In Erfurt hat gestern die Deutsche Orchesterkonferenz 2009 stattgefunden. Über 250 Vertreter aus sämtlichen deutschen Kulturorchestern, aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft haben sich unter dem Konferenzthema "Zukunftsorchester" mit Fragen um die künftigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und möglichen Entwicklungspotenziale der Orchester in Deutschland beschäftigt.
Mit Blick auf die 20 Jahre zurückliegende "Wende" und den in 10 Jahren auslaufenden "Solidarpakt II" fand die Deutsche Orchesterkonferenz erstmals in Ostdeutschland statt. Von den seit 1992 aufgelösten 35 Orchestern waren 27 in den neuen Bundesländern beheimatet.
Vor dem Hintergrund der globalen Wirtschaftskrise befürchten die Orchester massive Finanzeinschnitte bislang unbekannten Ausmaßes. Sollte die im März 2009 beschlossene "Schuldenbremse" tatsächlich ins Grundgesetz aufgenommen werden, wäre dies für die Orchester in Deutschland der "GAU", der "Größte Anzunehmende Unfall". Gegenüber den Pflichtaufgaben der Länder und Kommunen hätten freiwillige Leistungen wie z.B. die Kultur keine Chance mehr auf eine auch nur halbwegs auskömmliche Finanzierung. Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), sprach davon, dass Theater und Orchester aufpassen müssten, dass sie nicht zur "Bremsspur der Schuldenbremse" würden.
Um der drohenden Entwicklung entgegenzuwirken, wurden auf der Konferenz u. a. drei Ziele formuliert:
1. Die Finanzierung von Theatern und Orchestern muss aus Jährlichkeit des öffentlichen Haushaltsrechts herausgelöst und in mehrjährige Finanzierungsverträge umgewandelt werden.
2. Wenn die "Pflichtaufgabe Kultur" in den nächsten Jahren auf Länderebene politisch nicht durchsetzbar erscheint, muss zumindest versucht werden, die Kulturfinanzierung anderweitig, beispielsweise in den bestehenden Gemeindefinanzierungsgesetzen und Finanzausgleichsgesetzen zu privilegieren.
3. Die Darstellung dessen, was Theater und Orchester für die gesellschaftliche und soziale Entwicklung an ihrem Standort und in ihrer Region inhaltlich bewirken, gilt es noch viel stärker als bisher herauszustellen.
DOV, Gerald Mertens
Ein ddp-Bericht zur Orchesterkonferenz:
Orchester müssen sich an veränderte Nachfragesituation anpassen - Verbandschef warnt vor einseitiger Ökonomisierung des Kulturbetriebs
Erfurt (ddp-lth). Die deutschen Orchester stehen in den nächsten Jahren nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in ihrer inhaltlichen Ausrichtung vor großen Herausforderungen. Das geht aus einem Zwischenbericht zu einem Gutachten über die Entwicklung der Orchesterlandschaft hervor, den der Wirtschaftsforscher Tobias Glufke am Dienstag in Erfurt auf der Jahreskonferenz der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) vorstellte.
«Junge Leute wachsen heute mit einem viel größeren kulturellen Angebot auf als früher», sagte der Mitarbeiter des Hallenser Instituts für Wirtschaftsforschung. «Die Orchester sollten sich an diese veränderten Kulturgewohnheiten anpassen und stärker versuchen, auch nicht vorgebildete Zuhörer abzuholen.»
Allgemein hätten die Orchester akuten Nachholbedarf bei der Vermittlung von «Spaß und Action» besonders an jüngere Besucher. Um die Entwicklung der Orchesterlandschaft verlässlich abschätzen zu können, rief Glufke die Intendanten und Orchestervertreter zur Kooperation auf. «Wenn wir die spezifischen Gegebenheiten der Orchester vor Ort nicht kennen, ist es schwer, nötige Schritte zu bewerten», betonte er.
In einer Podiumsdiskussion regten sowohl Kommunalpolitiker als auch Orchestervertreter an, in der Finanzierung der Kultur gemeinsam neue Wege zu suchen. Die Orchester sollten alters- und zielgruppengerechte Angebote schaffen und die Kulturvermittlung auch privatwirtschaftlichen Initiativen öffnen. Nur so könne es gelingen, weitere Kürzungen abzuwenden.
In den vergangenen 20 Jahren wurden in Deutschland den Angaben zufolge von 168 Orchestern 35 abgewickelt oder fusioniert, 27 davon in Ostdeutschland. Das Institut will mit dem Gutachten zur Entwicklung der Orchesterlandschaft nach 1989 aufzeigen, welche Chancen und Problemfelder sich in der kulturellen Landschaft Deutschlands ergeben könnten. Mit der für 2010 geplanten Publikation sollen die Finanzsituation der Länder erläutert und Hilfestellungen für politische Bewertungen gegeben werden.
Der amtierende Geschäftsführer der DOV, Gerald Mertens, warnte vor einer einseitigen Ökonomisierung des Kulturbetriebs. «Kultur darf nicht einseitig als Standort- und Wirtschaftsfaktor vereinnahmt werden», kritisierte er und forderte, neben einer langfristigeren Finanzplanung den Faktor der Kultur für die Gesellschaft viel stärker herauszustellen. Mertens bedauerte den gegenwärtigen «demokratischen Darwinismus», der zwischen den noch bestehenden Orchestern herrsche, und forderte, die Vielfalt an Orchestern «zumindest für die nächsten zehn Jahre zu bewahren».
Dem Produktions- und Kulturmanager Maurice Lausberg zufolge hinken aufgrund der öffentlichen Finanzierung die Orchester in Personalpolitik und Marketing oftmals hinterher. Die Orchester sollten ihre Angebote spezifischer ausrichten.
«Die Überalterung des Klassik- und Theaterpublikums trägt zum Auseinanderdriften von Besuchererwartungen und Angebot bei«, sagte Lausberg. Oftmals seien Operninszenierungen zu langweilig für das junge Publikum, aber zu aufregend für die Alten. »Mithilfe einer vernünftigen Strukturierung der Besucher ließe sich hier viel erreichen», betonte er.
(nmz) - Einen Bericht von Uwe Friedrich zur Deutschen Orchesterkonferenz 2009 können Sie in der Juni-Ausgabe der nmz lesen