Migros ist das umsatzstärkste Schweizer Handelsunternehmen mit rund 85.000 Mitarbeitern. Und es ist noch mehr: Durch das Vermächtnis des Gründers Gottlieb Duttweiler gibt es das Kulturprozent. Seit 1957 in den Statuten der Migros verankert, gleicht das Kulturprozent einem Bekenntnis zur kulturellen Vielfalt der Schweiz. Mit Gisèle Girgis (Mitglied der Generaldirektion Migros-Genossenschaftsbund, Departement Human Resources, Kulturelles und Soziales, Freizeit) und Claudio Danuser (Projektleiter Musiques Suisses) sprach Kathrin Hauser-Schmolck.
Migros ist meines Wissens die einzige Firma, die sich ein Kulturprozent leistet. Ist es tatsächlich ein Prozent, das Sie für kulturelle und soziale Zwecke ausgeben?
Gisèle Girgis: Es sind 120 Millionen Schweizer Franken, die wir, ungeachtet der konjunkturellen Lage, für das Kulturprozent einsetzen. Konkret setzt sich das zusammen aus einem halben Prozent der Umsätze aus dem Detailhandel – also den Kassenumsätzen unserer regionalen Migros-Genossenschaften – und einem ganzen Prozent des Umsatzes des Migros-Genossenschaftsbundes. Die Organisation, die dahinter steht, umfasst heute zahlreiche Aktivitäten, betreut vom Departement „Human Resources, Kulturelles und Soziales, Freizeit“. Das geht von den internationalen Sprachschulen, den Eurocentres, über ein unabhängiges Institut für Wirtschaft und Gesellschaft, das Gottlieb Duttweiler Institut, die Klubschulen (die größte Erwachsenenbildungsinstitution der Schweiz), große Erholungsparks und Freizeitanlagen bis zum Migros Museum für Gegenwartskunst. Und natürlich bis zu den eigentlichen kulturellen Aktivitäten. Wir fördern alle Sparten wie Kleinkunst, Theater, Musik, Literatur, Tanz und auch genreübergreifende Projekte.
: Wie hoch ist das Budget für die Musik? : Die Direktion Kulturelles und Soziales hat ein Budget von etwa15 und die Musik gut 3 Millionen Schweizer Franken. : Welche Idee steckt hinter diesem Engagement? : Die Verpflichtung war ursprünglich so formuliert: „Das Allgemeininteresse muss höher gestellt werden als die Migros-Genossenschaftsinteressen. Wir müssen wachsender eigener materieller Macht stets größere soziale und kulturelle Leistungen zur Seite stellen.“ Daran hat sich im Kern nichts geändert. : Ist das ein Mäzenatentum, das mit Sponsoring nichts zu tun hat? : Sponsoring hat eine andere Zielrichtung. Die Migros hat auch eine Sponsoring-Abteilung und ist etwa beim Sport und bei Open-Air-Festivals präsent und unterstützt damit das kommerzielle Kerngeschäft. Das Kulturprozent dagegen will den breiten Zugang zu Bildung und Kultur möglich machen und die Kulturschaffenden unterstützen.Claudio Danuser: Duttweiler, der Gründer, war sehr visionär und meinte, mit einem materiellen Wachstum müsse auch ein geistiges einhergehen. Mit der Fixierung auf ein Prozent ist die Vergrößerung des Unternehmens an eine Vergrößerung der kulturellen Leistungen gekoppelt. Es ist sogar so, dass bei Geschäftsrückgang das Prozent bleiben muss und man es nicht einfach streichen kann.
: Das Kulturprozent fördert Musik, Tanz, Theater, Kunst. Nach welchen Kriterien? : Wichtig für uns ist zum einen, mit Stipendien oder Wettbewerben gerade junge Künstler zu fördern, zum anderen liegt eindeutig ein Schwerpunkt auf der zeitgenössischen Kultur. Bei allen Projekten, die wir entweder unterstützen oder selbst veranstalten, spielt diese gewisse „Labor“-Funktion eine Rolle: die Entdeckung und Vermittlung von Neuem. Aber auch die etablierte Kunst ist natürlich wichtig. Die Mischung macht es. : Wie setzt sich denn die Musikförderung zusammen? : Vor allem durch Finanzierungsbeiträge, Wettbewerbe, Stipendien und Studienpreise sowie den Klubhaus-Konzerten. Um die Größenordnung der Klubhaus-Konzerte zu umreißen: Wir hatten in der vergangenen Saison 44.000 Gäste, die 43 Klubhaus-Konzerte mit zehn verschiedenen Orchestern in zwölf Schweizer Städten besuchten. : Was heißt Förderung durch Wettbewerbe? Vergeben Sie Stipendien an Schweizer Musiker, die zu Wettbewerben reisen, oder führen Sie selbst Wettbewerbe durch?Danuser: Beides. Wir haben sowohl die Studienpreise als auch monatliche Stipendien.
nmz: Die gibt es nun schon seit Jahrzehnten. : Ja, und sie sind sehr beliebt. Es gibt in der Schweiz viele professionelle Musiker, die dieses Stipendium bekommen haben. Das ist das eine. Und bereits zehnmal haben die eigentlichen Kammermusikwettbewer-be stattgefunden. Der Preis besteht aus einer Preissumme und – was viel wichtiger ist – der Weitervermittlung der Ensembles über zwei Jahre an Konzertveranstalter in der Schweiz. Es ist sozusagen eine Einstiegshilfe für die Ensembles. Die Migros übernimmt einen Teil der Gage. Damit werden diese Ensembles besonders für kleinere Konzertveranstalter sehr attraktiv, und sie bekommen neben der Erfahrung im Auftreten auch einen Namen. : Mit „Musiques Suisses“ haben Sie auch ein eigenes CD-Label? : Musiques Suisses ist das einzige Label, das sich seit zwölf Jahren konsequent um das Schweizerische Musikschaffen kümmert. Seit 1996 gibt Musiques Suisses zudem in Zusammenarbeit mit Pro Helvetia, Schweizer Radio- und Fernsehgesellschaft, Suisa, Suisa-Stiftung, Schweizer Tonkünstlerverein und Schweizer Interpretengesellschaft unter dem Namen „Musiques Suisses-Grammont Portrait“ CD-Portraits von zeitgenössischen Schweizer Komponisten und Interpreten heraus. : Und es gibt noch das Start Up-Label „Coffee“, mit dem wir Newcomer der Pop-Szene unterstützen. : Die Klubhaus-Konzerte mit den international renommierten Orchestern und Ensembles gibt es seit über 50 Jahren. Wie hat sich das Konzept gewandelt? : Zum 25-jährigen Jubiläum wollte Migros sich eine Besonderheit leisten und hat die Münchner Philharmoniker und die Bamberger Symphoniker nach Zürich und Genf eingeladen.
Das hat derart Anklang gefunden, dass die Idee, erstklassige ausländische Orchester für eine Tournee durch die Schweiz einzuladen, weiter institutionalisiert wurde. In den 80er- Jahren kam dann die Idee auf, die Klubhaus-Konzerte noch weiter auszubauen. Man veranstaltete nicht mehr nur in den fünf großen Städten die Klubhaus-Konzerte, sondern man ging auch in kleinere Städte zu kleineren Konzertveranstaltern, die sich nie ein großes Orchester hätten leisten können. Irgendwann waren die Gagen der ganz großen Namen aber auch für die Migros nicht mehr bezahlbar und man ging dazu über, mehr und mehr mit Rundfunk-Sinfonieorchestern zusammenzuarbeiten, die auch für innovative Programme sehr offen waren. Interessante Programmpolitik soll auch heute die Attraktivität der Reihe erhalten. : Die thematische Reihe Klubhaus-Akzente etwa spricht ein heutiges Publikum an, vielleicht nicht das traditionelle, weil es benachbarte Kunstformen wie Literatur einbezieht. Es ist eine ganz neue und originelle Angelegenheit, die zusätzlich zu den Klubhaus-Konzerten veranstaltet wird. : Die kommerziellen Veranstalter ringen auch um das Publikum. Ist da nicht eine Konkurrenz zu den Konzertreihen der Migros?
Danuser: Seit den 50er-Jahren war das eine ständige Fehde. Das ist in der Tat eine Konkurrenz. : Ich denke, die Experimentierfreudigkeit, die das Kulturprozent der Migros immer wieder gezeigt hat, darf sich ruhig auch in der Musik zeigen. Und wenn es als Konkurrenz angesehen wird, dann eben deshalb, weil wir mit der Sache großen Erfolg haben.