesprochen.

neue musikzeitung: 300 Jahre Breitkopf & Härtel – welche historischen Wegmarken wären aus Ihrer Sicht zu nennen?

Nick Pfefferkorn: Das wären sehr viele… Der Notentypendruck, den Breitkopf eingeführt hat, die Zusammenarbeit mit den großen Komponisten des 19. Jahrhunderts, die Industrialisierung des Notenstichs und Notendrucks, die Tatsache, die größte Druckerei gewesen zu sein in dieser Zeit… Natürlich sind das alles Errungenschaften aus längst vergangenenen Tagen, aber ich denke, es gehört zur DNA eines Unternehmens, sich immer wieder präsent zu halten, was gewesen ist und worauf man aufbaut.

Wegmarken, gestern und heute

nmz: Worauf bauen Sie heute konkret auf?

Pfefferkorn: Wir knüpfen natürlich besonders an das so genannte „Halbjahrhundert der Gesamtausgaben“ an. Breitkopf hat ja die ersten Komponistengesamtausgaben auf den Weg gebracht: Mozart, Beethoven, Schumann, Brahms… Das hat Maßstäbe gesetzt. Heute kooperieren wir mit Henle bei der Zweitverwertung der Neuen Beethoven-Gesamtausgabe und der neuen Brahms Gesamtausgabe; wir sind dabei, einen unserer Hauptkomponisten, Jean Sibelius, in einer Gesamtausgabe zugänglich zu machen; und wir investieren deutlich in die Orchesterbibliothek, indem wir jetzt eine neue praktische Ausgabe der Symphonien Gustav Mahlers begonnen haben. So wird der Katalog der Symphonien des 18., 19. und nun auch des 20. Jahrhunderts konsequent ausgebaut.

nmz: Welche Wegmarken wurden in Ihrer Amtszeit seit 2015 gesetzt?

Pfefferkorn: Da wäre zum einen die Aufnahme neuer Komponisten in unser Programm: Christian Mason, ein junger britischer Komponist, der auch ein Werk zu unserem Festkonzert Ende Januar geschrieben hat, und als bereits etablierten Autor Johannes Maria Staud. Eine weitere wichtige Entwicklung war die Veränderung unseres Erscheinungsbildes, dem wir eine Generalüberholung gegeben haben, und schließlich der Start großer Editionsprojekte wie der erwähnten Mahler-Symphonienausgabe.

nmz: Die Internationale Gustav Mahler Gesellschaft hat sich kürzlich von Ihrer neuen Symphonienausgabe distanziert, weil diese auf Basis der „alten“ Mahler Gesamtausgabe nicht dem neuesten Forschungsstand entsprechen könne. Wie stehen Sie zu diesem Vorwurf?

Pfefferkorn: Ja, davon haben wir auch gerade erst erfahren. Ich finde es interessant, dass sich sowohl die Mahler-Gesellschaft als auch die Universal Edition von etwas distanzieren, das sie noch gar nicht kennen und von dem sie noch nicht eine einzige Note gesehen haben. Die 1. Symphonie wird nämlich dieser Tage erst erscheinen. Von daher finde ich allein diesen Vorstoß schon gewagt. Darüber hinaus ist der Tenor der Darstellung falsch: Selbstverständlich entsprechen diese Neuausgaben dem aktuellen Stand der Mahler-Forschung und basieren auf allen bekannten, überlieferten Quellen. Ein anderes editorisches Vorgehen käme für das Haus Breitkopf & Härtel auch nie in Frage. Mal ganz abgesehen davon, dass es über 80 Jahre musikwissenschaftlicher Editionspraxis ad absurdum führt, die Deutungshoheit über das Werk eines Komponisten allein für eine Gesellschaft oder die ehemaligen „Originalverlage“ zu beanspruchen.

nmz: Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Situation der Branche und wie behauptet sich Breitkopf & Härtel darin?

Pfefferkorn: Was ich auch von Kollegen anderer Verlage höre, kann man mit der abgedroschenen Phrase „die fetten Jahre sind vorbei“ umreißen. Durch die zunehmende Gemeinfreiheit vieler großer Komponisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird das Umfeld nicht einfacher. Wir bewegen uns in einem sehr engen Marktsegment, einem Haifischbecken, in dem die Konkurrenz immens ist. Was ich auch von anderen höre, ist, dass man sich solide behauptet in diesem Umfeld und sondiert, wie sich der digitale Markt entwickelt. Für uns kann ich sagen, dass sich der Verlag auf einem wirtschaftlich sehr soliden Fundament bewegt, was uns die Möglichkeit gibt, in die Zukunft zu investieren.

Die digitale Note

nmz: Welchen Weg beschreiten Sie in Sachen Digitalangebot?

Pfefferkorn: Die anderen Verlage haben ja verschiedene Modelle ausprobiert. Vieles ist genau so schnell wieder verschwunden, wie es aufgetaucht war. Mit verlagspezifischen Anwendungen zwingt man im Grunde jeden Nutzer, sich für jeden Verlag auf eine neue App einzustellen, von denen jede ihre Eigenheiten, ihre spezielle Bedienung hat, zum Beispiel was die Frage von individuellen Eintragungen betrifft. Das kann meines Erachtens nicht der Weg der Zukunft sein. Der Köder muss dem Fisch schmecken und wir müssen uns auf die Bedürfnisse des Kunden einstellen und die bestehen darin, ein möglichst großes Angebot an einer einzigen Stelle zu finden. Die IMSLP-Datenbank zeigt, wie erfolgreich so ein Modell ist, das genau am Bedarf orientiert ist. Breitkopf hat sich deshalb dafür entschieden, seinen kompletten Katalog – bis auf das Leihmaterial – digital über den britischen Anbieter nkoda zugänglich zu machen. Dabei handelt es sich um ein Streaming-Modell, das alle großen Verlage in ein Boot holen will. Die Idee ist, dass der Kunde eine Flatrate im Monat bezahlt und damit das komplette Angebot der teilnehmenden Verlage zur Verfügung hat.

nmz: Wie weit ist dieses Angebot bisher gediehen?

Pfefferkorn: Im Moment ist nkoda noch am Anfang. Man ist zunächst dabei, den Content aufzubauen und die App so komfortabel wie möglich auszugestalten, um dann offensiv an die Kunden heranzutreten. Wir waren der erste große Verlag, der hier aus der Deckung gekommen ist und sich beteiligt hat, was natürlich ein großer Schritt für uns war.

nmz: Als Sie bei Breitkopf als Verlagsleiter anfingen, hieß es, sie wollten Ihren eigenen Verlag, den Pfefferkorn Musikverlag, parallel weiterführen. Das hat sich dann aber nicht ergeben?

Pfefferkorn: Das hat sich nicht ergeben können. Beide Verlagshäuser mit gleicher Aufmerksamkeit weiterzuführen, wäre utopisch gewesen. Da galt mein Hauptaugenmerk ganz klar Breitkopf & Härtel. Auf der anderen Seite hat jedoch vieles aus meinem Verlagsprogramm hier ein schönes Zuhause gefunden, weil es sehr gut in den Katalog passt. Aber den Verlag im 20. Jahr seines Bestehens abzumelden, das hat mich schon Überwindung gekostet.

Breite des Repertoires

nmz: Welche Rolle werden „Ausgrabungen“, wie Sie sie früher in ihrem eigenen Verlag gemacht haben, bei Breitkopf spielen? Kürzlich haben Sie eine Zusammenarbeit mit der Joachim-Raff-Gesellschaft vereinbart…

Pfefferkorn: Das ist ein gutes Stichwort. Ich denke, es ist unsere Pflicht, auch das zu beleuchten, was ich die 1b-Reihe nenne. Was gab es neben den großen Gestalten der Musikgeschichte, die wir heute kennen? Beethoven, Brahms, Schumann – die haben ja nicht im luftleeren Raum existiert. Da gab es sehr viel darum herum, man hat sich gegenseitig inspiriert, hat voneinander gelernt. Ich halte diese Seitenblicke für wichtig, weil sich sonst, perspektivisch betrachtet, alle Verlage nur noch um sich selbst drehen: Alle machen Urtext-Ausgaben zu Mozart, Mendelssohn, Schumann, Brahms… Das wird irgendwann langweilig, es ist dann auch mal alles gesagt. Dafür gibt es viel zu viel interessante Musik – Stichwort Joachim Raff: Er ist jemand, der definitiv eine Renaissance verdient und auch erleben wird, davon bin ich fest überzeugt.

nmz: 2014 überraschte die Nachricht, dass Breitkopf sich aus Leipzig zurückzieht. Nun sind Sie dort wieder präsent. Wie kam es dazu?

Wiesbaden und Leipzig

Pfefferkorn: Bis 2014 existierte in Leipzig die Breitkopf & Härtel GmbH. Das ist der rückübertragene VEB Breitkopf & Härtel. Aus betriebswirtschaftlichen Gründen wurde diese Dépendance geschlossen. Zu dieser Zeit war ich noch nicht bei Breitkopf. Ich habe das als Außenstehender aus der Presse erfahren, habe es überhaupt nicht verstanden und fand es auch als Zeichen gegenüber der Stadt Leipzig nicht nachvollziehbar. Jetzt, mit den internen Kenntnissen der Beweggründe, kann ich es verstehen, aber ich bin gebürtiger Leipziger und auch ein Lokalpatriot: Breitkopf & Härtel und Leipzig sind untrennbar miteinander verknüpft. Es muss immer einen Fuß von Breitkopf & Härtel in Leipzig geben und zumindest solange ich in der Verlagsleitung bin, wird das immer so sein. Es hat sich nun so ergeben, dass die Kollegen, die bis 2014 in Leipzig gearbeitet haben und danach nach Wiesbaden pendelten, nun in meinen alten Leipziger Verlagsräumen arbeiten können. Das sind drei Kollegen, darunter unser Lektor für die Gesamtausgaben, der unter anderem die Leipziger Mendelssohn Ausgabe betreut. Ich selbst arbeite jeden Freitag in Leipzig.

nmz: Als Wiesbadener und Leipziger Verlag sind Sie nahe an den beiden für Sie wichtigen Messestandorten. Wie beurteilen Sie diese?

Pfefferkorn: Für mich ist die Musikmesse in Frankfurt definitiv ein aussterbendes Modell, ein Relikt aus alten Zeiten, das den Sprung in die heutigen Ansprüche von Ausstellern, Händlern und Kunden nicht geschafft hat. Sie ist im Moment aber noch die Leitmesse, die von der Internationalität der Stadt Frankfurt und der Flughafenanbindung profitiert. Es ist zu erkennen, wie die Musikmesse mit ständig sich verändernden Elementen und Hallen­umzügen versucht, den Wünschen der Aussteller und Besucher irgendwie gerecht zu werden, aber ich denke, da bedürfte es ganz grundsätzlicher Veränderungen im Messekonzept. Die Leipziger Buchmesse ist als wirkliche Publikumsmesse konzipiert und über die Jahre auch so gewachsen. Die ganze Stadt ist ins Programm eingebunden. Die Messe ist unglaublich rührig, entsprechende Plattformen zu bieten, für unseren Bereich ist es zum Beispiel das Music-Café, wo man Veranstaltungen gezielt positionieren und präsentieren kann. Das wird von den Musikverlagen sehr gut angenommen, und auch wir fühlen uns da sehr wohl. Die Wünsche der Verlage und Besucher werden viel eher gehört, als es in Frankfurt der Fall ist. Das zeigt nun auch der Start der neuen Messe musicpark im November. Die werden wir uns erst einmal als Besucher ansehen, um herauszufinden, welche Schwerpunkte gesetzt werden, welchen Platz die E-Musik dort einnimmt oder ob es eher um Pop und Rock geht.

nmz: Welche Rolle spielt für Sie die Arbeit im Deutschen Musikverlegerverband (DMV)?

Pfefferkorn: Der DMV ist ein wichtiges Sprachrohr in die Politik. Er hat uns auch sehr geholfen bei der leidigen Geschichte mit der Aussetzung der Verlegerbeteiligung bei der GEMA. Ausbaufähig ist meines Erachtens die Breitenwirkung zweier Auszeichnungen, die der DMV vergibt: zum einen das „Beste Konzertprogramm der Saison“, zum anderen der Musikeditionspreis „Best Edition“. Vor allem was letzterer bedeutet, ist völlig unterbelichtet, die musikpraktizierende Öffentlichkeit weiß noch zu wenig darüber. Das muss sich ändern!

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