CSR heißt die Zauberformel: Kurzform für Corporate Social Responsibility. Wenn ein Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung verspürt, sich ihr stellt und das ganze anschließend zur Unternehmensphilosophie erklärt, ist es schon bei CSR angekommen.
So auch die Bayer AG, die sich die Corporate Social Responsibility auf die Fahnen schreibt. Allerdings pflegte sie diese Verantwortung lange bevor der Begriff Einzug in die Köpfe von Managern und Marketingbeauftragten fand. Genau genommen seit Anfang des vorigen Jahrhunderts, als Carl Duisberg, Vorstandsmitglied und später Generaldirektor von Bayer, seine Verantwortung für die Arbeiter und Angestellten entdeckte. Hintergrund war sicher nicht allein sein altruistisches Herz. Vielmehr hatte er früh verstanden, dass die Verbesserung sozialer Bedingungen Motivation und Firmenbindung von Mitarbeitern wesentlich stärken kann. Das war im Falle von Bayer besonders nötig. Denn die Schaffung eines neuen Firmenstandortes auf dem flachen Land, aus dem erst später die Stadt Leverkusen wurde, trug nicht gerade zur Attraktivität des Firmenstandortes bei. Dazu kamen arbeitnehmerunfreundliche Arbeitsbedingungen sowie die besonderen Gefahren, die von einer Anstellung in einer Chemiefabrik ausgingen: Unfälle waren an der Tagesordnung, der Umgang mit oft gefährlichen Substanzen galt auch damals schon als gesundheitsgefährdend.
Die Suche nach guten Mitarbeitern, der Umgang mit einer hohen Personalfluktuation gehören Anfang des 20. Jahrhunderts zur Tagesordnung im Unternehmen. Daran will Duisberg etwas ändern. Ein Vorbild bietet Alfred Krupp, der in Essen bereits begonnen hat, die sozialen Verhältnisse seiner Mitarbeiter zu verbessern. Und auch bei Bayer erkennt man, dass es der unternehmerischen Zukunft gut tut, Mitarbeitern eine lebenswerte Existenz zu ermöglichen. Ein Patriarch ist Carl Duisberg, der gerne von der „Bayer-Familie“ spricht. Er handelt durchaus mit ökonomischem Hintersinn, wenn er für angemessene hygienische Verhältnisse, bessere Unterkünfte oder eine ausreichende medizinische Versorgung seiner Mitarbeiter sorgt. Darüber hinaus beweist er vorausschauendes Denken: Er erkennt, dass zu einer umfassenden Mitarbeiter-Fürsorge auch der Bildungsaspekt gehört. Deshalb fördert er die Gründung von Vereinen innerhalb des Unternehmens, zum Beispiel eines Streichorchesters und eines Männer-Gesangvereins. Heute gibt es bei Bayer 17 Ensembles, in denen sich die Beschäftigten kulturell engagieren können.
Eine Bibliothek wird gegründet und der Bibliothekar, Hugo Caspari, im Jahr 1907 zum Leiter der „Abteilung für Bildung“ ernannt. Damit ist das Bayer Kulturprogramm geboren. Denn: „Kulturarbeit ist Bildungsarbeit“, so lautet das Credo Casparis. Gleich im Folgejahr kann das „Erholungshaus“ eröffnet werden, in dem sich fortan die kulturellen Ereignisse abspielen werden. Der Bau überlebt den Krieg, brennt aber 1975 nieder und wird in einem Zeitraum von zwei Jahren saniert und modernisiert. Heute finden sich dort auch die von Bayer initiierten Kunstausstellungen. Die junge Blüte des Kulturlebens wird vom ersten Weltkrieg unterbrochen. In dieser Zeit veranstalten die Werksvereine im Wesentlichen Wohltätigkeitsveranstaltungen. Politik und militärische Themen bestimmen Filmabende und Vorträge. Kurz nach dem Krieg aber blüht die Kultur wieder auf. Erste renommierte Künstler werden engagiert, Abonnement-Reihen gestartet. Der zweite Einschnitt beginnt 1934 mit der frühzeitigen Pensionierung Casparis. Wie seine drei Nachfolger ab 1946 hat er das Bayer Kulturprogramm entscheidend geprägt. Ferdinand Gerhardt allerdings, der 1934 eingesetzte Mann für die Kultur, kann oder will keine eigenen Impulse setzen. Die Gleichschaltung erreicht auch die Bayer Kultur.
Ab 1946 hat das Unternehmen Bayer das Glück, bei der Auswahl seiner Kultur-Intendanten jeweils Persönlichkeiten zu finden, die mit eigenem Kopf Neues initiieren, ohne den Sinn für die Tradition zu verlieren. Erna Kroen, eigentlich Betriebswirtin, ist die erste in der Reihe. In der Nachkriegszeit geht es vor allem um den Wiederaufbau eines freien Kulturverständnisses, um das Aufholen einer 12-jährigen kulturellen Lücke. Kroen etabliert in der jungen Stadt Leverkusen ein Kulturangebot nicht mehr nur für die Mitarbeiter, sondern auch für die Menschen, die hier leben. Die Liste der Künstler und Ensembles, die ab 1947 auftreten, zeugt von ausgeprägtem kulturellem Sachverstand. Und bereits 1959 entsteht eine Abonnement-Reihe mit dem Titel „Konzert und Theater für junge Leute“: ein Engagement, das seitdem unaufhörlich betrieben und ausgebaut wird.
1973 folgt Franz Willnauer, der für neue Akzente in den Bereichen neue Musik und experimentelles Theater sorgt. Außerdem etabliert er – aus Sicht seines Nachfolgers, des heutigen Kulturchefs Nikolas Kerkenrath – eine Modernisierung der Strukturen, die bis dahin „immer noch recht patriarchalisch waren“. Er ist es auch, der eine Internationalisierung des Programms bewirkt und neue Institutionen ins Haus holt. Ein Kulturbetrieb entsteht, der dem eines Vier-Sparten-Hauses gleicht. Mit dem Unterschied, dass Kultur hier nicht selbst produziert wird, sondern im Sinne eines Gastspielbetriebs von überall her geholt wird.
Nikolas Kerkenrath schließlich verantwortet die Bayer Kultur seit 1986. 21 Jahre prägt der gelernte Theatermann nun schon die Programme. Auch er hat verschiedene neue Akzente gesetzt. So hat er erreicht, dass auch die anderen Bayer-Standorte in Nordrhein-Westfalen mit Kultur versorgt werden. Wuppertal, Krefeld und Dormagen profitieren inzwischen von den Angeboten. Wichtig ist es ihm außerdem, „Kulturbrücken zu schlagen“. Er nutzt die Struktur von Bayer in der Welt für den Kultur-Ex- und Import. Und schließlich hat Kerkenrath für eine Neu-Orientierung der Programmatik gesorgt. Es geht ihm darum, „nicht mehr beliebig gute Sachen aneinander zu reihen, sondern thematisch fokussierte Kulturaussagen zu machen“. So hat er seine Jahres-Spielpläne mit Themen versehen, zum Beispiel mit Länder- und Regionenschwerpunkten. Historische Ereignisse wie der bicentennaire der französischen Revolution eignen sich für die Programm-Ausrichtung ebenso wie Komponisten-Jubiläen wie das von Hector Berlioz im Jahr 2003. Immer geht es ihm dabei darum, einerseits „ein Publikum zu bedienen, das wir hier immerhin hundert Jahre lang herangezogen haben“, andererseits „in einer Zeit wie der jetzigen, in der es kriselt“ Werte zu vermitteln, die sich Mode-Erscheinungen widersetzen. „Wir haben als Kulturmacher eine verdammte Pflicht, uns nicht nach der Mode zu richten, sondern die Werte, die wir erkannt haben, durchzuziehen.“ Ergebnis ist ein Kulturprogramm, von dessen Qualität wie Quantität andere Städte dieser Größenordnung nur träumen können. Da kann das Kulturprogramm, welches die Stadt Leverkusen parallel anbietet, schwer mithalten. Das wäre nicht weiter schlimm: Es entsteht allerdings der Eindruck, dass hier im Kleinen das nachgemacht wird, was Bayer im Großen kann. Allerdings gab es, als die Stadt Leverkusen im Jahr 1930 um Bayer herum gegründet wurde, das Unternehmens-Kulturprogramm auch bereits seit 23 Jahren.
Ganz neu im Kultur-Engagement von Bayer: Seit der Übernahme der Berliner Firma Schering will man auch in der Bundeshauptstadt präsent sein und fördert seit einigen Wochen das Haus der Kulturen der Welt. Das liegt auf der Hand, findet Nikolas Kerkenrath: „Es kümmert sich um die Weltkulturen. Wir kümmern uns ja im Großen und Ganzen um die eigene Kultur. Das Haus der Kulturen der Welt geht anders vor. Da versprechen wir uns eine neue Möglichkeit, Kulturarbeit zu machen.“
Seit hundert Jahren leistet sich Bayer ein Kulturprogramm. Das Jubiläum wird mit einem kulturellen Rückblick auf das vergangene Jahrhundert im Spielplan 2007/08 programmatisch verarbeitet und zudem durch Festakte und Konzerte der unternehmenseigenen Ensembles entsprechend gefeiert. Die Motivation hat sich gewandelt: von einer patriarchalisch geprägten Mitarbeiter-Orientierung zum modernen Bürger-orientierten Kulturbetrieb. Und Nikolas Kerkenrath ist der Meinung, dass, obwohl die Kulturarbeit „bisher völlig unbelastet von jeglichen Marketingzwängen ist“, der Image-Faktor, den es bereithält, durchaus vom Unternehmen genutzt werden darf. Dennoch ist Bayer heute so wenig wie 1907 in erster Linie Kulturförderer – kein Sponsor, nicht einmal Kunst-Mäzen. Die Künstler, die hier auftreten, bedürfen in der Regel der Förderung nicht. Eher ist Bayer, und dadurch unterscheidet es sich von anderen Unternehmen, Förderer des Kultur-Rezipienten. Das Publikum steht hier im Mittelpunkt. Nach wie vor gilt bei Bayer: Kulturarbeit ist auch Bildungsarbeit.