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Panel auf der Musikmesse. Foto: nmzMedia
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Ein Handelsabkommen droht das Parlament zu entmachten

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Protokoll eines Gesprächs über die bedrohlichen Auswirkungen des TTIP-Abkommens auf unser Kulturleben
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Neben vielen Themen (siehe Seiten 4 und 5) wurde im nmz-TV-Studio auf der Frankfurter Musikmesse auch über die Rolle der Kultur bei den Verhandlungen über das geplante Freihandelsabkommen zwischen USA und EU gesprochen. Zu Gast waren (siehe Foto von rechts nach links) Hans-Jürgen Blinn, Beauftragter des Bundesrates im Handelspolitischen Ausschuss des Europäischen Rates, der Präsident des Deutschen Komponistenverbandes und GEMA-Aufsichtsratsvorsitzende Enjott Schneider sowie Christian Höppner, Vizepräsident des Europäischen Musikrates und Generalsekretär des Deutschen Musikrates. Es moderierte Theo Geißler von der neuen musikzeitung.

Theo Geißler: Herr Blinn, spielt Kultur aus Urhebersicht in den aktuellen Verhandlungen eine Rolle?

Hans-Jürgen Blinn: Ja, Kultur ist ein Thema. Seit 1995 gibt es ein multilaterales Abkommen, das sogenannte GATS-Abkommen der World Trade Organization (WTO). In diesem Abkommen zum Bereich Dienstleistungen sind die Kulturdienstleistungen mit aufgenommen. Im GATS-Abkommen haben wir Schutzmaßnahmen implementiert, die uns erlauben, unsere öffentliche Kulturförderung weiterhin wahrnehmen zu können. Bei dem neuen Abkommen zwischen Europa und den USA, das jetzt verhandelt wird, die so genannte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (engl. Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP) wurden auf Veranlassung von Frankreich die audiovisuellen Dienstleistungen ausgenommen.

Geißler: Herr Schneider, Amerikaner und Engländer haben eine andere Urheberrechtsgesetzgebung wie die Europäer. Wo liegen Vorzüge und Nachteile des jeweiligen Systems?

Enjott Schneider: Das Urheberrecht im anglo-amerikanischen Raum ist sozusagen käuflich (buy-out). In Europa ist das Urheberrecht unveräußerlich: Ich kann nur die Nutzungsrechte hergeben, aber niemals meinen Schöpfernamen. Der bleibt auf immer und ewig mit dem Werk verbunden.

Die GEMA ist prinzipiell für die Herausnahme von audiovisuellen und auch kulturellen Dienstleistungen aus dem Verhandlungsmandat. Erstens weil das Thema Kultur sonst unter den Tisch fällt, dann natürlich auch wegen des Schutzes geistigen Eigentums, und zum Dritten: Wir wollen fairen Wettbewerb. Das deutsche Urheberwahrnehmungsgesetz schreibt den Verwertungsgesellschaften Tarifzwang, Abschlusszwang und Kontrahierungszwang vor. Wenn jemand aus den USA ohne diese Gesetzeszwänge den Tarif unterbietet, sind wir sofort im Wettbewerbsnachteil.

Geißler: Herr Höppner, wie verhält sich der Deutsche Musikrat zu diesen offensichtlichen Erosionserscheinungen?

Christian Höppner: Generell ist es erst mal nicht verwerflich, wenn eine Freihandelszone entsteht, das gibt Chancen auf wirtschaftliche Entwicklung. Wir gehören aber mit zu den ersten, die sich ganz eindeutig warnend positioniert haben. Unsere große Kritik im Hinblick auf das geplante Freihandelsabkommen ist, dass die europäische Union als Staatengemeinschaft und insbesondere die europäische Kommission sich nicht an die UNESCO- Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt hält. Diese Konvention legt eindeutig den Doppelcharakter von Kultur fest: als Kulturgut und als Wirtschaftsgut. Wir fordern, dass diese Konvention Eingang finden muss, dass sie Grundlage sein muss für den Kultur- und Medienbereich bei den Verhandlungen um das Freihandelsabkommen.

Schneider: Wirtschaft und Kultur stehen in einem gewissen Widerspruch zueinander, denn Kultur ist nicht immer gefällig und marktkompatibel. Unsere Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat dies vor Kurzem wunderbar auf den Punkt gebracht: „Kreative und Intellektuelle sind das Korrektiv einer Gesellschaft. Das können sie aber nur sein, wenn sie nicht zwangsläufig gefallen müssen“. Gefallen muss man jedoch im Handel immer. Deshalb gibt es diese auskömmliche Kulturfinanzierung, damit die Künste sperrig, heterogen, und nicht nur affirmativ auftreten können.

Blinn: Ich beobachte derzeit die Verhandlungen verschiedener Abkommen und beobachte dabei, dass die Konvention – diese Ausnahme für den Kulturbereich – bei den tatsächlichen Verhandlungen nicht durchschlagend ist. Wir haben uns längst diesem ökonomischen Ansatz – wie ihn auch Herr Schneider beschrieben hat – unterworfen. Man kann das auch bei dem neuen EU-Förderprogramm „Kreatives Europa“ sehen: Darin wird definiert, welche Projekte unterstützt werden sollen und das sind die Projekte, die viel Publikum anziehen. Das heißt: Viel Publikum – gute Kultur, wenig Publikum – schlechte Kultur! Das kann es nicht sein!

Geißler: Was tun Kultur- und Musikrat, was könnte man tun?

Höppner: Unser Arm reicht leider nicht bis in die EU-Kommission. Die Kritik jedoch kann ich nur unterstreichen. Es ist eine Katastrophe, was sich in der EU-Kommission abspielt. Die riesige Diskrepanz zwischen Sonntagsreden und Montagshandeln zu entlarven und auch die Parlamentarier von Seiten der Zivilgesellschaft zu stärken, ist eine unserer zentralen Aufgaben. Die Bundesregierung hat sich in Form von Umweltministerin Barbara Hendricks, aber auch Staatsministerin Grütters dezidiert geäußert. Einzig fehlte uns noch das Wort der Bundeskanzlerin, das wäre sehr wichtig.

Das Worst-Case-Szenario heißt beim Freihandelsabkommen: totale Ökonomisierung. Das heißt: Alles, was eine öffentliche Kulturförderung ausmacht, wird in Frage gestellt.

Blinn: Das derzeitige Verhandlungsszenario in Brüssel ist total undemokratisch. Selbst das Bundeswirtschaftsministerium, das eigentlich von der Kommission in Brüssel über den derzeitigen Verhandlungsstand unterrichtet werden soll, wird nicht so unterrichtet, wie man es in einem demokratischen Prozess verlangen kann, denn die Papiere, die die Amerikaner vorlegen, darf die Kommission nicht weitergeben.

Das ist ein Skandal!

Der Ansatz des TTIP-Abkommens ist, alles zu liberalisieren. Jetzt müssen wir alle Gesetze, die positive Förderung benennen, auflisten, damit sie noch weiterhin Bestand haben können. Also allein vom Verwaltungsaufwand, aber auch von der Ideologie, die dahinter steckt, ist das natürlich ein Skandal! Bei Dienstleistungen geht es um Standards und Regelungen. Die Gesetze, die unsere Gesellschaft in einem parlamentarisch-demokratischen Verfahren aufgestellt hat, werden über ein Handelsabkommen außer Kraft gesetzt.

Die Kommission geht im Moment davon aus, dass dieses Abkommen kein gemischtes Abkommen ist. Was heißt das? Bundesrat und Bundestag sind schon außen vor, die werden dem Abkommen schon gar nicht mehr zustimmen müssen. Die Kommission will, dass der Europäische Rat, also Angela Merkel und die anderen Staats- und Regierungschefs sowie das EU-Parlament allein darüber entscheiden und nicht mehr, wie bisher, die anderen nationalstaatlichen Parlamente auch. Das ist eine klassische Entmachtung des Parlamentarismus in Deutschland. Deswegen finde ich es ganz wichtig, dass unsere Parlamentarier „auf den Stuhl steigen“ und ganz dezidiert „Nein“ sagen. Denn sonst werden amerikanische Firmen, wenn sie in Deutschland agieren, nach amerikanischem Recht handeln. Das geht überhaupt nicht. 

Video: www.nmzmedia.de

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