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Handel mit Kulturgütern als Dienstleistung verstehen

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Über die Unternehmensphilosophie des KulturKaufhauses Dussmann in Berlin
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Was führt einen Mann der weltweiten Dienstleistung – von der Ur-Idee der Wohnungsreinigung für Junggesellen über Wachdienst, Gebäudetechnik, Büroservice, Seniorenbetreuung, U-Bahn-Security bis zum Catering im Flugzeug – dazu, just ein Kulturkaufhaus zu betreiben? Die Rede ist von Peter Dussmann (62), dem Chef eines Unternehmens mit rund 56.000 Mitarbeitern in 27 Ländern von Aserbaidschan über Russland und die USA bis nach Vietnam, mit mittlerweile rund 2,4 Milliarden Mark Jahresumsatz.

Was führt einen Mann der weltweiten Dienstleistung – von der Ur-Idee der Wohnungsreinigung für Junggesellen über Wachdienst, Gebäudetechnik, Büroservice, Seniorenbetreuung, U-Bahn-Security bis zum Catering im Flugzeug – dazu, just ein Kulturkaufhaus zu betreiben? Die Rede ist von Peter Dussmann (62), dem Chef eines Unternehmens mit rund 56.000 Mitarbeitern in 27 Ländern von Aserbaidschan über Russland und die USA bis nach Vietnam, mit mittlerweile rund 2,4 Milliarden Mark Jahresumsatz.Jenes Kaufhaus gibt es seit Oktober 1997 im Herzen Berlins, in der wieder erwachten Friedrichstraße in Linden-Nähe, direkt neben der Unternehmenszentrale, die durch die Restaurierung von Altbauten in der Dorotheenstraße entstand. Das Kaufhaus ist ein Neubau, entworfen vom tschechischen Architekten Miroslav Volf (Gesamtkosten: 230 Millionen Mark). Seitlich in den Nebenstraßen entsteht der Eindruck, als gliedere sich das Ganze in mehrere kleine Häuser mit eigener Fassade. Dabei gehen die vier Etagen lang gestreckt durchgängig von der Friedrichstraße aus in die Tiefe des Hauses, das seitlich Passagen und Arkaden enthält. Der Lichthof weist seit Mitte März eine 30 Meter hohe und 15 Meter breite Wasserwand auf, inspiriert vom New Yorker Trump-Tower.

Die Gesamtnutzungsfläche beträgt 16.000 Quadratmeter, von denen „nur“ 5.000 zu den Kultur-Etagen gehören. Und der Umsatz mit der Kultur macht „nur“ 1,4 Prozent des Gesamtumsatzes aus (1999 immerhin 30,5 Millionen). Aber – das weiß Dussmann – das KulturKaufhaus erregt den „Großteil der öffentlichen Aufmerksamkeit“ von Deutschlands größtem Dienstleistungs-Unternehmen.

Das ist die erste Antwort auf die Eingangsfrage. Die zweite: Eigentlich ist es mehr ein Zufall, Notbehelf gewesen, dem Neubau diese Funktion zu geben. Regulär war an Vermietung gedacht. Damals, bei hohem Leerstand von Büro- und Ladenräumen in der Friedrichstraße, ein frommer Wunsch. Dabei hätte andererseits das Beispiel der bald wieder geschlossenen Filiale des Pariser Kulturkaufhauses Fnac in der Friedrichstraße warnen können, an das KulturKaufhaus, sprich an sich selbst zu vermieten.

Aber der nüchterne Rechner, der Pragmatiker Dussmann ist ein Schöngeist. Man sieht’s an dem liebevoll restaurierten Schlösschen im Berliner Villenvorort Zeuthen, in dessen Nähe sich auch ein Schulungszentrum für die Mitarbeiter befindet, an seinen Antiquitäten, an seinem Engagement mit der Dussmann-Stiftung für sächsische Bauten, zum Beispiel die Wiedererrichtung von Dresdens Frauenkirche, an seiner Liebe zur Oper und speziell deren Spielstätte ein paar Häuser weiter Unter den Linden, was er sich jährlich zirka eine Million Mark aus der Privatschatulle und mitunter noch mehr kosten lässt. Dazu kommt der Unterhalt eines Fundraising-Büros für Sponsoring-Gelder für die Staatsoper unter Daniel Barenboim.
Und: Dussmann, der aus dem kleinen schwäbischen Rottweil ins große Berlin kam, ist der Sohn eines Buchhändler-Ehepaares, und hat diesen Beruf selbst gelernt. Die Schwester führt das elterliche Geschäft weiter. Und der Filius verbindet den Buchhandel (120.000 Bände in drei Etagen) mit der Musik- und Opernliebe: Die Klassikabteilung mit CDs von Adam bis Zemlinsky und auch Noten ist die größte Europas.

Damit nicht genug: Es existiert eine Jazz-Abteilung, eine sich zunehmend vergrößernde Weltmusik-Angebots-Palette und das Bestreben, Country und weiteres immer umfassender anzubieten. Das Besondere: Es gibt mehr als 100 CD-Abspielstationen. Alles in allem sind 140.000 CDs im Sortiment, dazu 6.000 Hörbücher. Zum Gesamtangebot gehören außerdem rund 6.500 Filme auf Video und DVD, verschiedene Software (Spiele, Lernprogramme und manches mehr), CD-Roms, neuerdings auch feine Papiere und Schreibwaren in der Papeterie.

Es gibt immer mal wieder Verkaufsausstellungen bildender Kunst, jüngst sogar die Möglichkeit, sich das Gekaufte sogleich rahmen zu lassen. Problemlos kann man die Ware über das Internet bestellen. Und es gibt die deutschlandweit günstigsten Öffnungszeiten: Montag bis Samstag von 10 bis 22 Uhr. Dussmann macht sich auch für Sonntagsöffnungszeiten stark, nutzt dafür jede Möglichkeit, zum Beispiel Grüne Woche, Ärztekongress, Oster- und Pfingstsonntag. Die übers Übliche hinaus gehenden Zeiten haben ein Umsatz-Plus von 30 Prozent gebracht – den damit befassten Mitarbeitern Umatzbeteiligung, die etwa 1.000 Mark auf dem Gehaltszettel ausmacht. Der Trick: Dussmann beförderte 30 Abteilungsleiter in den Prokuristen-Status. Unter den 100 Mitarbeitern befinden sich Künstler, Komponisten, Musikwissenschaftler, Mitarbeiter abgewickelter (vor allem Ost-) Berliner Kultureinrichtungen. Das sichert professionelle Beratung. Pressesprecherin Barbara Hüppe zur Firmen-Philosophie: „Wir übertragen den Dienstleistungs-Gedanken konsequent auf den Handel mit Kulturgütern.“

Darüber hinaus steht das Haus offen für viele Begegnungen mit Musikern und Autoren. Etwa zehn bis zwölf Veranstaltungen gibt es hier im Monat, alle bei freiem Eintritt. Bei unserem Besuch war im Untergeschoss gerade die Nachwuchs-Stargeigerin Hilary Hahn aus den USA zu Gast. Wenige Tage später erhielt die Chansonsängerin Tanja Ries hier ein Podium. Eis-Star Katharina Witt hatte für ihre Buchpremiere einen Exklusiv-Termin. Gregor Gysi las, und auch Genscher und von Weizsäcker – beide wie Dussmann große Opernfreunde – kamen zu Buch-Vorstellungen. Einmal im Monat überträgt KlassikRadio von hier Live-Interviews von Holger Wemhoff.

Auch Neue Musik hat ihren Platz, zum Beispiel mit Filmen von Uli Aumüller und Hanne Kaisik, unter anderem über Helmut Lachenmann.

So ist KulturKaufhaus-Chefin Martina Tittel mit ihren Mitarbeitern ständig eine gute Gastgeberin. Übrigens soll es bei diesem einen KulturKaufhaus bleiben. Alle Angebote aus anderen Städten hat Dussman bis jetzt abgelehnt.

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