Seit rund zwei Jahrzehnten geht ein Rechtsstreit um einen Rhythmus aus dem Stück „Metall auf Metall“ der Band Kraftwerk durch die Instanzen. Nun ist er wieder vor dem BGH angekommen. Doch das letzte Wort dazu dürfte noch nicht allzu bald gesprochen sein.
Karlsruhe. Es ist eine schier unendliche Geschichte um eine zwei Sekunden lange Tonfolge – und der Rechtsstreit zwischen den Elektropop-Pionieren von Kraftwerk und Musikproduzent Moses Pelham dürfte fast 20 Jahre nach dem ersten Urteil eine weitere Schleife nehmen. Der Bundesgerichtshof (BGH) erwägte am Donnerstag, den Fall noch einmal dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen. Die Anwälte beider Seiten hielten das auch für geboten. „Es geht hier um Grundsätzliches“, sagte Pelhams Vertreter Matthias Siegmann.
Das Verfahren wirft grundlegende Fragen zum Verhältnis von Kunstfreiheit und Urheberschutz auf, die Branche verfolgt es mit Spannung. Die Karlsruher Richter und Richterinnen wollten erst an einem anderen Tag entscheiden, wie sie vorgehen. (Az. I ZR 74/22)
Kern des Ganzen ist, dass Pelham einen Rhythmus aus dem Kraftwerk-Stück „Metall auf Metall“ aus dem Jahr 1977 – im Wesentlichen „Bäng-dänge-däng-däng“ – 20 Jahre später leicht verlangsamt in Endlosschleife unter den Song „Nur mir“ mit der Rapperin Sabrina Setlur legte. So eine musikalische Interpretation in neuem Kontext nennt man Sampling. Im Rap und Hip-Hop ist sie gängig.
Um Erlaubnis hatte der heute 52-jährige Pelham nicht gefragt. Der Frankfurter war in einem Klangarchiv auf den Beat gestoßen und fasziniert von der „musikalischen Kälte“. Kraftwerk-Mitbegründer Ralf Hütter, heute 76 Jahre alt, fühlte sich bestohlen und klagte.
Es ging durch die Instanzen, auch das Bundesverfassungsgericht und der EuGH haben sich damit schon befasst. Der BGH steht vor seiner fünften Entscheidung zu dem Fall. Hintergrund ist, dass seit Dezember 2002 das Urheberrecht in der Europäischen Union vereinheitlicht ist.
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hatte den Klägern zuletzt unter anderem dahingehend Recht gegeben, dass sie für eine Spanne von rund 18,5 Jahren Schadenersatz geltend machen können. Für die Zeit nach dem 7. Juni 2021 wies das Gericht die Klage ab, ließ aber Revision zu. Genau um diesen Zeitraum geht es jetzt am BGH.
Damals war eine Umsetzung von EU-Gesetzgebung ins deutsche Recht in Kraft getreten, nach der veröffentlichte Werke zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches vervielfältigt, verbreitet und öffentlich wiedergegeben werden dürfen. Das OLG ging davon aus, dass die Vervielfältigung der Tonsequenz aus „Metall auf Metall“ und ihre Überführung in ein eigenständiges neues Werk im Wege des Samplings nach dieser Vorschrift als Pastiche zulässig seien.
Als Pastiche werden Nachahmungen des Stiles oder der Ideen von Künstlern bezeichnet. Doch so einfach ist es aus rechtlicher Sicht nicht, wie der Vorsitzende Richter des ersten Zivilsenats am BGH, Thomas Koch, deutlich machte. In der Literatur gebe es eine große Bandbreite an Definitionen. In der EU-Gesetzgebung sei der Begriff nicht definiert. Im französischen Recht spiele humoristische Absicht eine Rolle. „Was ein Pastiche ist, ist ein großes Rätsel“, so Koch.
Die EU-Regeln müssten aber nach dem allgemeinen Sprachgebrauch im gesamten EU-Raum ausgelegt werden, der deutsche Gesetzgeber habe keinen Gestaltungsspielraum. Insofern müsse dies vermutlich der EuGH klären. Auch Hütters Anwalt am BGH, Peter Wassermann, sagte: “Der Begriff ist unklar, nebulös und schillernd.“ Um zu wissen, worum es geht, müsse man im Fremdwörterbuch oder bei Wikipedia nachschauen.
Pelhams Vertreter Siegmann räumte ein, dass das Sampeln bei „Nur mir“ nicht humoristisch gemeint gewesen sei. Sollte eine solche Komponente entscheidend sein, handele es sich wohl nicht um ein Pastiche, sagte er. Um das zu klären, sollte man sich die Zeit nehmen – schließlich gehe es in dem Rechtsstreit nicht mehr so sehr um Geld und Eile.