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Geldquellen für die gute Stube

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Zur Finanzierung des neuen Essener Konzertsaals
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In einer lockeren Artikel-Serie gewähren wir unseren Lesern Einblick in die unterschiedlichsten Aspekte der Entstehung eines neuen Konzertsaals – am Beispiel Essen. In Zeiten leerer Kassen spielt die Frage der Finanzierung natürlich eine besondere Rolle. Dorothee Krings beleuchtet die Vielzahl der Quellen, aus denen sich das Projekt „Essener Saalbau“ nährt.

In einer lockeren Artikel-Serie gewähren wir unseren Lesern Einblick in die unterschiedlichsten Aspekte der Entstehung eines neuen Konzertsaals – am Beispiel Essen. In Zeiten leerer Kassen spielt die Frage der Finanzierung natürlich eine besondere Rolle. Dorothee Krings beleuchtet die Vielzahl der Quellen, aus denen sich das Projekt „Essener Saalbau“ nährt. Nun dringt also Lärm aus der Konzerthalle. Im Essener Saalbau beweisen in den nächsten Monaten Bauarbeiter ihr Können. Hinter geschlossenem Bauzaun, ganz ohne Publikum, haben sie mit dem Umbau der alten Veranstaltungshalle begonnen. Der denkmalgeschützte Saalbau bekommt ein neues Innenleben. Neben Tagungsräumen, Foyers, Restaurant und einem Glaspavillon wird ein großer Konzertsaal Herzstück des Komplexes sein – die neue Philharmonie Essen. Knapp 2.000 Sitzplätze wird sie bieten, angebracht auf beweglichen Ebenen. So kann demnächst tagsüber ein Ärzte-Kongress im Saal stattfinden, abends ein Abschlusskonzert an selber Stelle. Solche Multifunktionsbauten haben ihren Preis. Gesamt-Umbaukosten: 60 Millionen Euro.

Wie ist eine solche Investition möglich in Zeiten leerer Kassen? In Essen hat man ein Finanzierungsmodell gefunden, das die Belastung auf viele Jahre verteilt. Nach einer europaweiten Ausschreibung übertrug die Stadt den Umbau-Auftrag an einen Finanzdienstleister, der nun sämtliche Baukosten übernimmt. Dafür muss die Stadt für das umgebaute Haus eine Art Miete zahlen: 263.000 Euro plus Nebenkosten jeden Monat. Nach genau 22,5 Jahren ist die Schuld dann abgetragen, die Stadt wird wieder alleiniger Eigentümer der Halle und muss nur noch die jährlichen Unterhaltskosten für das Gebäude aufbringen.
Um mit der Auftragsvergabe an einen Finanzdienstleister aber nicht jeglichen Einfluss zu verlieren, hat die Stadt ein Kontrollgremium berufen, die Arbeitsgemeinschaft Saalbau. Deren Mitglieder begleiten den Umbau kontinuierlich und sorgen dafür, dass die Kommunikation zwischen allen Beteiligten funktioniert.

Das Essener Finanzierungsmodell wurde jedoch nur möglich, weil die Stadt Geldgeber gewinnen konnte. Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt den Umbau mit 8,5 Millionen Euro, die in Essen ansässige Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung gibt sogar 13 Millionen Euro. Erst diese Zusagen hätten das Projekt überhaupt möglich gemacht, heißt es beim Essener Kulturamt.

Außerdem gibt es breite Zustimmung bei den Bürgern. Die Essener hängen an ihrem Saalbau, der liebevoll „die gute Stube“ genannt wird und fanden es an der Zeit, das arg veraltete Vorzeigezimmer auf Vordermann zu bringen. Als 1998 öffentlich darüber diskutiert wurde, ob die Stadt neben Standorten wie Köln, Düsseldorf oder jetzt auch Dortmund überhaupt eine neue Konzerthalle brauche, sammelte eine Bürgerbewegung 90.000 Unterschriften für den Umbau. Und Zustimmung in der Bevölkerung bedeutet in einer alten Industriestadt wie Essen auch beachtliches Spenden-Potenzial. So wird zum Beispiel eine Familienstiftung der Philharmonie die neue Orgel schenken. Die RWE bezahlt den Bau eines Glaspavillons, in dem es künftig Kammermusik geben kann, genauso aber auch eine Jahrespressekonferenz.

Doch die Baukosten sind nur ein Teil des wirtschaftlichen Abenteuers Konzerthalle. In Essens Nachbarstadt Dortmund bekommt man gerade zu spüren, wie teuer der Unterhalt eines solchen Hauses werden kann. Dort ist bereits in den ersten Wochen nach Eröffnung von enormen Defiziten die Rede. Dies hört man in Essen mit Sorge. Nicht weil man Ähnliches befürchtet. Vielmehr, weil schlechte Presse für das Dortmunder Haus auch in Essen auf die Stimmung schlagen könnte. Dabei sind Parallelen zwischen beiden Häusern kaum zu ziehen, die Konzepte sind höchst unterschiedlich. In der Essener Philharmonie wird es nämlich neben herausragenden Konzerten weiterhin auch Tagungen, Kongresse, Bälle geben. Hochwertige Mischnutzung, auf diese Definition haben sich Intendant und Stadt geeinigt. So soll die Finanzierung des Betriebs gesichert werden. „Die Philharmonie wird neue Impulse für die Musikszene bringen und auf das hervorragende vorhandene Angebot aufmerksam machen“, so Kulturdezernent Oliver Scheytt, „aber das Gebäude hat auch einen gesellschaftlichen Auftrag.“ Das bedeutet konkret: Auch die Essener Bürger werden den Saalbau weiter nutzen. Wie das organisatorisch gelöst wird, steht noch nicht fest. Grundsätzlich soll der Intendant allein für den Saalbau verantwortlich sein. Vom bisherigen Pächter, der einen Vertrag bis 2015 besaß, will die Stadt sich trennen und sagte eine Entschädigungszahlung von 3,4 Millionen Euro zu. Noch ist offen, wer künftig die gastronomische Bewirtschaftung übernehmen wird. Das Sheraton-Hotel liegt jedenfalls gleich nebenan.

200 kulturelle Veranstaltungen pro Jahr soll es demnächst im Saalbau geben. 80 davon unter der künstlerischen Leitung von Michael Kaufmann. Dafür stehen dem Intendanten die Einnahmen aus dem Kartenverkauf zur Verfügung und ein öffentlicher Etat von 2,4 Millionen Euro. Davon müssen allerdings neben Künstlergagen auch Personal- und Betriebskosten gezahlt werden. Hinzu kommen jedoch beträchtliche Mittel von privaten Geldgebern. Der Freundeskreis der Theater und Philharmonie Essen sammelt jedes Jahr 500.000 Euro zur Unterstützung aller großen Bühnen in Essen. Geld, das der Vorsitzende des Freundeskreises, Wulf Mämpel, vor allem in der Essener Wirtschaft akquiriert. Ganz konkret, mit dem Programmheft für die nächste Spielzeit in der Hand, sucht er in Vorstandsetagen Sponsoren für die geplanten Aufführungen – und findet sie. „Es gibt in Essen sehr viele Unternehmer, die etwas für ihre Stadt tun wollen“, so Mämpel. Demnächst ist auch das Philharmonie-Programm im Förderangebot.

Ein anderer Geldgeber ist die Fördervereinigung für die Stadt Essen, hervorgegangen aus dem Verkehrsverein. Sie hat der Philharmonie zunächst für fünf Jahre 250.000 Euro jährlich für die Programmgestaltung zugesagt. „Es gibt hier eine sehr positive Haltung gegenüber der neuen Philharmonie“, sagt Intendant Michael Kaufmann. „Die Essener sind stolz auf das kulturelle Angebot in ihrer Stadt und tun etwas dafür; sie tragen es nur nicht so nach außen.“ Auch die Sparkasse Essen unterstützt gezielt die Programmgestaltung, hat dazu eigens eine Stiftung gegründet. Solchermaßen ausgestattet ist Intendant Michael Kaufmann derzeit dabei, Spitzenorchester und Solisten zu engagieren. Allerhöchste Zeit, denn große Künstler sind heute Jahre im Voraus ausgebucht und schon im Advent 2003 soll der Karten-Vorverkauf beginnen. Dass sich die knapp 2.000 Sitzplätze in der Philharmonie dann auch füllen werden, darüber macht man sich in Essen keine Sorgen. Das renommierte Aalto-Theater gleich gegenüber hat eine Auslastung von 90 Prozent, regelmäßig stehen dort Busse aus Belgien oder den Niederlanden vor der Tür, die Abonnement-Konzerte der Essener Philharmoniker sind stets ausverkauft. Darum ist Kulturdezernent Scheytt sicher: „Das Potenzial ist noch nicht gehoben.“

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