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An der Ruhr von Kulturpessimismus keine Spur

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Saalbau Essen: Abstimmung statt Alleingang &#183
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Wer in diesen Tagen das Essener Musikleben Revue passieren lässt, könnte durchaus interessante Rückschlüsse ziehen. 1904 schwang sich die aufstrebende Industriestadt zum ersten Mal auf, nicht nur die heimische Bevölkerung mit „gediegener Instrumentalmusik“ und Gartenkonzerten zu erfreuen. Mit der Eröffnung des Essener Saalbaus als Konzerthaus wuchs ab 1904 auch die Bedeutung und das Renommee der Stadt, wo nun Richard Strauss seine „Sinfonia domestica“ dirigierte, Gustav Mahler die Uraufführung seiner 6. Sinfonie leitete und das Konzertwesen ab sofort florierte. Genau 100 Jahre später will man an historischer Stelle nun an die glanzvollen Zeiten anknüpfen und das Konzert-publikum im Einklang mit den Spielstätten in Stadt und Region erneut erobern. Wenn Essen im Sommer 2004 die Einweihung des neuen Konzertsaals im altehrwürdigen Saalbau feiert, dann soll sich zeigen, dass die Verbindung einer 100-jährigen Tradition mit dem baulichen wie akustischen Sprung ins neue Jahrtausend an Ort und Stelle beispielhaft gelingen kann.

Eines soll im Saalbau hingegen beim Alten bleiben: die Offenheit für unterschiedliche Belange und die Bereitschaft zu Abstimmung und Kooperationen, die im dichtbesiedelten Ruhrgebiet mit seinen zahllosen Kultureinrichtungen wohl immer wesentlicher erscheinen. Philharmonie-Intendant Michael Kaufmann plädiert in diesem Zusammenhang für einen unverkrampften Umgang mit der Kultur. Der Konzerthaus-Chef will nicht im Elfenbeinturm verweilen, sondern Partner suchen, wo wirtschaftlich nötig, und Mitspieler finden, wo inhaltlich möglich. Ein Konzerthaus, so Kaufmann, könne auch die Funktion eines Katalysators für kulturelle Prozesse übernehmen. Stadt und Region sollen vom neuen Angebot profitieren, statt sich in Konkurrenzdenken zu verlieren.

Schon ein Jahr vor der Eröffnung hat der Intendant inzwischen eine ganze Reihe von Mitstreitern gewonnen. Die Nachricht, mit dem „klassischen nebeneinander herwurschteln“ erst gar nicht anfangen zu wollen, hat einigen auch die Angst vor dem großen neuen Kulturanbieter und seinen Alleingängen genommen. Und so gibt es viel versprechende Pläne, die Kräfte der Umgebung in das Gesamtkonzept einzubinden. Die Folkwang-Hochschule beispielsweise, Essens bundesweit renommierte Musikausbildungs-Stätte, soll gleich mehrfach in den Genuss kommen, die Studenten an hochkarätigen Praxisprojekten beteiligen zu können. Das in kurzer Zeit zur „Landesmusikinstitution“ avancierte Chorwerk Ruhr soll in Essen regelmäßige Auftrittsmöglichkeiten bekommen. Und auch die kleineren, etablierten Konzertstätten will man künftig nicht sang- und klanglos übergehen. So erfreut sich das Essener Weltkulturerbe, die Zeche Zollverein, inzwischen einer eigenen Konzert-Reihe mit Weltklasse-Musikern wie Jan Garbarek oder Frank Peter Zimmermann. Die dort erfolgreichen WDR BigBand-Programme will man beispielsweise gemeinsam weiterführen. Mit der Essener Gedenk- und Ausstellungs-Stätte Alte Synagoge ist zudem ein Kooperationsprojekt mit Musik-Poet Hermann van Veen geplant, der seine Vertonung jüdischer Kindheitserinnerungen in beiden Häusern vorstellen wird. Kooperationsmöglichkeiten gibt es wohl noch viele. Auch in Zusammenhang mit den Konzerthäusern der Umgebung, die sich in einigen Jahren wohl nolens volens in einer Konkurrenzsituation wiederfinden werden. „Man braucht nicht unbedingt den großen Überbau, sondern Ideen“, gibt sich Kaufmann zuversichtlich, auch über Stadtgrenzen hinweg gemeinsame Projekte zu realisieren.

Mit knapp 2.000 Plätzen verfügt der Essener Konzertsaal immerhin über das mit Abstand größte Platzangebot im Ruhrgebiet. Dortmund hat sich als „Philharmonie für Westfalen“ mit 1550 Plätzen etwas kleiner gesetzt. Zwischen den nicht mal 40 Kilometer entfernten Revier-Städten prüft Bochum derzeit noch diverse Standorte für die neue Heimstätte der Symphoniker unter Steven Sloane, nachdem die Stadt eben erst die mit 37 Millionen Euro sanierte Jahrhunderthalle als neues Festspielhaus der Ruhrtriennale in Bezug genommen hat. In Duisburg diskutiert man über einen Multifunktionssaal für 1.800 Gäste, nachdem klar ist, dass die Mercator-Halle trotz aller Proteste abgerissen wird und die Duisburger Philharmoniker übergangsweise im ehemaligen Musical-Theater am Marienplatz spielen werden.

Von der anfangs gemeinsam gepflanzten Idee einer Ruhrphilharmonie, deren Größenordnung bald nur der Essener Konzertsaal mit knapp 2.000 Sitzen entsprechen kann, sind somit viele Ableger entstanden. Eine Region mit mehr als fünf Millionen Einwohner soll das vertragen können, versichern die örtlichen Kulturdezernenten. Von Kulturpessimismus also keine Spur: In Zeiten eines flächendeckend angestimmten Sparkonzertes zieht das Ruhrgebiet als Kulturgebiet noch einmal mutig alle Register.

Mehr Zufriedenheit durch Viel-Harmonie? Zumindest die Ruhrtriennale mit ihrem Intendanten Gerard Mortier arbeitet seit 2002 daran, inneren Einklang und äußere Strahlkraft des Ruhrgebiets mittels Kultur herzustellen. Während das zunächst mit 40 Millionen Euro ausgestattete Drei-Jahres-Festival gemeinhin vor allem auf den Charme rostmoderner Montan-Architektur setzt, signalisiert man dem bislang im Spielplan etwas vernachlässigten Essen bereits, das neue Konzerthaus ab 2004 in die Programm-Planungen einzubeziehen. Auch das renommierte Klavierfestival Ruhr hat für das kommende Jahr bereits Kooperationen zugesagt. Der vom Initiativkreis Ruhrgebiet und der Industrie alljährlich sorgfältig aufpolierte Klassik-Hochkaräter mit seinem Intendanten Franz-Xaver Ohnesorg wird nach Angaben Kaufmanns gleich drei wichtige Konzerte in die neue Essener Philharmonie verlegen. Die Pult- und Piano-Prominenz von Daniel Barenboim bis Alfred Brendel gastierte bislang im benachbarten Aalto-Theater, das 1988 nach jahrzehntelangen Debatten eröffnet wurde und sich in kurzer Zeit unter seinen führenden Köpfen, derzeit dem viel gelobten Generalmusikdirektor Stefan Soltesz, zu den führenden Häusern des Landes mit hohen Auslastungszahlen und großem öffentlichen Zuspruch entwickelt hat. Die regelmäßige Bereitstellung der eigens angeschafften Konzertmuschel kostete indes zuletzt viel Zeit und Geld, seit sich die Philharmoniker im Jahr 2000 aus der damals angestammten Spielstätte Saalbau wegen akuter Baumängel verabschiedet hatten und notgedrungen ins Aalto-Theater umzogen. Freilich auf Kosten eines eingeschränkten Spielplans und Platzangebotes. Die Kapazität sank um 300 auf 1.125. Kein Wunder, dass die Theater und Philharmonie GmbH, die neben Schauspiel, Musiktheater und Ballett bald auch die Philharmonie als vierte Sparte unter ihre Fittiche nimmt, dem neuen Konzerthaus im Saalbau mit den fast 2.000 Plätzen mit Erwartung entgegen blickt. 100 Jahre später weiß man schließlich, dass Saalbau-Eröffnungen die Ouvertüre zu künstlerischen Erfolgsgeschichten sein können.

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