Jan Pascal und Alexander Kilian sind zufrieden. Die beiden Flamenco-Gitarristen, die sich als Band „Café del mundo“ nennen, stehen eigentlich nie alleine an ihrem Stand Nummer 2.10.10 ganz rechts im Eck der Freiburger Messehalle 2. Schon fünf feste Buchungen haben sie ausgemacht – und dabei ist es erst Dienstagmittag, es geht also gerade erst los, am ersten von drei turbulenten Tagen auf der Internationalen Kulturbörse Freiburg (IKF).
Wer immer schon mal wissen wollte, wie ein beachtlicher Teil des Kulturprogramms all der Bürgerhauser und Kulturzentren vor allem abseits der Großstädte entsteht, der muss zur IKF kommen, zum Branchen-, ja Familientreff der sogenannten Kleinkunstszene.
4.200 Besucher, um die gut 350 Aussteller buhlten, und die rund 170 Kurz-auftritte von Künstlern anschauen konnten, zählte die immer Ende Januar stattfindende Messe heuer. 95 Prozent von ihnen sind „Fachpublikum“, also vor allem Veranstalter, von den Programmmachern des „Tollwood“-Festivals über Bühnenbetreiber aus dem ganzen deutschsprachigen Raum bis zur Geschäftsführerin der Stadthalle Germering, Medea Schmitt, die in einer lockeren Reisegruppe mit Kulturreferenten aus dem Münchner Umland da ist. Sie und ihre Kollegen sind seit vielen Jahren Stammgäste, Schmitt selbst hat bereits am ersten Tag 17 Termine für ihr Jahresprogramm gebucht.
Seit 27 Jahren geht das nun so. Verantwortlich dafür ist der in diesen drei Tagen omnipräsente Gründer und Leiter dieser lustigsten aller Messen Holger Thiemann, 62, Dreitagebart, Sakko mit Jeans, wache Augen, druckreife Sprache. Die Idee kam ihm als stellvertretendem Kulturamtsleiter der Stadt Freiburg in den späten Achtzigern beim Besuch der Kulturbörse in Kleve, einer Art kleiner Vorgänger von Freiburg. So ein – in den Zeiten vor Internet und Smartphone – Künstler, Agenten und Veranstalter zusammenführendes Meeting wollte Thiemann auch in Freiburg installieren.
Man startete 1989 noch etwas außerhalb im Bürgerhaus am Seepark: „Das war damals eine kleine Sache mit 20 Ständen, ein paar Stellwänden und wenigen Künstlern,“ berichtet Thiemann. Doch die „Sache“ wuchs Jahr für Jahr kontinuierlich, bald musste man nebenan ein großes Zelt aufstellen, trotzdem waren die Kapazitätsgrenzen schnell erreicht. 2001 zog man ins neue Messegelände um, die Allzweckhallen sind nun zwar atmosphärisch nicht mehr so kuschelig, dafür die Bedingungen in jeder Beziehung professionell. Der Schwerpunkt der Kulturbörse liegt nach wie vor auf Kabarett, Kleinkunst, Varieté und Street Performance. Doch parallel zum Boom des Musikkabaretts und der Weltmusik stieg die Zahl der Anfragen aus der Musikszene.
Und so nahm Thiemann schon vor gut zehn Jahren Musik als Sparte auf. Neben den zwei Theatersälen wird eine Music Hall mit Kurzauftritten bespielt. Vor allem die Nischen wie Jazz und Weltmusik nutzen das; Labels wie Enja oder GLM aus München oder Traumton aus Berlin, die Bauer Studios, die Zeitschrift „Jazz thing“, Agenten wie die Münchner Afrika-Spezialistin Stefanie Schumann mit ihren „Delicious Tunes“ oder auch Künstler selbst wie „Die Blechharmoniker“ oder eben die Flamenco-Gitarristen Jan Pascal und Alexander Kilian haben ebenso Stände wie die „jazzahead!“, die Jazz-Fachmesse in Bremen. Die wichtigsten Agenten und Festivals oder gar Major-Labels sucht man allerdings vergebens. Was damit zusammenhängen mag, dass die IKF bislang gleichzeitig zur „Midem“ in Cannes lief, der weltgrößten Musikmesse.
Seit heuer ist die Midem aber in den Juni verlegt. Eine Chance für Freiburg, auch im Musikbereich zu expandieren? Holger Thiemann wiegelt ab: „Wir haben gar keine Kapazitäten mehr dafür.“ So ganz daran glauben mag man freilich nicht, wenn man die Dynamik an den Ständen und die Resonanz in der „Music Hall“ anschaut. Wie schon in den vergangenen Jahren gab es weit mehr Bewerber als Plätze, eine Fachjury entscheidet, wer zum Zug kommt. Obwohl ein Auftritt gut 400 Euro kostet, kann sich die Sache lohnen. Die Bekanntheit lässt sich enorm steigern, und laufen die 20 Minuten gut, bekommt eine Band unter Umständen Gigs, für die beispielsweise ein Jazzagent sonst ein halbes Jahr lang per Mail antichambrieren muss. Das könnte zum Beispiel für Martin Spengler und sein Quartett „Die foischn Wiener“ gelten, die sich als famose Wienerlied-Truppe mit großartigen Texten, eindrucksvollen Stimmen und ungewöhnlicher Instrumentierung präsentierten, die den in Deutschland viel bekannteren „Strottern“ und „5/8terl in Ehrn“ nicht nachsteht. Auch diese beiden traten neben vielen Landsleuten vom Kabarett in Freiburg auf: Österreich war in diesem Jahr Gastland.
Freilich spiegelte sich gerade in der Musikhalle auch der von den kommunalen Trägern selektierte Kulturbetrieb ziemlich genau wider: Bei der technisch exzellenten, aber auch ziemlich populistischen österreichischen Volxmusik-Truppe „Federspiel“ etwa war kein Platz mehr zu bekommen und der – angesichts des Fachpublikums oft genug unterkühlte – Applaus gewaltig. Beim anschließend spielenden Trio „PJ Energetic“ und dem „Joscha Arnold Quintett“, beides herausragende junge, in der renommierten „Next Generation“-Reihe von „Jazz thing“ vertretene Musiker, blieb der Saal halb leer und ruhig. Das dürfte repräsentativ für die Programmauswahl in weiten Teilen der Republik sein: sein Publikum (oder auch sich selbst) womöglich zu überfordern, scheint die größte Furcht der Veranstalter zu sein. Da bleibt der Anspruch schon mal auf der Strecke, selbst in Zeiten, in denen eigentlich Geld da sein müsste, von dem aber die Musikkultur abseits der Hypes und Großveranstaltungen wenig abbekommt. Dazu passt, dass die besagten, sehr im Trend liegenden Buben von „Federspiel“ am Ende die „Freiburger Leiter“ in der Musiksparte gewannen, den seit acht Jahren in drei Kategorien mit Stimmzetteln vom „Fachpublikum“ ermittelten Preis der IKF.