Die Klassik-Branche rappelt sich. In einer Zeit, da blumige Sprüche über das Verschwinden der CD und das Aussterben des Klassikpublikums die Runde machen, gründen unternehmerisch denkende Vertreter der Tonträgerindustrie die internationale Fachmesse classical:NEXT. Vom 30. Mai bis 2. Juni ging sie in den Räumen des Münchner Gasteig nun erstmals über die Bühne.
Initianten sind die in der Vereinigung „Class“ zusammengeschlossenen deutschen Independent-Labels und -Vertriebe, die Organisation liegt in den Händen der Berliner Messeveranstalter piranha womex. Als Kooperationspartner erscheinen private Münchner Einrichtungen und das städtische Kulturreferat sowie das Internationale Musik- und Medienzentrum Wien (IMZ). Die Messe ist konsequent auf den internationalen Markt ausgerichtet. Offizielle Veranstalter-sprache ist Englisch, und dass sich gleich beim ersten Mal 700 Teilnehmer aus zahlreichen europäischen Ländern, den USA und Fernost registrieren ließen, ist ein ungewöhnlicher Erfolg und lässt vermuten, dass die Initiatoren in eine Marktlücke gestoßen sind. Wird diese Linie unbeirrt weiter verfolgt, so könnte in den nächsten Jahren ein internationaler Treffpunkt der Musikindustrie entstehen, der nicht nur für die Klassikmetropole, sondern auch für den Messestandort München von Interesse sein dürfte.
Isarstrand statt Côte d’Azur
Viele Firmen, die nun nach München gekommen sind, haben der Musik- und Medienmesse Midem, die jeden Januar in Cannes stattfindet, den Rücken gekehrt und erhoffen sich von classical:NEXT neue Impulse. Sie sind frustriert von den überhöhten Kosten, die vielleicht zu einem Glamour-Event wie dem Filmfestival Cannes passen, aber nicht zu einer Musikmesse. „Es beginnt schon damit, dass man von den Taxichauffeuren angeschnauzt und in den Restaurants abgezockt wird, und endet bei den maßlos überhöhten Standpreisen für die Aussteller“, sagt ein langjähriger Midem-Besucher, der sich nun nach München orientiert hat. Tatsächlich ist die Ausstellungfläche in Cannes in den letzten Jahren kontinuierlich geschrumpft. Zudem wurde die Klassik immer mehr zum fünften Rad am Wagen der Unterhaltungs- und Kommunikationsindustrie. Der Midem Classical Award, ein internationaler Schallplattenpreis, wurde vor zwei Jahren stillschweigend beerdigt, das damit verbundene Konzert gestrichen. Die Côte d’Azur ist ein schöner Flecken Erde, aber für die Klassik scheint man sich dort nicht mehr zu interessieren.
Die classical:NEXT, die sich an einem erweiterten Klassikbegriff orientiert, ruht auf drei Pfeilern: Ausstellungsteil, Panels/Referate und Veranstaltungen; letztere sind auch für das normale Publikum zugänglich. Zentral ist der Fachdialog zwischen Produzenten, Vertriebsleuten, Agenten und Veranstaltern, der sich an den Ausstellungsständen, in den Fluren und umliegenden Hotels abspielt; hier werden Geschäfte abgeschlossen und Informationen ausgetauscht. Ein zweiter Programmpunkt sind die Panels mit internationalen Fachleuten zu aktuellen Fragen. Die Entwicklung der Märkte, neue Methoden des Fundraising, Marketing mit Hilfe der Social Media, Perspektiven des Musikjournalismus, neue Veranstaltungsformen und Veränderungen im Urheberrecht waren einige der Themen, die abgehandelt wurden. Solche Panels, die auch auf der Midem stets große Anziehungskraft ausüben, sind die seltenen Gelegenheiten, Vertreter der Kulturwirtschaft über ihre Geschäftspraktiken und Markteinschätzungen sprechen zu hören. Ein Knowhow-Transfer mit hohem Erkenntnispotenzial, der bei hochkarätiger Podiumsbesetzung eine Fachmesse gehörig aufzuwerten vermag.
Einen Einblick in neue technische Entwicklungen bot MDG-Produzent Werner Dabringhaus mit seiner Demonstration des achtkanaligen Raumklangs, der den gängigen Ein-Ebenen-Surroundklang zur Dreidimensionalität erweitert. James Jolly, Chefredakteur des britischen Gramophone Magazine, informierte über die publizistischen Aktivitäten seiner Zeitschrift, die sich unter dem Einfluss des Internets grundlegend verändert haben. Das Fallbeispiel zeigt, wie ein traditionelles Printmedium unter den neuen Marktbedingungen erfolgreich überleben kann.
Zu einer beeindruckenden Lektion geriet der Presseempfang von Klaus Heymann zum 25-jährigen Bestehen des von ihm gegründeten Labels Naxos. Während alle Welt von der Krise der Tonträgerindustrie sprach, baute Heymann in Hongkong ein Budget-Label auf, das sich inzwischen zu einem globalen Unternehmen mit dreihundert Angestellten auf fünf Kontinenten entwickelt hat und aus der Klassikbranche nicht mehr wegzudenken ist. Angesichts der einzigartigen Erfolgsstory stellt sich die Frage, wo denn nun eigentlich die vielzitierte Krise anzusiedeln ist: In den wirtschaftlichen Verhältnissen oder in den Köpfen der Firmenbosse?
Konzert und Showcase
Zum reichhaltigen Beiprogramm gehörten die Auftritte internationaler Netzwerke: Die IAMIC, die Internationale Vereinigung der Musikinformationszentren, stellte ihre Aktivitäten vor, das Internationale Musik- und Medienzentrum Wien IMZ präsentierte eine Auswahl von Musikfilmen der in ihm zusammengeschlossenen Produzenten und Regisseure.
Eine dritte Programmschiene bildeten schließlich die zahlreichen „Showcases“ mit Live-Auftritten von Musikern. Man weiß, was man den Kreativen schuldig ist. Dass auch die zeitgenössische Musik hinreichend berücksichtigt wurde, gehört zu den erfreulichen Aspekten dieser Fachmesse, auch wenn sich der große, akustisch dumpfe Carl-Orff-Saal des Münchner Gasteig für solche Auftritte wenig eignet und einige Veranstaltungen auch zeitlich ungünstig platziert waren. Der Auftritt des französischen Ensembles Variances mit neuen Werken von Thierry Pécou war nicht der einzige, der unter diesen Aufführungsbedingungen litt. Rundum geglückt war dagegen das Schlusskonzert in der kleineren „Black Box“ mit Moritz Eggert als fesselndem Cage-Interpreten, dem exzellenten Orchester Jakobsplatz München und dem Berliner Blockflötenquartett New Generation.
Das Fazit dieser ersten classical:Next kann sich sehen lassen. Das spontan große Echo sowohl bei den aktiven Teilnehmern als auch beim Publikum ist vielversprechend. Zwar waren die Majors nicht vertreten – möglicherweise brauchen sie aufgrund ihrer internen Strukturen eine solche Messe auch nicht zwingend –, und manche anderen Labels verharrten erst einmal im Beobachterstatus. Doch das Konzept scheint zu funktionieren, selbst wenn die Veranstalter angesichts der einen oder anderen Kinderkrankheit noch von einer „Beta-Version“ sprechen. Hörte man sich bei den Ausstellern um, so vernahm man größtenteils positive Stimmen. Rainer Kahleyss, als Mitglied der Labelvereinigung „Class“ einer der Initiatoren der Messe, kommentiert das mit den Worten: „Das nächste Jahr sind wir wieder da.“