Hauptbild
Udo Lindenberg und Jörg Sander beim Soundcheck. Foto: Bernd Schweinar
Udo Lindenberg und Jörg Sander beim Soundcheck. Foto: Bernd Schweinar
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Die Krise in der Branche ist nicht vorbei – im Gegenteil

Untertitel
Udo Lindenbergs Techniker reflektieren ihre Erfahrungen mit Bürokratie und fehlender Wertschätzung
Publikationsdatum
Body

Den Begriff „backstage heroes“ führte während der Corona-Pandemie Matthias Gibson, ehemaliger BMG-Ariola-Geschäftsführer und Manager von Peter Maffay, in die kulturpolitische Diskussion ein. Er meinte damit die vielen, oft hochqualifizierten Freiberufler, die eine aufwändige Kulturproduktion im Hintergrund erst möglich machen. „Unser Job als Techniker ist es, unauffällig zu sein! Und genau das ist uns während Corona zum Verhängnis geworden, genau deswegen hatte uns niemand auf dem Schirm“, sagt Claus (49), LED-Techniker in der Produktionscrew von Udo Lindenberg. Und Veranstaltungstechniker Alex (34) über jene, die die Branche verlassen haben: „Die brennen nach wie vor für den Musikjob, aber hier fehlt ihnen die Sicherheit des Einkommens, wenn die Politik die Soloselbständigen bei der nächsten erwartbaren Notlage wieder im Bürokratiedschungel hängen lässt.“ Hier liegt das Dilemma für den bevorstehenden Herbst.

Die Politik hat keine Konzepte und keinen Plan für die Kulturbranche. Tourneen brechen gerade dutzendweise weg. Die Kulturpolitik ignoriert das, spricht von einem tollen Festivalsommer. Technikcrews graut vor dem Herbst und der nochmaligen Perspektive Hartz IV. Denn wer in der ersten Pandemiephase Anträge auf Hilfsgelder stellte, berichtet von unglaublichen Vorgängen und Abläufen im Kampf mit der Bürokratie. Wir konnten einige Betroffene bei der „Udopium-Live“-Produktion hinter den Kulissen befragen.

Die Produktion, mit der Udo Lindenberg diesen Sommer rund zwei Monate auf umjubelter Tournee war, umfasste Equipment, das mit 18 Sattelschleppern transportiert wurde. Zusätzlich waren die rund 100 Produktionsmitarbeitenden mit vier Nightlinern (Busse mit Ruhekojen), zwei Bandbussen und einem Bus für die Kindertruppe der Show unterwegs.

Alles hoch spezialisierte und qualifizierte Experten und Fachleute, die es schaffen, einen gesamten Bühnenaufbau mit LED-Wänden, Lautsprechern, Lampen und zigtausenden von Einzelteilen wie ein großes Puzzle am frühen Morgen ab 6 Uhr in der Münchner Olympiahalle auf- und bis nachts um 3 Uhr wieder abzubauen und so zu verstauen, dass das Ganze am nächsten Veranstaltungsort wiederholt werden kann. Von der logistischen Ablaufperfektion, der Flexibilität und Koordinationsfähigkeit dieser nochmals um weitere rund 100 örtliche Helfer verstärkten Truppe könnte jede Behörde lernen! Dann wäre mit Sicherheit auch die Corona-Krise in Deutschland besser bewältigt worden.

Alle Gesundheitsminister wären begeistert von der Disziplin bei der Udo- Lindenberg-Produktion. Zur Ausrüstung gehört auch eine mobile PCR-Teststation. Wir kommen erst backstage in die Olympiahalle, nachdem vor Ort der PCR-Test negativ ist. Ansonsten werden alle in der Truppe täglich mit Schnelltests gecheckt und laufen von früh bis spät mit FFP2-Maske umher. Nach freien Tagen oder Abwesenheit aus der Crew, kommt man nur mit negativem PCR-Test wieder zur Truppe. Es ist ein Leben wie in einer Hygieneblase – von Mai bis Juli, wochentags und am Wochenende.

Diese Menschen nehmen für ihren Beruf immense Strapazen auf sich. Alle lieben ihren Job. Dafür brennen sie. Aber Politik und deutsche Bürokratie zeichneten während der Pandemie dafür verantwortlich, dass etliche Menschen die Branche ausgebrannt verlassen haben. Auch Selbstmorde sind durch die Medien bekannt geworden.

„Ich war plötzlich arbeitslos, beziehungslos, wohnungslos und perspektivlos!“, sagt Stagemanager Marcus (61). Er wollte mit 60 aufhören und die Stadiontour von Udo Lindenberg, der 2021 damit auch sein 75. Lebensjahr gefeiert hätte, sollte der Schlusspunkt sein. Stattdessen musste er viele seiner Rücklagen aufbrauchen und jetzt zudem weiterarbeiten.

Er, der in den letzten Jahrzehnten in Deutschland, Europa und der ganzen Welt mit Stars wie Falco, Wolfgang Ambros, OPUS, Gianna Nannini, Peter Maffay, Udo Lindenberg, Marius Müller-Westernhagen, PUR und vielen mehr unterwegs war, hat in dieser Zeit in Deutschland erhebliche Steuern bezahlt. Für diese Weltstars war er honoriger und zuverlässiger Partner – geschäftlich sowie als Mensch. „Aber für die deutsche Bürokratie wurde ich im Krisenausnahmefall zum potentiellen Verbrecher, der sich ein paar Euros erschleichen wollte.“ Marcus redet von dem Krisenwerkzeug, das die Politik „vereinfachte Grundsicherung“ genannt und fast als paradiesische Metapher gepriesen hat, wie andere das Hartz IV-Level umschreiben.

„Ich war ja nicht arbeitslos, weil ich einen schlechten Job für einen meiner Künstler abgeliefert hätte“, fährt er fort. „Meine Arbeitsleistung ist immer „150 Prozent“, sagt er, der enorme auch sicherheitstechnische Verantwortung trägt, wenn viele der rund 200 Menschen, die in der Halle buchstäblich beim Aufbau „wuseln“, zu koordinieren sind. Flexibilität ist eine der größten Herausforderungen in der Veranstaltungsbranche. Das hätte er auch von der Verwaltung erwartet, mit der er während Corona in Konflikt geriet. Flexibilität, Praxis- und Menschennähe hat er von der Bürokratie aber nicht bekommen.

Gefangen im Staatsversagen

Fast noch krasser erging es Klaus (53), Gitarrentechniker seit 1998. Den Job macht er seit Jahrzehnten für „zwei große alte Herren der deutschen Popgeschichte“ und vor Corona hatte er damit über 200 Tage im Jahr gut zu tun. Einer ist Udo Lindenberg. Auch Klaus hat seine Familie in einer Großstadt zu ernähren und auch ihm habe die Grundsicherung „einen echten Strich durch die Rechnung gemacht“.  Weil die Politik zu lange inaktiv war, hat er angefangen in einem Musikfachgeschäft auf 450-Euro-Basis zu arbeiten. Später hat er dieses Einkommen dem Jobcenter zur Berechnung seines Bedarfes mit angegeben. Und war der Meinung, dass das in die Berechnung mit eingeflossen sei. Unlängst bekam er die Quittung und man will jetzt für 15 Monate jeweils 450 Euro von ihm wieder zurückhaben. Weil sich eine „Verwaltung scheinbar nie verrechnet“, liegt das Ganze jetzt beim Anwalt. Sein Fall zeigt auch exemplarisch, wie ein unsensibles Bürokratieverhalten bei den Menschen, die eigentlich volle Auftragsbücher hatten und fern jeder Hartz-IV-Mentalität lebten, zu Verbitterung führen kann. Hier hat das selbst von der Politik benutzte Wort von „Staatsversagen“ seine Berechtigung bewiesen.

Bühnenbauer Alex (48) hat es gleich doppelt heftig erwischt. Die Frage, wie es ihm ergangen ist, beantwortet er deftig: „Beschissen wäre noch geprahlt!“ Seine Frau arbeitet im gleichen Gewerbe, ist bei ihm angestellt und versorgt daheim gerade die beiden gemeinsamen kleinen Kinder im Vorschulalter, während er mit Udo Lindenberg unterwegs ist. In wenigen Wochen tauschen sie die Rollen. Dann ist seine Frau mit PUR unterwegs und er betreut die Kids.

Dieses Anstellungsverhältnis kickte ihn schon mal aus der Soloselbständigenhilfe. Er teilt damit auch das Schicksal anderer berühmter Fernsehkabarettisten, die ihre Frau zum Beispiel für die Betreuung der Online-Auftritte angestellt hatten und deshalb nicht in das von Bürokratieköpfen erdachte Förderschema passten.

Alex angefressen: „Früher wurde ich mal gefragt, was das Schlimmste sei, das mir passieren könnte. Da dachte ich noch, dass mir mal vielleicht jemand mein Werkzeug für 15.000 Euro klauen könnte“. Um ernüchternd fortzufahren: „Aber Corona und die unrealistischen Hilfen für die Veranstaltungsbranche haben das um ein Vielfaches überstiegen“.

Erschwerend kam bei ihm hinzu, dass er während der Pandemie in ein anderes Bundesland umgezogen ist. Wie lange die Bürokratie im Digitalzeitalter braucht, um Akten zu transferieren, ist für ihn als Logistik-Crack unfassbar. Er konnte nur überleben, weil er seine für die Alterssicherung gedachten 75.000 Euro Rücklagen für den Fortbestand des Gewerbes und die Bedarfe der Familie aufbrauchen, oder in seinen Worten „verplempern“ musste.

Die deutsche Bürokratie war mit dieser Spezies Mensch aus der Veranstaltungsbranche völlig überfordert. Dass da Menschen mit vollen Auftragsbüchern vor einem möglicherweise schlecht bezahlten Verwaltungs­angestellten saßen, offenbarte sich schon früh als Dilemma im Vakuum von Arbeitslosigkeit und Berufsausübungsverbot. Ob der Quantitätsfaktor für den Qualitätsverlust der Bürokratie mit ursächlich wurde, ließe nur den Spekulationen freien Lauf und wäre eigentlich eine Aufgabe für die Bürokratieabbaubeauftragten allerorten. Stattdessen hat das Image der Behördenrepressionen und Rückforderungen dazu beigetragen, dass viele gar keine Hilfsanträge gestellt haben. LED-Techniker Claus: „Ich weiß von vielen, die lieber nichts beantragt hatten, um nichts falsch zu machen, weil es unheimlich kompliziert war.“ Er selbst ist relativ glimpflich durch Corona gekommen, da er noch für einen anderen Künstler arbeitet, der eine Fernsehsendung hat und somit die Beschäftigung nicht komplett auf null gefallen ist.

Anders Johannes (34), Veranstaltungstechniker: Er hat zu Pandemiebeginn zunächst in einer Zimmerei gejobbt und sich später als technischer Leiter eines Impfzentrums seiner süddeutschen Heimatstadt über Wasser gehalten. Er berichtet aber auch von „vielen Ex-Kollegen, die während Corona in die Elektrobranche abgewandert sind und jetzt Elektroladesäulen für Autos aufbauen“. Von zahlreichen hätte er gespiegelt bekommen, dass die wohl nicht mehr in den Tourbetrieb zurückkämen. Denn sie haben die Annehmlichkeiten erkannt, regelmäßige Arbeitszeiten zu haben, sowie abends und an Wochenenden daheim bei der Familie sein zu können. Alex: „Die brennen nach wie vor für den Musikjob, aber hier fehlt ihnen die Sicherheit des Einkommens, wenn die Politik die Soloselbständigen bei der nächsten erwartbaren Notlage wieder im Bürokratiedschungel hängen lassen.“

Kabarettistin Birgit S. und Musiker Dieter W. hatten während der Pandemie sogar via Social Media vom Treffen mit einem Landeskunstminister berichtet, der den anwesenden Kreativen statt dem Kulturberuf lieber den Wechsel in den Lehrerjob empfohlen hatte. Denn dort gäbe es einen enormen Bedarf. Kultur könne man dann ja nebenbei weiterbetreiben. Bei so viel Fachkompetenz und politischem Support braucht sich dann nach zwei Jahren niemand mehr über Personalmangel in der Kulturbranche zu wundern. Die Politik ist auch nicht daran interessiert, in Deutschland zur Selbständigensicherung das einzuführen, was es in Österreich längst gibt. Dort gibt es eine „Arbeitslosenversicherung für Gewerbetreibende und Neue Selbständige“. Alle interviewten Techniker sagen, sie würden dort sofort einzahlen, um den Staat nicht zu belasten.

Fehlende Wertschätzung

Die Betroffenen führen das im Gespräch auch auf die ihnen durchwegs begegnete fehlende Wertschätzung von Politik und Behörden zurück. Menschen aus Politik und Behörden gingen ebenfalls gerne zu fantastischen Kulturevents, so die Techniker. Wer das baut und ermöglicht, sei aber vielen egal. Alex sieht die Ursache auch in Vorurteilen: „Gerade uns im Touring begegnet man vielfach mit Vorurteilen, als wären da nur koksende Typen unterwegs“. Was aber „völliger Quatsch“ sei, denn „das geht bei der Verantwortung gar nicht, die wir haben“, und verweist darauf, dass alleine dutzende Tonnen Ausrüstung in der Halle unter die Decke gehängt werden müssten, unter denen Menschen stehen. „Wir sind eine Riesenbranche, die von der Politik missachtet wird“, sagt Alex und würde zum gegenseitigen Verständnis „auch einem Markus Söder Helm und Sicherheitsschuhe anbieten, um mitzuarbeiten und zu sehen, was wir hier leisten und wie penibel wir hier alle arbeiten, damit sich jede und jeder sicher fühlen kann“. Markus Söder habe „gerade noch das richtige Alter für uns“. Er „sieht fit aus und wenn er keine zwei linken Hände“ habe, könne er sofort hospitieren.

Marcus weist final auch noch auf Fehler der Branche hin: „Autokino-Konzerte waren für mich das falsches-te Signal an die Politik“. Fehlender Entertainmentcharakter sei noch das geringere Übel gewesen, „aber die Politik hat geglaubt in der Kultur geht wieder etwas; mit dem Rückschluss, sich nicht mehr um die Probleme der Branche kümmern zu müssen“. 2022 sei die Situation mit der Anfangsphase der Pandemie vergleichbar. Wegen einiger weniger ausverkaufter Headlinershows sei die Politik der Meinung, es wäre alles wieder bestens und man brauche sich nicht mehr um den nicht-subventionierten Kulturbetrieb zu kümmern. „Das ist fatal“, so Marcus, „weil aktuell der kleine und mittlere Kulturbetrieb wegbricht“.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!