Straßburg - Ende der Meinungsfreiheit? Oder endlich verdienter Schutz für Künstler und Medienschaffende? In der Debatte um die EU-Urheberrechtsreform prallen unversöhnliche Meinungen aufeinander. Das Europaparlament hat die neuen Regeln erst einmal ausgebremst.
Das Europaparlament hat Pläne zur Reform des EU-Urheberrechts mit den umstrittenen Upload-Filtern vorerst zurückgewiesen. Die Abgeordneten stimmten am Donnerstag in Straßburg dagegen, dass die Verhandlungen über die aktuelle Gesetzesfassung in die nächste Runde mit den Mitgliedstaaten gehen. Stattdessen wird sich voraussichtlich im September noch einmal das Parlament mit dem Entwurf befassen und Änderungen beschließen. Die Abgeordneten könnten ihn dann auch verwerfen. Am Donnerstag stimmten 318 Abgeordnete gegen den Entwurf und 278 dafür. 31 enthielten sich.
Die bisher geplanten Regeln sehen vor, dass Online-Plattformen wie YouTube künftig schon während des Hochladens der Inhalte prüfen müssen, ob diese urheberrechtlich geschützt sind. Technisch möglich wäre das mit den Upload-Filtern, einer speziellen Software. Bisher müssen Plattformen hochgeladene Filme, Bilder oder Texte erst im Nachhinein löschen, wenn sie keine Rechte an ihnen haben.
Außerdem ist die Einführung eines Leistungsschutzrechts (LSR) in der EU geplant. Danach sollen Plattformen wie Google künftig nicht mehr ohne Weiteres Überschriften oder Ausschnitte von Pressetexten anzeigen dürfen. Sie bräuchten eine Erlaubnis der Verlage und müssten gegebenenfalls dafür zahlen. Kritiker sehen durch die Vorschläge das freie Internet bedroht.
Berichterstatter Axel Voss (CDU) von den europäischen Christdemokraten zeigte sich enttäuscht von dem Votum. Die «beispiellose Kampagne der Internetgiganten, die aus Eigeninteresse Unwahrheiten über eine vermeintliche Zensur des Internets verbreitet haben», habe offenbar Früchte getragen. «Wir können nicht zulassen, dass kultureller Diebstahl im Internet legalisiert wird.»
Die geplante Reform hatte bereits im Vorfeld der Abstimmung eine hitzige Debatte ausgelöst. Die Befürworter erhoffen sich von der Reform, dass Urheber wie Plattenfirmen, Filmstudios und Künstler mehr an den Gewinnen von Internet-Riesen teilhaben könnten. Sie beklagen massenhafte Verletzungen des Urheberrechts im Netz. Die Schäden seien immens. Letztlich gehe es um die Frage, ob journalistische Vielfalt erhalten werden könne, und um Augenhöhe bei Verhandlungen mit Online-Riesen.
Kritiker dagegen laufen Sturm gegen die möglichen Neuerungen, darunter auch Digitalpolitiker der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. In einem Brief hatten sie die EU-Abgeordneten dazu aufgerufen, gegen die Pläne zu stimmen. Die Maßnahmen seien «wie Blei um den Hals» für europäische Start-ups, heißt es in dem Schreiben.
Auch Upload-Filter seien bedenklich, denn mit ihrer Hilfe könnten Inhalte auf intransparente Weise gesperrt werden. «Wie können wir sicher sein, dass nicht auch kritische Videos in einem solchen Filtersystem verschwinden?» Unter den Unterzeichnern ist auch die Staatssekretärin für Digitales im Bundeskanzleramt, Dorothee Bär.
Die Kritik teilen zahlreiche Internet-Aktivisten und Verbände, die in den Upload-Filtern Software zur Internet-Zensur sehen. Sie seien fehleranfällig und könne auch Inhalte blockieren, die eigentlich veröffentlicht werden dürften - zum Beispiel Satire. Das Leistungsschutzrecht helfe den Verlagen nicht. Das zeige auch die Erfahrung in Deutschland. Dort gilt das LSR seit dem Jahr 2013, führte jedoch nicht zu nennenswerten Geldzahlungen von Konzernen wie Google an die Verlage.
Der Digitalverband Bitkom meinte, die Abgeordneten hätten «erkannt, dass der Richtlinienentwurf den gut gemeinten Schutz der Urheber mit einer Grundsatzentscheidung über das Internet verwechselt».
Die Abstimmung sei ein «Etappensieg für die Freiheit des Internets», erklärte der SPD-Europapolitiker Tiemo Wölken. «Wir haben nun die Chance, eine verhältnismäßige Lösung zu finden», ohne zu stark in die Meinungsfreiheit einzugreifen. Die Piraten-Politikerin Julia Reda, die der Grünen-Fraktion angehört, teilte mit: «Wir dürfen nicht zulassen, dass das Teilen von Nachrichten zensiert wird.»
Ernüchtert zeigten sich am Donnerstag hingegen Medienschaffende. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger und der Verband der Zeitschriftenverleger erklärten: Ohne ein eigenes Schutzrecht der Presse könnten Netzgiganten weiterhin digitale Produkte der Zeitungen und Zeitschriften für kommerzielle Zwecke nutzen, ohne zu zahlen.
Die vergangenen Wochen hätten gezeigt, mit welch geballter Kraft sich die digitalen Plattformen gegen Klarstellungen bei rechtlichen Rahmenbedingungen stemmten, kritisierte der Bundesverband Musikindustrie. «Heute ist kein guter Tag für die gesamte Kreativwirtschaft.» Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters bedauerte die Entscheidung der Abgeordneten: «Die weitere Anpassung des EU-Urheberrechts an die Herausforderungen der digitalen Welt ist überfällig und wird sich nun leider weiter verzögern.»
Der Vorschlag zur Urheberrechtsreform geht auf den damaligen EU-Digitalkommissar Günther Oettinger zurück, der ihn 2016 vorgelegt hatte.