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Nur sich immer wieder zeigen zählt im Business: Gerwin Eisenhauer und Trio Elf beim fulminanten Showcase-Konzert in Bremen. Foto: Susanne van Loon
Nur sich immer wieder zeigen zählt im Business: Gerwin Eisenhauer und Trio Elf beim fulminanten Showcase-Konzert in Bremen. Foto: Susanne van Loon
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Eine Geschäftigkeit des Trotzdem

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Messe und Festival jazzahead! 2017 und der deutsche Musikmarkt
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Etwas ist anders. Die Musikwelt rund um das kleine Pflänzchen Jazz durchlebt zur Zeit Verwandlungsprozesse, die noch nicht alle numerisch zu fassen, aber bereits deutlich zu beobachten sind. Eine These: Der Jazz-Markt steht vor einer Wachablösung.

Die Major Companies, einst dicke Hosen des Geschäfts, veröffentlichen kaum noch neue Produkte. Hier mal ein Mehldau, da ein bisschen Blue Note, dort noch eine Brönner obendrauf, das war’s. Selbst der jahrzehntelange Trend, Newcomer aufzukaufen, nachdem sie von den unabhängigen kleinen Firmen aufgebaut worden sind, hat nachgelassen. Die Einzelkämpfer und Independent Labels bis hin zu den Großen der Kleinen wie ECM, ACT, international auch Sunnyside oder Mack Avenue, bringen dafür mehr neues Material heraus denn je. Eine Umverteilung weg von den gro­ßen Playern ist im Gange und dafür sprechen auch die Zahlen der Fachmesse jazzahead! in Bremen, die Ende April zum 12. Mal über die Bühne ging.

Denn es gab in diesem Jahr mehr ausstellende Firmen (2017: 1.356 / 2016: 969), mehr Fachteilnehmer (2017: 3.169 / 2016: 2.742). Die Kleinteiligkeit schreitet voran und das Bedürfnis einer aus Einzelkämpfern und Überzeugungstätern bestehenden Szene, sich über die eigenen Nöte, aber auch die Möglichkeiten auszutauschen, nimmt offenbar zu. So eindrucksvoll einerseits die vom Jazzinstitut Darmstadt, der IG Jazz Berlin und der Union Deutscher Jazzmusiker in Auftrag gegebene Jazzstudie 2016 mit Zahlen untermauern konnte, dass der gesamte künstlerische Komplex rund um die improvisierende Musik eigentlich pekuniär prekär einzustufen ist, so klar zeigten die Bremer auf der anderen Seite, dass das klaffende Loch der Finanzierung, die vermeintliche Unlust des Publikums und die mangelnde Präsenz deutschen Musiker im Ausland als Probleme zumindest potenziell gelöst werden können.

So forcierte die jazzahead! einmal mehr die Präsenz (und damit auf lange Sicht die Akzeptanz) der Messe in der eigenen Stadt und brachte es mit der Clubnacht an 40 Spielstätten auf 7.562 Besucher, rund 1.000 mehr als im Vorjahr. Die Kurzkonzerte der German Jazz Expo wie auch der anderen Reihen waren gut bis ausgezeichnet gefüllt, über mangelndes Interesse des Publikums an der Musik konnte niemand klagen. Ein pädagogischer Schwerpunkt wandte sich außerdem an die Kleinen und Kleinsten und brachte zum Auftakt der jazz­ahead! rund 500 Kinder mit Improvisation und kreativen Klangwelten in Kontakt. Eine von der Initiative Musik unterstützte Maßnahme zur Exportförderung wiederum führte 18 Gäste von Australien bis Vietnam durch den Kosmos des Jazz in und aus Deutschland, in Berlin, Hamburg und als Finale auch im Rahmen der Bremer Messe. Es ist viel los in der Community, viel Detailarbeit, die bei Anlässen wie der jazzahead! kulminiert.

Doch es ist eine Geschäftigkeit des Trotzdem. Denn niemand wagt vorherzusagen, wie sich der Musikmarkt der kommenden Jahre entwickelt. Die nischenunabhängigen Majors haben sich ganz gut in der Bündelung der Aktivitäten von Marketing, Ticketing, Katalogauswertung und Verlagsarbeit eingerichtet. Insgesamt wurden 2016 1,593 Milliarden Euro umgesetzt, ein leichtes Plus von drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr (Quelle: BVMI Jahrbuch 2016). Davon wurden 62,1 Prozent über physische Tonträger generiert (53,8 Prozent CD, 4,4 Prozent Vinyl, der Rest Sonstige), die übrigen 37,9 Prozent digital (12,2 Prozent Download, 24,1 Prozent Streaming plus Sonstige), mit gewaltigen Steigerungen beim Streaming (72,7 Prozent mehr im Vergleich zu 2015). Dieser Trend wird sich fortsetzen, zum Leidwesen des Jazz, der beim Streaming bislang kaum vorkommt und daher noch weniger verdient. Noch werden Jazz-CDs und sogar wieder Langspielplatten gekauft. Das ist jedoch keine Garantie für langfristige Umsätze. Denn je mehr Mobile Music zur Selbstverständlichkeit wird, desto mehr werden auch Jazzhörer erwarten, ihre Musik bei Spotify oder Deezer zu finden. Was dann aus den vielen kleinen Anbietern wird, die durch die Halle der jazzahead! wuseln und von Lizenzeinnahmen im Bereich von Kommastellen nicht leben können, weiß niemand. Die Verwandlung jedenfalls hat schon begonnen.   

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